Pflegen wir für einmal ein bisschen «Historia Eventualis». Alternative Geschichte. Was wäre, wenn. Nehmen wir also an, Tomas Tamfal würde aktuell die Kloten Flyers trainieren. So wie im Herbst 2012. Und Sportchef wäre noch immer Wolfgang Schickli und nicht André Rötheli.
Nach dem miserablen Saisonstart – vier Spiele, vier Niederlagen und insgesamt 12 Pleiten in Serie in Pflichtspielen – wäre das Geschrei jetzt gross. Die Medien würden mit einer Stimme sprechen und die Absetzung von Tomas Tamfal und die Entlassung von Wolfgang Schickli fordern. Es sei ja klar, dass einer wie Tamfal, der bisher nur Junioren trainiert habe, überfordert sei.
Das zeige die ungenügende Defensivorganisation und die fehlende offensive Durchschlagskraft. Typisch sei auch das Operetten-Powerplay. 16 Minuten und 7 Sekunden konnten die Flyers gegen die ZSC Lions in Überzahl spielen. Die Bilanz: Ein Gegentor!
Die Handschrift des Trainers sehe man eben am klarsten beim Powerplay. Die Klotener haben das Derby gegen den Meister 0:2 verloren. Die Bilanz des Saisonstartes: Vier Spiele, null Punkte und 5:17 Tore! Der Boulevard würde fordern: Handeln Sie, Herr Gaydoul!
Kritik würde auch auf den Sportchef niederprasseln. Er habe Fehler gemacht, die halt typisch seien für einen Manager ohne jede Erfahrung im Hockeygeschäft. Es sei nachgerade fahrlässig, die Saison nur mit drei Ausländern zu beginnen. Einer, der sich im Hockey-Business auskenne, hätte auch niemals den Vertrag mit James Vandermeer vorzeitig verlängert.
Der Kanadier ist ja mit einer statistischen Brille (0 Tore, 0 Assists) und einer verheerenden Minus-6-Bilanz nach vier Partien einer der schlimmsten Versager. Der Boulevard würde fragen: Wie lange schaut Herr Gaydoul wohl noch zu?
Als in Kloten im September 2012 Tomas Tamfal an der Bande stand und Wolfgang Schickli im Managerbüro sass, wurden mit zwei einsatzfähigen Ausländern (!) immerhin zwei der ersten vier Spiele gewonnen. Aber die Kritik war von allem Anfang an heftig. Tamfal und Schickli konnten machen und sagen was sie wollten, sie hatten gar nie eine Chance. Weil sie keinen Namen hatten.
Ob der verheerenden Bilanz der Kloten Flyers im Herbst 2014 wird kein Geschrei in den Medien erhoben. Alle Ausreden werden für gut und weise befunden, abgedruckt und gesendet. Alle sind sich einig: Es kommt schon gut. Warum ist das so? Weil Namen eben doch nicht bloss Schall und Rauch sind.
An der Bande steht eben Cheftrainer Felix Hollenstein. Die charismatischste Klotener Persönlichkeit der neueren Geschichte. Sozusagen Klotens «Hockey-Gott». Leitwolf von vier Meisterteams. Als Assistent bei drei Finals an der Bande.
Er stürzte zwar mit dem Team 2013 in die Playouts. Aber bereits 2014 hatte er die Playoutisten in Finalisten verwandelt. Eher gibt es einen Pornoskandal im Vatikan als Kritik an Felix Hollenstein. Niemand wagt auch nur daran zu denken, die Frage zu stellen, ob Hollenstein gefeuert werden könnte.
Im Sportchefbüro sitzt André Rötheli. Einer der grössten Spieler der letzten 30 Jahre. Meister mit Zug, Lugano und Bern. Bekannt als TV-Experte. Niemand hinterfragt seine konzeptlose und teure Transferpolitik.
Was Tomas Tamfal und Wolfgang Schickli harsche Kritik und schliesslich den Job kostete, das und noch viel mehr wird Felix Hollenstein und André Rötheli wohlwollend verziehen.
Wir sehen also: Die Magie der grossen Namen wirkt. Felix Hollenstein und André Rötheli werden noch eine ganze Weile von ihrer «Immunität» profitieren. Die beiden Kaiser haben zurzeit zwar keine Kleider mehr an. Aber kein Kind ist da wie im Märchen («des Kaisers neue Kleider») und ruft: «Aber seht doch, die Kaiser sind ja nackt ...»
Wenn Felix Hollenstein und André Rötheli die Magie ihrer grossen Namen zur Wende nützen, dann sind sie tatsächlich grosse Strategen unseres Eishockeys und ich verneigte mich so tief ich es vermag. Manchmal lohnt es sich ja tatsächlich, in der Krise Ruhe zu bewahren und geduldig weiter zu arbeiten. Dann wird am Ende alles gut.
Im September 2011 verlor Bob Hartley mit den ZSC Lions vier der ersten sechs Spiele. Niemand wagte es, den hoch dekorierten NHL-General (Stanley Cup-Sieger) in Frage zu stellen. Es reichte in der Qualifikation gerade mal für den 7. Schlussrang. Aber die ZSC Lions holten den Titel.
Es könnte also Kloten mit Felix Hollenstein und André Rötheli im Frühjahr 2015 durchaus zum ersten Titel seit 1996 reichen.
Zum Schluss noch einmal ein bisschen «Historia Eventualis» und Boshaftigkeit. Wie weit wären die Kloten Flyers wohl im Frühjahr 2013 mit Tomas Tamfal und Wolfgang Schickli gekommen? Als Tamfal gefeuert wurde, stand das Team auf einem Playoff-Platz.