Die Nachfolge des zu Girondins Bordeaux gewechselten Vladimir Petkovic als Trainer der Schweizer Nati ist nun auch offiziell geregelt: Murat Yakin unterzeichnete heute Morgen einen Vertrag bis zum Ende der WM-Qualifikation 2022 – mit Option auf eine Verlängerung
Was ist davon zu halten? Zunächst einmal: Die Herausforderungen als Nati-Trainer in den nächsten acht Monaten sind riesig. Das grosse Ziel ist die WM 2022 in Katar. Sechs Qualifikationsspiele stehen im September, Oktober und November an. Nur der Gruppensieger ist direkt qualifiziert. Der Favorit heisst Italien, die Schweiz ist der Herausforderer. Beide Teams sind bis anhin verlustpunktlos. Am 5. September kommt es in Basel zum ersten Duell.
Das ist die Ausgangslage für den neuen Nationaltrainer. Sie ist gewiss nicht ohne Risiko. Weil kaum Zeit bleibt für Veränderungen. Weil es Schlag auf Schlag geht in diesem Herbst. Und weil es eben sehr gut möglich ist, dass die Schweiz im März 2022 die Barrage bestreiten muss. Zwei Siege in Halbfinal und Final (ohne Rückspiele) bräuchte es dann, um sich für die WM zu qualifizieren.
Nun ist Murat Yakin ein Trainer, der mit einem gesunden Selbstvertrauen gesegnet ist. Er knickt auch vor grossen Hürden nicht ein, sondern er wächst an den Herausforderungen. Er ist dann am besten, wenn die Aufgabe am schwierigsten ist. Das hat er in seiner Trainerlaufbahn immer wieder bewiesen. Ob in Thun, Luzern oder Basel.
Immer wieder staunte die Schweiz. Den FCB führte er in den Halbfinal der Europa League. In der Champions League besiegte er Chelsea gleich zweimal. In diesen Momenten wurde offensichtlich, dass Yakin ein Spezialist für grosse Spiele ist. Ein Trainer auch, der im taktischen Bereich keine Vergleiche scheuen muss. Einer, der die Gabe hat, ein Spiel zu lesen und zu prägen.
Dass Yakin darum als Nationaltrainer prädestiniert sein könnte, wurde schnell offensichtlich. 2016, er hatte gerade sein Abenteuer in Russland bei Spartak Moskau hinter sich, sagte Yakin in einem Interview mit der «Schweiz am Sonntag»: «Der Nati-Job würde mich reizen.» Doch dann folgten Jahre, in denen seine Trainerkarriere nicht mehr reibungslos verlief.
Gerade bei GC und Sion ging es ziemlich schnell mehr um Machtkämpfe als um den Fussball. Und Yakin offenbarte seine sensible Seite. Er ist ein Trainer, der viel Rückendeckung und Wertschätzung aus dem Umfeld des Klubs braucht. Vielleicht sogar Bewunderung. Womit wir bei den entscheidenden Fragen wären: Wie sehr kann sich Yakin als Nationaltrainer entfalten? Wie gut funktioniert die Zusammenarbeit mit Nati-Direktor Pierluigi Tami? Und natürlich: Findet er den Draht zu den wichtigsten Spielern dieser Nati?
Immer wieder tauchen Vorbehalte auf gegenüber Yakin. Manch einer nennt ihn stur oder eigenwillig. Oder, um es etwas positiver zu formulieren: konsequent. Zum Ende seiner FCB-Zeit gab es immer wieder Reibungen mit Führungsspielern. Wenn Yakin etwas für richtig hielt, zog er es durch und nahm keine Rücksicht auf Namen. Er konnte als FCL-Trainer seinen Bruder Hakan regelmässig auswechseln. Er konnte in Basel Alex Frei plötzlich auf den linken Flügel stellen. Und trotzdem darf man eines nicht vergessen: Yakin hat ein gutes Gespür für Menschen. Es ist eine Qualität, die einem Nationalcoach nur helfen kann.
Vermutlich ist Yakin in vielen Punkten gar nicht so unähnlich wie sein Vorgänger Vladimir Petkovic. Die Entscheidungsträger im Schweizer Fussballverband sind allesamt überzeugt von Yakin. Allen voran Pierluigi Tami. Er ist es, der Yakin im Alltag führen wird. Auch Tami hat ein feines Gespür für Grautöne. In der Zusammenarbeit mit Petkovic – sie war nicht immer einfach – überzeugte Tami. Gut möglich also, dass er auch mit Yakin harmonieren wird.
Mit der Vertragsunterzeichnung endet eine Nationaltrainer-Suche, die herausfordernd war. Der Zeitpunkt des Abgangs von Petkovic zu Bordeaux war alles andere als ideal. Der Verband war unter Zugzwang, es musste eine schnelle Lösung her. Trainer wie Lucien Favre oder Urs Fischer standen nicht zur Verfügung. Der langjährige Arsenal-Trainer Arsène Wenger wollte nicht. Am Ende setzte sich Yakin gegen René Weiler und Bernard Challandes durch.
Gestern Sonntag coachte der bald 47-jährige Yakin noch ein letztes Mal den FC Schaffhausen. Er verabschiedet sich mit einem 1:1 gegen Winterthur aus der Challenge League. In Erwartung der Chance seines Lebens. Er hat sie sich verdient.