Nach dem missglückten Saisonauftakt in Bern (1:3) ist eine heftige Reaktion gefragt. Sie wird 48 Stunden später gegen Gottéron geliefert. Die SCL Tigers gewinnen eine unterhaltsame Partie mit Taktik, Ruhe und Schlauheit und nicht mit wildem Energiehockey. Gute Scheibenkontrolle, bei Gelegenheit blitzschnelle Konterkombinationen und kernige Abschlussversuche. Weniger Emotionen, mehr Effizienz. Oder ganz einfach: Schablonenhockey im besten Wortsinn.
Auch der grosse «Schablonier» Kari Jalonen hätte anerkennend genickt. Perfekt funktioniert dieses neue, taktische, berechenbare Langnau allerdings erst bei günstigem Spielverlauf. 1:0 in Führung, nie im Rückstand – das erleichtert die Umsetzung enorm. Noch ist es nicht gelungen, ein Spiel nach einem Rückstand zu drehen.
Schablonenhockey? Trainer Thierry Paterlini findet diese Bezeichnung dann doch etwas übertrieben. Aber er bestätigt eine Entwicklung in diese Richtung, wenn er sagt: «Wir haben Ruhe bewahrt und wenig zugelassen.»
Es ist ein taktischer Reifeprozess, der den Langnauern viele Punkte einbringen kann. Weniger Überraschungen gegen die Titanen, aber dafür mehr Punkte gegen die Teams aus der zweiten Tabellenhälfte. Die SCL Tigers sind in den letzten Jahren trotz grossen, überraschenden Siegen gegen die Liga-Giganten vor allem wegen Punktverlusten gegen vermeintliche Hinterbänkler und die «Miserablen» gescheitert.
Schablonenhockey kann – die SCB-Fans werden es gern bestätigen – langweilig sein. Aber die SCL Tigers zelebrieren gegen Gottéron Schablonenhockey mit viel Folklore. Der Unterhaltungswert steigert sich zeitweise zu einem Crescendo der Dramatik: Beim Stand von 3:2 scheitert Chris DiDomenico in der 53. Minute mit einem Penalty am Pfosten. Nathan Marchon zieht allein gegen Stéphane Charlin und wird von hinten durch Brian Zanetti zu Fall gebracht. Dass ausgerechnet Chris DiDomenico diese goldene Penalty-Chance vergibt, ist wahrlich Folklore: Ausgerechnet der streitbare Kanadier, Held bei Langnaus Wiederaufstieg von 2015 und bei Langnaus letztem Sturm in die Playoffs 2019, wird Gottérons tragische Figur.
Langnaus taktische Rechnung geht allerdings nur auf – und wird auch künftig nur aufgehen – wenn die Ausländer treffen. Aleksi Saarela gelingt der erste Saisontreffer zum 1:0 und Juuso Riikola trifft zum 4:2. Oder noch einfacher: Ohne Tore seines ausländischen Personals kann Langnau kein Spiel gewinnen. Thierry Paterlini findet diese Aussage etwas gar polemisch, sagt aber mit leisem Schmunzeln: «Unsere Ausländer haben 50 Prozent der Tore erzielt. So kann es funktionieren …»
Weil es die Hockey-Götter an diesem milden Freitagabend gerade gut mit den Langnauern meinen, ist es auch ein Sieg für Sportchef Pascal Müller: Joshua Fahrni, letzte Saison bei SCB-Trainer Jussi Tapola in Ungnade gefallen, und Dario Allenspach, in Zug nicht mehr erwünscht, erzielen die Treffer zum 2:1 und zum 3:1. Joshua Fahrni darf heute gegen Zug das Ehrengewand des Topskorers überstreifen. Pascal Mülller hat gut transferiert.
Die Frage, wie gut die SCL Tigers tatsächlich sind, kann allerdings noch nicht seriös beantwortet werden. Ob der guten Vorsaison hoffärtig geworden (alle Spiele gewonnen) hatten sie am Mittwoch den Saisonauftakt in Bern 1:3 verloren. Die erhoffte Reaktion ist gegen Gottéron gelungen. Das bedeutet: Ja, die SCL Tigers können die Überraschungsmannschaft der Saison werden. Aber eben nur, wenn alles stimmt. Wenn sie auch nach ein paar Siegen die Demut bewahren.
Und Gottéron? Gottéron ist zumindest auf dem Papier ein Titan. Aber ist Gottéron auch auf dem Eis ein Titan? War es klug, Trainer Christian Dubé trotz eines weiterlaufenden Vertrages des Amtes zu entheben und seinen braven Assistenten Patrick Emond zum Cheftrainer zu befördern? Kann ein Team mit so vielen grossen Namen von einem Bandengeneral mit einem kleinen Namen kommandiert werden? Noch haben wir keine Antwort auf solche Fragen. Deshalb noch keine Polemik. Da seien die Hockey-Götter davor. Nur Fakten. Nichts als Fakten. Hier die Plus-Minus-Bilanzen der Schlüsselspieler aus dem Spiel in Langnau:
Sind diese Zahlen dem Zufall in einem unberechenbaren Spiel auf rutschiger Unterlage geschuldet oder vielleicht ein Zeichen an der Wand, das wir richtig deuten sollten? Wer es polemisch mag, kann eine Verschwörung der Leitwölfe vermuten.
Wäre Christian Dubé noch im Amt, dann müssten wir jetzt sagen: Es ist die Saison zu viel für den charismatischen kanadischen Selbstdarsteller. Er sollte abgesetzt werden. Aber Christian Dubé ist nicht mehr im Amt und nur noch auf Gottérons Lohnliste. Sein Nachfolger Patrick Emond profitiert nun vom milder gewordenen Herbstwetter: Es ist noch nicht erforderlich, schon jetzt einen Wintermantel zu kaufen. Das ist gut. Die Frage ist nämlich berechtigt: Wird er einen Wintermantel brauchen?
Das kommt schon gut, allez Gotteron.