Als Jules Sturny mit Sack und Pack, einem halben Dutzend Stöcken und einer proppenvollen Hockeytasche am Flughafen von Brisbane den Zoll passiert, machen die australischen Beamte grosse Augen: «Was zum Teufel wollen Sie hier damit?»
Ja, Jules Sturny, einer von acht Neuzuzügen beim EHC Olten, befindet sich auf seiner abenteuerlichen Mission. Er hat sich für dreieinhalb Monate den Brisbane Lightning angeschlossen. Einem von zehn Teams der australischen Eishockeyliga AIHL.
Es ist längst Mitternacht in Brisbane, als Sturny von einem der nur zwei wöchentlichen Eistrainings zurückgekehrt ist und mit acht Stunden Zeitverschiebung in den Schweizer Nachmittag telefoniert. Er erzählt gut gelaunt von seinem Australien-Abenteuer und seinem lang gehegten Traum, einst in der Fremde Eishockey zu spielen.
«Es hat mich schon immer gereizt, im Ausland zu spielen. Ich habe dann nach meiner Davos-Zeit vor zwei Jahren meinen Agenten gefragt, ob er nicht mal das Ausland prüfen könne. Mir war klar: Das Geld würde dann nebensächlich sein, aber immerhin könnte ich das Hockeyspielen mit Reisen verbinden, würde viele neue Dinge sehen und ein anderes Land näher kennenlernen», erzählt Sturny. Ein Engagement im Ausland kam dann jedoch nicht zustande und er schloss sich dem EHC Basel an.
Schliesslich kommt ihm in den Sinn, dass ihm jemand vor langer Zeit vom australischen Eishockey berichtet hatte. Bereits für den letztjährigen Sommer 2024 peilte Jules Sturny an, die Sommerpause in Down Under zu verbringen. Doch das Vorhaben scheiterte nicht zuletzt, weil die australischen Klubs jene Importspieler bevorzugen, welche sich für eine komplette Saison verpflichten und die gesamte Spielzeit mit dem Team verbringen, die von April bis Ende August andauert. Und weil Jules Sturny als Eishockeyprofi traditionell zum Eistrainingsstart Anfang August jeweils wieder in der Schweiz sein muss, kam eine Einigung nie zustande.
Bis in diesem Jahr: Die Brisbane Lightning traten auf die Bedingungen Sturnys ein, wonach er das Team frühzeitig wieder verlassen darf. Mit grossem Online-Brimborium verkündete der Klub den Transfer auf Instagram, die Aussie-Hockeyfans konnten die ersten Einsätze des künftigen Oltner Stürmers kaum erwarten. «Mich hat beeindruckt, mit welcher Faszination das Eishockey hier gelebt wird. Die Leute strahlen eine unglaubliche Freude aus, vor allem auch, wenn ein ausländischer Spieler zum Team hinzustösst», sagt Sturny.
Viele Spieler in Australien haben einen kanadischen Hintergrund oder haben über ungewöhnliche, kuriose Wege die Leidenschaft fürs Eishockey gefunden. Einige Imports lassen ihre Karriere mit gegen 40 Jahren im australischen Hockey ausklingen und ragen dennoch mit ihrer Qualität aus dem Kollektiv hervor. So wie etwa Scott Timmins oder Ty Wishart, die für die Melbourne Mustangs spielen.
Die beiden Kanadier im Alter von 35 und 37 Jahren wurden in der NHL einst gedraftet und absolvierten in ihrer Blütezeit immerhin 24 respektive 26 NHL-Spiele für die Florida Panthers beziehungsweise Tampa Bay Lightnings und die New York Islanders. «Die Spieler hier erzählen mit grösster Bewunderung von solchen Begegnungen. Dass sie gegen solche Spieler auf dem Eis stehen dürfen, ist für die Australier etwas vom Grössten», erzählt Sturny.
Auch ihm flog die Bewunderung nach seinen ersten zwei Spielen nur so entgegen. Kein Wunder: Jules Sturny sammelte in zwei Spielen acht Skorerpunkte und war damit an sämtlichen Toren von Brisbane beteiligt. So steuerte er beim 6:5-Sieg gegen Perth ein Tor und fünf Assists bei, einen Tag später gegen dasselbe Team verbuchte er bei der 2:3-Niederlage ein Tor und ein Assist.
Jules Sturny hat eingeschlagen wie eine Bombe. Der 28-Jährige winkt umgehend ab. Seine Werte seien mit Vorsicht zu geniessen. Bei der AIHL handelt es sich nicht um eine hochprofessionelle Liga, sie dürfte qualitativ in etwa mit der Schweizer 2. Liga vergleichbar sein, auch die Rahmenbedingungen gleichen sich: Trainiert wird bloss zwei Mal wöchentlich, wobei die Hockeyspieler oftmals mit den Randstunden gegen 22 Uhr vorliebnehmen müssen, da die komfortablen Trainingszeiten nicht zuletzt auch von Short-Track-Athleten oder Eiskunstlaufenden besetzt werden.
Auch die Infrastruktur der Kunsteisbahn in Brisbane ist verblüffend: Über der hüfthohen Bande folgt bereits ein Fangnetz und nicht etwa das Plexiglas. Die Strafbänke sind nebst der Spielerbank positioniert, sodass sich der bestrafte Spieler nach Ablauf der Strafe zurück auf die Spielerbank begibt und nicht auf das Eis. Und diese Spielerbank wiederum ist in Brisbane unmittelbar vor den ersten Sitzplätzen gelegen, sodass Zuschauende nach einer guten Aktion den Spielern auf die Schulter klopfen können. «Gewöhnungsbedürftig», erzählt Sturny schmunzelnd.
