Die Rivalität zwischen den beiden Bernern ist medial schon lange angekündigt und zelebriert worden. Doch erst jetzt ist sie voll entbrannt.
Dominique Aegerter und Tom Lüthi starten in Jerez nebeneinander aus der zweiten Reihe zum GP von Spanien (Sonntag, 12.15 Uhr, SRF 2). Zwei Schweizer in der zweitwichtigsten Töff-WM ganz weit vorne. Das hat es so im GP-Zirkus (seit 1949) noch nie gegeben.
Die Ausgangslage ist auch deshalb reizvoll, weil Dominique Aegerter als bester Starter gilt, Tom Lüthi hingegen regelmässig erst zurückfällt und erst in der zweiten Rennhälfte ganz nach vorne fährt.
Diese Ausgangslage zum vierten Moto2-WM-Lauf der Saison dokumentiert Dominique Aegerters neues Selbstvertrauen und Tom Lüthis neue Motivation. Nach durchzogenem Saisonstart (3., 6. und 19.) ist Lüthi jetzt wieder hoch motiviert. Er weiss, dass erstmals hart um seine Position als Nummer 1 im Land kämpfen muss.
Angesprochen auf diese neue Herausforderung sagt Tom Lüthis Freund Manager Daniel M. Epp: «Ich bin für jeden Motivationskick froh, für den ich nicht selber sorgen muss.» Er betont, der Erfolg des einen gehe nicht auf Kosten des anderen Fahrers. «Beide haben ihre Sponsoren und ihr eigenes Team. Wenn beide erfolgreich sind, profitieren auch beide von grösserem Interesse und höherer Akzeptanz.»
Natürlich ignorieren sich die zwei Töffhelden gegenseitig. Wie es sich für coole Asphaltcowboys gehört. Artig sagt Tom Lüthi: «Die Startposition in der zweiten Reihe ist wichtig. Neben wem spielt keine Rolle.» Dominique Aegerter macht cool eine wegwerfende Handbewegung und sagt: «Ach, spielt keine Rolle.»
Dominique Aegerters neues Selbstvertrauen ist offensichtlich. Jetzt tut er, was getan werden muss. Er hämmert und tritt im Zorn so heftig auf sein Bike, dass er an Händen und Füssen verarztet werden muss. Er attackiert einen Konkurrenten im Training in voller Fahrt mit einem Kung-Fu Fusstritt, verfehlt ihn nur knapp und wird hinterher in der Box von den Offiziellen ermahnt. Ein Berner dreht durch. So scheint es wenigstens auf den ersten Blick. Doch es ist etwas anderes: Dominique Aegerter ist endlich aus dem Schatten seines Idols Tom Lüthi getreten und hat seine ganz eigene Rennfahrer-Persönlichkeit entwickelt.
Der Zorn war berechtigt: Ein Motorenschaden hatte ihn beim Saisonauftakt in Katar um eine Spitzenklassierung gebracht. Der Kung-Fu-Angriff am Freitag im zweiten Training hier in Jerez gegen Sandro Cortese war notwendig: Der Deutsche hat die Unart, auf der Ideallinie auf einen schnellen Konkurrenten zu warten um in seinem Windschatten schnelle Zeiten zu fahren. Er ist Ärgernis und Gefahr zugleich.
Aus Dominique Aegerter, dem scheuen eher auf Anpassung bedachten Buben ist definitiv ein Rock’n’Roller mit enormem Star-Potenzial geworden. Er hat zwar Tom Lüthi bereits mehrmals besiegt und die letzte WM sogar vor seinem Kindheitsidol beendet. Aber Daniel M. Epp beeilte sich nach dieser Niederlage zu verkünden, Tom Lüthi sei die wahre Nummer 1 im Land und nur wegen Verletzungspech in der WM-Endabrechnung erstmals von einem Schweizer besiegt worden.
Auch im Fahrerlager ist die Konkurrenz zwischen den beiden Schweizer Teams erstmals sichtbar: Dominique Aegerters Teamchef Fred Corminboeuf hat in Italien ein neues «Hospitality-Schloss» bauen lassen. Grösser, geräumiger als das von Tom Lüthi. Um die Gäste noch besser bewirten und die Chronistinnen und Chronisten besser bedienen zu können. Corminboeufs Gasthaus ist inzwischen im Fahrerlager für Speise und Trank die erste Adresse für Schweizer.
Letztlich ist es ein Kampf der Kulturen, der da entbrannt ist. Der Bauernbub Tom Lüthi personifiziert das alte, gotthelfsche Emmental. Ein bodenständiges, freundliches Selbstvertrauen, das sich im geregelten Privatleben mit Langzeitfreundin Fabienne Kropf zeigt.
Der Garagistensohn Dominique Aegerter ist die Verkörperung des modernen, urbanen Emmentals: Keckes Selbstvertrauen, das Privatleben eines Rockstars ohne feste Freundin und doch immer der Sport an erster Stelle. Ein Proteststurm brandete durchs Facebook, als er im Scherz am 1. April seinen Status von «Single» auf «Beziehung» stellte.
Unter Druck sucht der ohnehin eher introvertierte Tom Lüthi die Nestwärme seines Teams. Der extrovertierte Dominique Aegerter findet hingegen immer mehr seine Rolle im offensiven Umgang mit seiner Popularität. Im Ausgang. Oder salopp gesagt: Bauernbub gegen Rockstar. Beide auf ihre ganz eigene Art und Weise in einem der härtesten Sportarten der Welt erfolgreich.
Es ist durchaus denkbar, dass die Karten im Schweizer Töffgeschäft jetzt neu gemischt werden und Dominique Aegerter am Ende der Saison die Nummer 1 der Schweiz sein wird. Nachdem Tom Lüthi diese Position seit 2002 unangefochten inne gehabt hat.