Wir schreiben den 13. November 2015. Seit gut fünf Wochen läuft die neue NHL-Saison. Die kleine, aber feine Schweizer Eishockey-Kolonie in Übersee schlägt sich wacker. Es gibt die schönen Überraschungen wie Goalie Reto Berra, der sich vom Aussenseiter im Team der Colorado Avalanche zum potenziellen Nummer-1-Torhüter emporgearbeitet hat. Und es gibt die negativen Überraschungen wie Raphael Diaz, der auch am 13. November noch darauf wartet, sein erstes NHL-Spiel in dieser Kampagne bestreiten zu dürfen.
Dabei hätte der Sommer für Diaz gar nicht besser beginnen können. Bereits am 1. Juli hatte er ein Vertragsangebot der New York Rangers in der Tasche und war damit zum frühstmöglichen Zeitpunkt alle seine Sorgen los. Im Jahr zuvor hatte Diaz bis kurz vor dem Saisonstart um einen neuen NHL-Kontrakt zittern müssen, ehe ihn die Calgary Flames unter Vertrag nahmen.
Doch während er in der Saison 14/15 immerhin über 60 Spiele für die Flames bestreiten durfte, fristet der 29-Jährige derzeit trotz eines mit garantiert 700'000 US-Dollar dotierten Vertrags ein tristes Dasein im Farmteam der New York Rangers, den Hartford Wolf Pack, in der AHL. Doch wie kann es sein, dass ein durch und durch solider Mann wie Raphael Diaz, der mit seiner für NHL-Standard bescheidenden Lohnsumme eines der besten Preis-Leistungs-Verhältnisse der Liga besitzt, derart zwischen Stuhl und Bank geraten ist?
Nun: Diaz ist gleichzeitig ein Opfer der Politik, der Umstände, des Pechs und irgendwie auch seiner selbst geworden. Der Politik, weil sich die Verantwortlichen der New York Rangers am Ende der Vorbereitung, als sie ihr NHL-Kader bestimmten, gegen den Schweizer und für den jüngeren Dylan McIlrath entschieden. McIlrath (23) ist ein Erstrunden-Draft der Rangers aus dem Jahr 2010 und geniesst deshalb eine Art Artenschutz.
Das heisst, dass man ihm die grössere Chance gibt, sich in der NHL zu bewähren als einem Spieler wie Diaz, der letztlich froh sein kann, dass man ihm überhaupt einen NHL-Vertrag angeboten hat. Deshalb nahmen die New Yorker auch das Risiko in Kauf, Diaz auf den «Waivers» zu verlieren, als sie ihn die AHL schickten (jeder Spieler mit einen sogenannten Einweg-NHL-Vertrag darf von jedem der 29 anderen NHL-Teams gratis übernommen werden, wenn er ins Farmteam spediert wird).
Dass Raphael Diaz trotz seines günstigen Vertrags für kein anderes Team interessant war, ist den aktuellen Umständen in der NHL geschuldet. Die meisten Teams setzen auf den unwichtigeren Positionen (Diaz wäre der klassische 5. oder 6. Verteidiger) vermehrt auf jüngere, noch günstigere Spieler oder eigene Junioren (wie eben McIlrath bei den Rangers). Für Spieler wie Diaz wird es deshalb je länger, je schwieriger, sich einen Platz in der Liga zu erkämpfen.
Kommt der Faktor Pech dazu: Normalerweise wird jede NHL-Mannschaft relativ schnell vom Verletzungspech heimgesucht, sodass sich Einsatzchancen für die überzähligen bzw. Farmteam-Spieler ergeben. Die New York Rangers hatten in den ersten 15 Spielen aber genau 0 Ausfälle von Verteidigern zu verzeichnen. McIlrath kam bisher dreimal zum Einsatz. Aber nur, weil der Trainer einem der sechs Stammverteidiger einige Denkpausen verordnete.
Bleibt noch der selbst verschuldete Aspekt: Raphael Diaz ist kein Mann der lauten Töne. Im Gegenteil: Er entspricht so ziemlich dem Idealbild des Musterprofis, der seinen Job ohne zu murren gewissenhaft erledigt. Solche Spieler sind für jeden Trainer und Manager einfach handzuhaben, weil sie nie für Ärger sorgen und jede Rolle übernehmen, die man ihnen gibt.
Diaz hat sich in den letzten Jahren vor lauter Mädchen-für-alles-Spielen quasi selbst aufgegeben und seine Identität verloren. Ein Beispiel: Yannick Weber (27) ist im Vergleich zu Raphael Diaz der weniger talentierte Verteidiger, hat aber eine Nische als Powerplay-Spezialist gefunden und ist in seiner Domäne so erfolgreich, dass er inzwischen einen Stammplatz bei den Vancouver Canucks hat und mehr als doppelt so viel verdient als der talentiertere Diaz.
Wie geht es nun weiter? Raphael Diaz ist immer noch in der Warteschlaufe. Eine erste Deadline Ende Oktober liess er verstreichen, weil er zu jenem Zeitpunkt sowieso verletzt war. Doch die Geduld des 66-fachen Nationalspielers wird bald am Ende sein.
Vorderhand zeichnen sich bei den Rangers, denen es derzeit hervorragend läuft, keinerlei Personalrochaden ab. Und damit rückt auch der Tag immer näher, an welchem Diaz und sein Agent Daniel Giger auf eine Auflösung des Vertrags drängen werden. Damit dies geschieht, müssten die Rangers Hand dazu bieten. Ob die allerdings Interesse daran haben, einen zuverlässigen und billigen Ergänzungsspieler zu verlieren, ist wiederum alles andere als sicher.
Klar ist aber: Wenn Raphael Diaz unbedingt will, dann wird er in die Schweiz zum EV Zug, wo er noch einen für diese Saison gültigen Vertrag besitzt, zurückkehren. Dann ist aber auch klar, dass der Traum von der NHL-Karriere wohl endgültig geplatzt ist.
Oft wurde er als Boxplay Spezialist eingesetz.
Aber ich ziehe vor ihm den Hut. Anders als Reto von Arx, Michel Riesen, Damien Brunner und Roman Wick hat er das Durchhaltevermögen und den Biss, der den Schweizern lange Zeit fehlte.
Er wird als anderer noch viel besserer Spieler in die Schweiz zurückkehren.
Oder vlt geht das Türchen doch noch auf.