In Australien wird der Eishockeysport bloss als Hobby ausgeübt, die Spieler gehen von Montag bis Freitag einem geregelten Job mit einem 100-Prozent-Pensum nach, um dann das freie Wochenende dem Eishockey zu widmen.
Insbesondere Auswärtsspiele sind äusserst zeitaufwändig, da ausnahmslos mit dem Flieger gereist wird und oftmals tausende Kilometer zurückgelegt werden müssen. Endlich mal in der Fremde angekommen, werden aus diesem Grund an einem Wochenende gleich zwei Partien gegen denselben Gegner ausgetragen, um dann nach Sonntagsspielen oftmals umgehend wieder zurückzufliegen, damit die Spieler am Montagmorgen wieder bei der Arbeit erscheinen können.
Jules Sturny spielt im australischen Eishockey ohne Salär, die Flüge von der Schweiz nach Brisbane musste er selbst berappen, genauso wie die eigenen Stöcke oder weiteres Hockeymaterial. Nur Kost und Logis sind vom Klub bezahlt und ebenso die langen Auswärtsreisen inklusive Hotelaufenthalte. Sturny wohnt in Brisbane mit weiteren ausländischen Teamkollegen in einem sogenannten Import-Haus, in welchem jeder sein eigenes Zimmer hat, eine grosse Küche teilen sie sich, wie auch zwei vom Verein zur Verfügung gestellte Autos. Im selben Haus wohnt auch der schwedische Headcoach Christer Lundqvist. «Es ist ein typisches WG-Leben», sagt Sturny.
Sturny ist der einzige Spieler im Team von Brisbane, der nebst dem Eishockey keinem Job nachgeht. Die Vereinsverantwortlichen hatten ihm einen solchen zwar angeboten, doch Sturny wollte ein solches Abenteuer auch eingehen, um das Land zu bereisen – ohne dabei den EHC Olten zu vergessen: Täglich schuftet er jeweils morgens in einem Fitnesscenter an seiner Form, um am Nachmittag den milden, ja frühlingshaften Winter Australiens bei rund 20 Grad zu geniessen. Dann steht ein gemütlicher Tag am Strand auf dem Programm, geht Wandern oder kundschaftet die Stadt Brisbane und Agglomeration aus.
Das Engagement bei Brisbane bringt immerhin das Glück mit sich, das Eishockeyspielen mit bezahlten Flugreisen zu verbinden. «Die Klubverantwortlichen sind sehr kooperativ und fragen mich bei den Flugbuchungen stets nach meinen individuellen Plänen.» Stehen die Auswärtsspiele in Perth an, will Sturny seinen Aufenthalt an der Westküste für ein paar Tage verlängern.
Jules Sturny reiste Anfang April, nur kurze Zeit nach der Niederlage im Playofffinal mit dem EHC Basel gegen Visp, frühzeitig nach Brisbane. Das Ziel war es, die Mannschaft bereits am ersten Auswärtswochenende in Melbourne zu unterstützen. Sturny reiste mit dem Team an, doch wegen Lizenzierungsproblemen verzögerte sich sein Liga-Debüt in Australien.
Der ehemalige National-League-Stürmer musste sich in der Folge wochenlang auf seinen ersten Einsatz gedulden, weil die Liga danach wegen der viertklassigen Eishockey-WM für einen Monat pausierte. Die australischen Nationalspieler reisten an die WM der Division 2A nach Belgrad und kehrten mit reichlich Erfahrung sowie Niederlagen gegen Serbien (0:3), Belgien (1:3), die Niederlande (1:5), die Arabischen Emirate (1:3) sowie einem 4:3-Sieg gegen Israel zurück nach Australien.
Jules Sturny nutzte die vierwöchige Auszeit für Reisen mit Teamkollegen nach Cairns oder Sydney, ehe er in seinen ersten beiden Spielen als die grosse spielbestimmende Figur zuschlug. Am vergangenen Wochenende fand die Aussie-Saison mit zwei Heimspielen gegen die Central Coast Rhinos aus der Nähe von Sydney endlich ihre Fortsetzung. Sturny gehörte ein weiteres Mal zu den grossen Dominatoren und verbuchte beim 7:5-Sieg ein Tor und drei Assists, am Sonntag doppelte er beim 4:2-Sieg mit zwei Treffern nach. Somit steht er nach vier Partien bei 14 Skorerpunkten.
Bis Mitte Juli lebt Jules Sturny seinen Traum vom Eishockeyspielen im Ausland, ehe er mit dem EHC Olten Anfang August pünktlich ins Eistraining startet. Ein Austausch mit Headcoach Christian Wohlwend hat bereits stattgefunden. «Ich freue mich sehr auf die kommende Saison. Ich denke, wir haben eine super Truppe beisammen.»
Doch vorerst stehen noch abenteuerliche Wochen im australischen Eishockey vor ihm. «Ich geniesse es sehr hier. Ich finde es super, dass ich in diesen Monaten regelmässig auf dem Eis stehen, Matches bestreiten kann und gleichzeitig etwas von der Welt sehe.»