Ist Österreich wirklich ein «Freilos» im WM-Viertelfinal, wie es watson-Eismeister Klaus Zaugg beschrieben hat? Oder ist es eine Stolperfalle par excellence? Vermutlich steckt in beiden Aussagen etwas Wahrheit. Klar ist: Die Nati ist heute Favorit. Sie muss aber auch einige Dinge beachten, wenn es keine Blamage sein soll.
Ja, die Schweiz ist in diesem Spiel der klare Favorit. Ja, das österreichische Kader kann im Normalfall nicht mit jenem der Schweiz mithalten. Das alles garantiert aber noch längst keinen lockeren Sieg für die Nati im Viertelfinal. Österreich hat an dieser WM schon gezeigt, zu was es fähig ist, wenn man es unterschätzt. Gegen Schweden (2:4) und Finnland (1:2) zum Turnierauftakt schnupperte die Austria-Auswahl an den Sensationen und verpasste diese nur knapp.
Auch die Schweiz kann ein Lied davon singen, wie unangenehm Spiele gegen Österreich sein können. 2018 gewann man zum WM-Auftakt erst nach Verlängerung mit 3:2. Vor einem Jahr lag man trotz der NHL-Spieler Roman Josi, Nico Hischier, Nino Niederreiter und Philipp Kurashev zwischenzeitlich mit 1:3 zurück und gewann am Ende knapp mit 6:5. Das zeigt: Die Einstellung der Schweizer muss stimmen, ansonsten geht es schnell in die falsche Richtung.
Österreich kommt an dieser WM hauptsächlich auf eine Art und Weise zu seinen Chancen und Toren: blitzschnelle Rush-Angriffe. 13 seiner insgesamt 18 Tore aus dem Spiel heraus hat das Team von Roger Bader in solchen Rush-Angriffen erzielt. Es ist, als wäre Arno Del Curto im Geist immer noch bei der Mannschaft. Die Österreicher spielten kluge, lange Pässe und überforderten mit ihrem Tempo selbst einige der besten Verteidiger der Welt, fast wie es der HC Davos zu Del Curtos Zeiten ebenfalls gemacht hat.
Das Spielsystem von Roger Bader, der in den letzten Jahren regelmässig von seinem guten Freund Del Curto unterstützt wurde, ergibt natürlich Sinn. Österreich hat, gerade gegen die grösseren Nationen, nicht die Qualität, um selbst ständig das Spiel zu machen. Also ziehen sie sich etwas zurück und schlagen dann, sobald sich die Chance bietet, mit diesen blitzschnellen Kontern zu. Das musste am Dienstag zum Abschluss der Gruppenphase auch Lettland bitter erfahren, das bei sechs Gegentoren viermal ausgekontert wurde.
Dass die Schweizer Nati in der Viertelfinal-Affiche zu favorisieren ist, zeigt sich beim Blick auf die Leistungsträger der jeweiligen Teams. In Patrick Fischers Mannschaft sind es diverse NHL-Spieler und Stars aus der hiesigen National League. Bei Roger Baders Österreich sind es … ebenfalls die (teils ehemaligen) National-League-Spieler, die das Geschehen prägen.
Die Stürmer Dominic Zwerger (Ambri, 3 Tore, 4 Assists), Vinzenz Rohrer (ZSC, 4 Tore, 2 Assists), Benjamin Baumgartner (Bern, 2 Tore, 1 Assist) und Peter Schneider (Ex-Biel, 2 Tore, 5 Assists) bilden gemeinsam mit Österreichs einzigem NHL-Spieler Marco Kasper (Detroit, 4 Tore, 3 Assists) und Captain Thomas Raffl (Salzburg, 1 Tor, 1 Assist) das Gerüst des Teams. Neben diesem Sextett haben nur drei andere Austria-Stürmer an dieser WM noch einen oder mehr Punkte gesammelt: Brian Leibler (1 Tor, 2 Assists), Lukas Haudum (2 Assists) und Lucas Thaler (1 Assist).
Das zeigt relativ deutlich: Nimmt man die ersten beiden Linien aus dem Spiel, kommt von Österreich im Normalfall nicht mehr viel. Die Schweiz sollte über genügend defensive Qualität verfügen, um das zu schaffen.
Am Ende geht es aber darum, dass sich die Schweizer auf die eigenen Stärken besinnen. Die Mannschaft von Patrick Fischer verfügt läuferisch und technisch über mehr Qualität. Wenn sie das auch ausspielen, dann wird Österreich zwangsläufig Probleme kriegen. Nur Norwegen hat noch mehr Zweiminutenstrafen kassiert als unser östlicher Nachbar. Das zeigt, dass sie nicht in der Lage sind, ihre Gegner nur mit fairen Mitteln zu stoppen. Und das Schweizer Powerplay war an dieser WM mit einer Effizienz von über 30 Prozent absolut tödlich.
Und im Gegensatz zu Österreich ist die Schweiz nicht nur von zwei Sturmlinien abhängig. Christoph Bertschy ist der einzige Nati-Spieler, der noch nicht gepunktet hat. Aber auch er strahlt – wie das ganze Team von den Verteidigern bis zu den Stürmern – regelmässig Torgefahr aus.
Alle vier Sturmlinien und auch alle Verteidiger der Nati können Tore und Assists beisteuern. Selbst wenn Austria-Trainer Roger Bader seine besten zwei Linien forciert, werden irgendwann auch die anderen Spieler auf dem Eis stehen. Insbesondere aus diesen Momenten muss die Nati Kapital schlagen – dann sollte einer neuerlichen Halbfinalqualifikation nichts mehr im Weg stehen.