Mehr als 120 Schwingfeste sind von Anfang April bis Ende Juni geplant. Bis Ende April sind alle abgesagt. Bis Ende Mai stehen 37 noch auf dem Kalender und für den Juni ist noch keines annulliert. Insgesamt sind in dieser Saison (sie hat Anfang März begonnen) schon mehr als 60 Feste dem Coronavirus zum Opfer gefallen.
Der Eidgenössische Schwingerverband ESV als oberstes Organ hat zwar eine Weisung erlassen:
Ebenso wurde unter den News der Webseite des ESV die Meldung aufgeschaltet, dass der Trainingsbetrieb bei allen Schwingklubs und Schwingerverbänden bis Ende April 2020 einzustellen ist.
Aber diese Weisungen haben keinerlei Rechtskraft. Wer sie nicht einhält, kann von der schwingerischen Obrigkeit, vom ESV, nicht sanktioniert werden. ESV-Geschäftsführer Rolf Gasser erklärt, warum das so ist: «Das einzige Schwingfest, das wir als eidgenössischer Verband in Zusammenarbeit mit dem Organisationskomitee absagen oder verschieben könnten, ist dieses Jahr unser Jubiläumsfest in Appenzell. Die Hoheit über die übrigen Feste haben die Unterverbände. Hier können wir nicht sagen: Ihr müsst. Wir können nur sagen: Ihr solltet.»
Eine generelle Einstellung des «Spielbetriebes» durch Anordnung von ganz oben nach dem Vorbild des Eishockeys und des Fussballs ist also im Schwingen nicht möglich. «Wir sind ein basisdemokratischer Verband mit einer hohen Autonomie unserer Unterverbände.» sagt Rolf Gasser. «Wir sind eigentlich das Abbild unserer Eidgenossenschaft.»
Der ESV ist aufgeteilt in autonome Teil-, Kantonal- und bernische Gauverbände, die ihre eigenen Präsidenten und technischen Leiter haben, eigene Feste über ihre Schwing-Clubs organisieren und auch in eigener Kompetenz ihre «Bösen» für die Feste mit eidgenössischem Charakter – wie dieses Jahr das Fest zum 125-jährigen ESV-Jubiläum – selektionieren.
Zwar geht es im Vergleich zum Fussball oder zum Hockey um wenig Geld. Unser staatstragendes Fernsehen SRF bezahlt dem ESV pro Jahr für TV-Rechte 172'000 Franken – und darf für dieses Geld auch von den nichteidgenössischen Festen berichten. Das ist im Vergleich etwa zu den rund 35 Millionen, die der Kabelnetzbetreiber UPC («MySports») pro Jahr für die Übertragungsrechte im Eishockey zu überweisen hat, bloss «Gilet-Münz».
Und doch ist längst nicht mehr alles gratis. Die Organisation der Feste wird in der Regel von einem Schwingclub übernommen, der sich mit anderen Klubs im Dorf oder in der Stadt verbündet. Der – eigentlich garantierte – Gewinn wird geteilt, das minimale Risiko gemeinsam getragen.
Aber der Boom hat es mit sich gebracht, dass inzwischen selbst bernische Gauverbandsfeste mehrere Tausend Zuschauerinnen und Zuschauer anlocken und entsprechende Tribünen und Infrastrukturen gebaut werden müssen. Die Organisatoren von grossen Teilverbands- oder Kantonalfesten sprengen mit den Budgets die Millionen-Grenze.
Einige umsichtige Macher des «Sägemehl-Business» haben deshalb Versicherungen abgeschlossen. Rolf Gasser sagt: «Kürzlich hat mich einer angerufen und mich gebeten, sein Fest abzusagen. Das wäre dann für ihn höhere Gewalt und wohl die Voraussetzung für eine Versicherungsleistung. Ich konnte ihm nicht helfen. Weil wir als eidgenössischer Verband juristisch nicht die Vollmacht dazu haben.» Der Bittsteller müsste sich wohl an eine lokale Behörde wenden, die ihm nicht erlaubt, das Fest durchzuführen. Was dann höhere Gewalt wäre.
Der ESV tritt nur als Veranstalter der sogenannten «Feste mit eidgenössischem Charakter» auf. Das sind das «Eidgenössische Schwingfest, der Kilchberg-Schwinget, Unspunnen und eidgenössische Jubiläumsfeste. So eines ist für diese Saison vorgesehen. Am 30. August das Fest zum 125-Jahre-ESV-Jubiläum in Appenzell. Die eidgenössische Schweiz wird an dem Tag stillstehen.
Auch wenn bis dahin noch viel Wasser unter den Brücken durchfliesst – ein Plan B ist für diesen Grossanlass angedacht. «Es ist noch zu früh, um über eine Verschiebung zu entscheiden. Aber wir machen uns zusammen mit dem Organisationskomitee darüber Gedanken. Ein Entscheid steht fest: wenn das Fest am 30. August nicht durchgeführt werden kann, dann wird es nicht abgesagt, sondern auf nächstes Jahr verschoben. Wir hätten dann 2021 mit dem Jubiläumsfest und dem Kilchberg-Schwinget zwei eidgenössische Anlässe im gleichen Jahr. Das ist aber kein Problem, das hatten wir beispielsweise auch schon 2002.» Tatsächlich gewann Martin Grab am 19. Mai 2002 in Murten den EXPO-Schwinget (ein eidgenössischer Anlass) und am 1. September 2002 schwang Jörg Abderhalden beim Kilchberg-Schwinget obenaus.
Wenn der Jubiläums-Anlass Ende August nicht stattfinden kann, dann besteht die Gewissheit, dass er 2021 nachgeholt wird. Immerhin.