Nächste Saison sind – wenn es einen Aufsteiger gibt – sechs ausländische Spieler erlaubt. Wohl dem, der dann gutes ausländisches Personal löhnen darf. Das geringste Risiko geht ein Sportchef bei der Rekrutierung ein, wenn er einen Ausländer holt, der sich in der Liga bereits bestens bewährt hat. Um das zu wissen, muss ein Sportchef nicht einmal die Sekundarschule besucht haben.
Biels Martin Steinegger hat sich bereits Liga-Topskorer Jesper Olofsson gesichert. Und nun zeichnet sich ab, dass Langnau wohl auch Alexandre Grenier, den drittbesten Liga-Skorer verlieren wird. Wie bei Jesper Olofsson ist es nicht eine Frage des Geldes.
Der Kanadier, ganz Musterprofi, äussert sich nicht zu Transfergerüchten. Aber Gewährsleute aus der Business-Klasse der Verlässlichkeit melden: Muss Trainer Jason O’Leary in Langnau gehen, geht auch Alexandre Grenier. Was ihm leichtfallen wird: Er hat unter anderem die Chance, bei Gottéron Chris DiDomenico zu ersetzen.
So konkret mag es Sportchef und Trainer Christian Dubé zwar nicht bestätigen. Aber welch kluger Diplomat er ist, zeigt die Art und Weise, wie er auf eine entsprechende Frage des Chronisten reagiert. Im Originalton, damit keine Missverständnisse entstehen.
Ob Alexandre Grenier seinen Landsmann Chris DiDomenico (nächste Saison beim SCB) ersetzen kann, hängt also auch davon ab, ob er weiterhin einen tipptoppen Eindruck macht. Er ist durchaus ein ähnlicher Typ: ein vorzüglicher, schlauer Spielmacher und ein kaltblütiger Vollstrecker und dank hoher Spielintelligenz als Flügel und Center geeignet. Nicht so temperamentvoll und hitzig wie Chris DiDomenico. Dafür pflegeleichter und berechenbarer für den eigenen Coach. Und mit 30 bringt er die Erfahrung mit, die ein Schlüsselspieler in einer Mannschaft braucht, die Meister werden will.
Von mehreren Interessenten (zu denen auch Ambri gehört, aber nicht Lugano und Biel) ist Gottéron für den Kanadier eigentlich die attraktivste Option. Er hat das Potenzial, um hier Kultstatus zu erlangen.
Wer ist eigentlich Alexandre Grenier? Sicher der interessanteste Spieler auf dem Transfermarkt. Selbst wenn Marc Eichmann noch hundert Fehltransfers machen und es nicht schaffen sollte, den Vertrag mit dem Kanadier zu verlängern: Der Ehrenplatz in der Ruhmeshalle des Sportchefs ist ihm als «der Mann, der Alexandre Grenier in die National League holte» auf sicher.
Alexandre Grenier ist mit einer NHL-Postur (195 cm, 91 kg) für unsere Liga ein Titan. Grosse Spieler wirken optisch ohnehin unbeweglicher und langsamer, als sie tatsächlich sind. Daher wohl der Irrtum, er sei für die National League nicht schnell genug. Und dazu kommt, dass er unter dem Helm, hinter dem Visier und mit seiner Zahnlücke den optischen Eindruck eines bärbeissigen Rumpelstürmers erweckt. Nichts von allem trifft zu.
Alexandre Grenier ist in Zivilkleidung ein cooler, charismatischer und sehr gut aussehender junger Mann wie die Daddys in den amerikanischen Familienfilmen. Nur die Zahnlücke lässt erahnen, dass er möglicherweise einer nicht ganz ungefährlichen Tätigkeit nachgeht. Aber diese Zahnlücke – er ist von einem Puck im Gesicht getroffen worden – unterstreicht seinen lausbübischen Charme. Und auf dem Eis ist er viel mehr smarter Künstler als wuchtiger Brecher. Mit Händen wie ein Pianist und einer Spielintelligenz, die seine fehlende Explosivität bei weitem kompensiert. Sanft in der Art, stark in der Tat. In lichten Momenten mahnt er ein wenig an Mario Lemieux, einen der grössten der NHL-Geschichte.
