Die Zuger dominieren (41:26 Torschüsse) und obsiegen gegen Titelverteidiger SC Bern 4:2. Sie müssen zwar den Ausgleich hinnehmen (zum 1:1), geraten aber nie in Rückstand.
Alles klar? Noch nicht. Erst müssen wir eine definitive Antwort auf die Frage finden, wie stark die Zuger bei diesem Startspiel erschüttert worden sind.
Es hat nämlich ganz ordentlich gerumpelt. In der 6. Minute prallt Zugs Yannick-Lennart Albrecht (190 cm/92 kg) auf offenem Eis mit Berns Leitwolf Simon Moser (187 cm/97 kg) zusammen. Alles legal. Zugs Trainer Dan Tangnes wird nach dem Spiel sagen: «Ein korrekter Check.»
Yannick-Lennart Albrecht wird so durchgeschüttelt, dass er das Spiel nicht mehr fortsetzen kann. Er hat nur 95 Sekunden gespielt. Symptome einer Gehirnerschütterung. Noch ist offen, ob er morgen in Bern aufs Eis zurückkehren kann. Simon Moser merkt kaum, dass da etwas war. Ein Mann aus härtestem Hartholz.
Den Ausfall des kräftigen Defensivstürmers können die Zuger verkraften. Aber in der 11. Minute kracht es schon wieder. Diesmal in Bandennähe.
Raphael Diaz (181 cm, 89 kg) kollidiert mit Alain Berger (193 cm/92 kg). Mit Berns holzhändigem Hartholzflügel und Bandenhobler. Der stämmige Bruder von Langnaus Captain Pascal Berger hat schon doppelt so viele Meistertitel (4) gefeiert wie Skorerpunkte in dieser Saison gebucht.
Auch Alain Berger muss – wie zuvor Simon Moser – nach dem Zusammenprall bloss ein wenig den Helm geraderichten, den Sturmriemen festzurren und die Schulterschoner justieren. Zugs Verteidigungsminister revanchiert sich noch mit Stockhieb. Wofür er mit 2 Minuten bestraft wird. Aber er ist bis in die Grundfesten erschüttert worden, verschwindet in der Kabine und kehrt nicht mehr zurück. «Groggy» wie Jannick-Lennard Albrecht war er offenbar nicht. «Wir wissen nicht, ob er in Bern wieder spielen kann», sagt Dan Tagnes. Und wenn er es wüsste, dürfte er es nicht sagen.
Einen Ausfall von Raphael Diaz würde Zug zu schaffen machen. Der Captain ist ein charismatischer Leitwolf mit feinen Händen (diese Saison schon 27 Punkte) und der besten Plus/Minus-Bilanz (+31) der gesamten Liga. Er würde Zug vorne und hinten, auf dem Eis und in der Kabine, ganz einfach allenthalben, allerorten und ringsum fehlen.
«Ich glaube, wir haben ein Statement hinterlassen». Head Coach Mario Kogler nach dem Playoff 1/4-Final Spiel 1 gegen den @official_EVZ. #SCBern #EVZSCB #bärnrockt pic.twitter.com/4WFUQwHdPr
— SC Bern (@scbern_news) April 13, 2021
Mit Härte, Mut, Willen, Zähigkeit, Kraft und Zuversicht gelingt es dem SCB, das Tempo der Zuger nach einem Blitzstart (Dario Simion trifft schon nach 38 Sekunden zum 1:0) zu drosseln. Der SCB zeigt noch immer die meisterliche Härte von 2017 und 2019.
Aber am Ende steht eben doch ein 4:2. Zugs Trainer bringt es auf den Punkt: «Es war kein perfektes Spiel.» Aber vielleicht sei das auch besser so. Auf eine entsprechende Frage sagt er, Gründe für eine schlaflose Nacht sehe er keine.
Der SCB hat das erste Spiel verloren. Aber nicht den Mut, die Verwegenheit und die Zuversicht. Berns Härte, Wasserverdrängung und Kraft werden in diesem Viertelfinal womöglich noch eine so wichtige Rolle spielen wie Zugs Tempo und Technik.
Es gibt allerdings auch eine Szene, die den Zuger mehr Mut machen müsste als alles Zureden. Sie spielten Powerplay. Der nordische Riese Carl Klingberg (190 cm/98 kg) schiebt sich vor das Tor der Berner. Dort versucht ihn Beat Gerber, der tapferste der Tapferen, einer der erfahrensten, zähsten und unerbittlichsten defensiven Defensivverteidiger der Liga am «Einlochen» zu hindern.
Es ist vergebliche Liebesmühe. Carl Klingberg erzwingt das vorentscheidende 3:1. Beat Gerber ist halt nur 178 Zentimeter gross und 87 Kilo schwer. Zu klein und zu leicht.
Die Zuger können also, anders als in den Finals von 2017 und 2019, auch Zweikampf. Sie sind robuster geworden. Die Balance zwischen Technik und Kraft, Taktik und Kreativität, Tempo und Härte, zwischen Handwerk und Kunst scheint besser zu sein als 2017 und 2019.
Aber dieses Ringen des tapferen kleinen SCB-Verteidigers und sechsfachen Meisters mit dem schier übermächtigen Titanen der Zuger Offensive sagt uns noch etwas: Beat Gerber, aufgewachsen auf der sturmumtosten Hochebene zwischen Emmental und Berner Oberland, hatte sich nicht einschüchtern lassen. Er steht gleichsam als Symbolfigur für diesen letzten grossen, schweren Kampf des Titelverteidigers gegen einen himmelhoch favorisierten Herausforderer.
Noch sitzen die rauen Berner beim Ritt in die Abendröte ihres meisterlichen Ruhmes aufrecht in den Sätteln. Zug gewinnt zwar diese erste Partie wie allseits prophezeit und erwartet. Aber ihr letzter Widerstand erlischt erst mit der letzten Sirene. Nachdem sie alle Register (Torhüter vom Eis, Time-Out) gezogen haben.
Jedoch: die Balance zwischen Technik und Kraft, Taktik und Kreativität, Tempo und Härte, zwischen Handwerk und Kunst ist beim Meister nicht mehr ganz so gut wie 2017 und 2019.
An Simon Moser lässt sich aufzeigen, dass die Berner zwar nichts von ihrem meisterlichen Einschüchterungspotenzial eingebüsst haben, wohl aber an spielerischer Klasse. 2017 hat der SCB-Captain in den Playoffs zwölf und zwei Jahre später im Frühjahr 2019 zehn Punkte produziert. 2017 hat er im ersten Finalspiel gegen Zug (5:0) drei Skorerpunkte und 2019 beim missglückten Finalstart gegen den gleichen Gegner (1:4) immer noch einen Punkt beigesteuert.
Nun ist er in den Pre-Playoffs gegen Davos und gestern leer ausgegangen. Er hat womöglich gar die Wende verpasst. Kurz vor Ende des ersten Drittels bringt er frei stehend den Puck nicht zum 2:2 ins Netz. Yannick-Lennart Albrecht durchzuschütteln ist eben einfacher als Leonardo Genoni zu bezwingen.
Kehren wir noch einmal zur anfangs gestellten Frage zurück: Wie stark hat der SCB die Zuger erschüttert? Nach eingehender Analyse dürfen wir sagen: stark.
Aber am Ende zählen – wie wir am Beispiel von Simon Moser sehen – die Tore.
Nicht die Checks.
Detail am Rande: Das Timeout hat Zug genommen, nicht Bern.
Bern kommt direkt aus den PPOs und ist schon im PO Modus.
Ich denke nicht, dass Zug erschüttert wurde, aber sicher für die POs wachgerüttelt.