Alexandre Grenier ist eben einer, der in jeder Hinsicht positiv irritiert. Obwohl Frankokanadier, spricht er ein Englisch ohne französischen Einschlag und französisch reiner als die Pariserinnen und Pariser. Obwohl er, wie jeder kanadische Junge, im Winter mit seinen Kumpels bei jeder Gelegenheit Hockey gespielt hat, ist seine Karriere keine typisch kanadische, getrimmt auf das Traumziel National Hockey League (NHL). Sein Vater hat keine Hockey-Vergangenheit. Als sportliches Multitalent investiert er seine Energie nicht nur ins Hockey: «Ich war wohl das, was man hyperaktiv nennt.»
Für den Einstieg ins Hockey muss er gar zahlen. «Gegen eine Gebühr durfte ich ins Trainingslager einrücken und dort bin ich entdeckt worden.» Er ist schon 16, als er mit geregeltem Hockey-Training beginnt und bereits 19, als er auf der höchsten kanadischen Juniorenstufe in der Quebec Major Junior Hockey League (QMJHL) angekommen ist. In dem Alter haben andere schon ihr NHL-Debüt hinter sich.
Mit 25 kommt auch er in der NHL an. Aber in der Organisation der Vancouver Canucks reicht es lediglich zu neun Partien ohne Skorerpunkte und zu einem Maximalsalär von 650'000 Dollar brutto. Die meiste Zeit verbringt er in den Farmteams. Dort sind seine Statistiken gut: 444 Partien (264 Punkte) in der American Hockey League (AHL). Er ist im Niemandsland einer nordamerikanischen Karriere angekommen: viel zu talentiert für die AHL. Aber nicht gut genug für die NHL. Und so ist 2019 der Schritt nach Europa in die Deutsche Eishockey Liga (DEL) logisch. Die Statistik aus zwei DEL-Saisons ist beeindruckend: 70 Spiele und 65 Punkte. Mit Trainer Jason O’Leary kommt er schliesslich im Sommer 2021 von Iserlohn nach Langnau.
Alexandre Grenier ist weder auf noch neben dem Eis ein rauer Kerl. Eher eine Künstlernatur. Seine Mutter – sie kommt aus Polen – gehört unter dem Namen Berta Tyrala zu den angesagtesten Malerinnen in den USA. Im nächsten Frühjahr wird er Vater und auf dem Handy hat er die Fotos des künftigen Kinderzimmers gespeichert. Die Wände hat seine Mutter mit wunderschönen Malereien von Märchenfiguren geschmückt.
Zur Künstlernatur passt die Gelassenheit, mit der Alexandre Grenier seine Situation sieht. Langnau ist für ihn weder Dorf noch Provinz. Er ist im urbanen Kanada aufgewachsen und sieht Langnau eher als ruhigen Vorort. «Bis in die nächste Stadt, nach Bern, Luzern oder Thun ist es ja nicht weit und auch in Zürich ist man schnell». Gewöhnt an die Verhältnisse in Montréal oder Toronto sagt er: «Hier hat es ja kaum Verkehr auf den Strassen.»
Dass es in Fribourg mehr Verkehr hat, würde ihn kaum stören, und die Stadt mit ihrem ganz besonderen welschen Charme würde ihn ein wenig an Montréal erinnern. Es hat eben schon seinen Grund, warum Fribourg vor der Gründung unseres Bundesstaates (1848) als kleine Schwester von Paris bewundert worden ist.
Es ist zwar nach wie vor nicht gänzlich ausgeschlossen, dass Alexandre Grenier in Langnau verlängern wird. Aber eben: dann müsste auch Jason O’Leary bleiben.
Langnaus Sportchef Marc Eichmann ist in dieser Sache wahrlich in Teufels Küche geraten.
Mario 66
MikeT