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Eishockey: Wie Davos-Trainer Wohlwend zum Märtyrer gemacht wird

Der Davoser Head Coach Christian Wohlwend hinter der Bande beim Schreien, in Spiel 6 des Playoff 1/4 Final Eishockeyspiels der National League beim Eishockey Spiel der National League zwischen dem HC  ...
Christian Wohlwend verlor im zweiten Spiel gegen Zug die Nerven – wird er nun zum «Davoser Märtyrer»?Bild: keystone
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Wie ein Schiedsrichter aus dem Lausbuben Christian Wohlwend einen Märtyrer macht

HCD-Trainer Christian Wohlwend rastet nach dem Siegestreffer der Zuger aus. Natürlich sollte er das nicht tun. Aber nun ist er intern so etwas wie der heimliche Sieger.
12.04.2022, 01:1412.04.2022, 12:27
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Die Partie steht 1:1. Nach 58,08 Minuten schickt Schiedsrichter Daniel Stricker HCD-Verteidiger Jesse Zgraggen wegen eines Stockschlages auf die Strafbank. Die Zuger nützen den Ausschluss 15 Sekunden vor Schluss zum Siegestreffer. HCD-Trainer Christian Wohlwend rastet aus und schmeisst mehrere Trinkflaschen Richtung Schiedsrichter. Die stehen allerdings weit ausser Wurfweite.

Zu dieser Strafe wird viel Unsinn verbreitet. Es ist kein Fehlentscheid. Regeltechnisch ist diese Strafe hundertprozentig korrekt. Sie basiert auf dem Regelbuch.

Regel 183, Absatz IV sagt nämlich unmissverständlich:

«Einem angreifenden Feldspieler ist es nicht erlaubt, mit dem Stock nach dem Handschuh des Torhüters zu stossen, zu klopfen oder zu schlagen, nachdem der Torhüter den Puck hielt, egal, ob der Handschuh auf dem Eis oder in der Luft ist.»

Die zwei Minuten für diesen Regelverstoss werden mit dem Zeichen «Stockschlag» beim Zeitnehmerhäuschen gemeldet. Deshalb läuft das Vergehen von Jesse Zgraggen unter der Rubrik «Stockschlag».

Für dieses «Nachstochern» des HCD-Verteidigers KANN also gemäss Regelbuch eine Zweiminutenstrafe ausgesprochen werden. Aber diese Strafe ist nicht zwingend notwendig. Sie MUSS nicht ausgesprochen werden. Ermessensspielraum. Wir haben es hier mit einem korrekten, aber äusserst unglücklichen Schiedsrichter-Entscheid zu tun. Mit fehlendem Fingerspitzengefühl. Das ist etwas ganz anderes als ein Entscheid, der durch das Regelbuch nicht gestützt wird. Also: kein Fehlentscheid.

Solche Strafen werden in solchen Situationen in der Startphase ausgesprochen. Um den Spielern zu signalisieren: Wir schützen die Torhüter! Lasst das! Oder in der Schlussphase einer längst entschiedenen Partie, wenn noch ein wenig kompensiert wird.

Aber kein Schiedsrichter, der bei Sinnen ist, spricht eine solche Strafe in den beiden letzten Minuten eines Playoffspiels beim Stand von 1:1 aus. Daniel Stricker hat diese Partie entschieden und gegen ein ungeschriebenes Gesetz verstossen: Lasst die Spieler Spiele entscheiden. Wir haben es hier mit miserablem «Game Management» zu tun. Aber eben nicht mit einem Fehlentscheid.

Der Temperamentsausbruch von Christian Wohlwend hat natürlich Folgen. Um es im Ostschweizer Dialekt zu sagen: Da taar me nööd. Die Ligaführung hat als Gralshüterin der guten Sitten beim Einzelrichter ein Verfahren beantragt. Das wäre eigentlich nicht mehr nötig gewesen. Die Integrität der Schiedsrichter ist weder verbal noch auf sonst eine Weise verletzt worden. Die Unparteiischen standen weit ausserhalb des «Gefahrenbereiches». Alles, was es hier zu beanstanden gibt, ist fehlender Anstand. Christian Wohlwend wird eine wohlverdiente Busse aufgebrummt bekommen. Und sich dann, wenn er die Banküberweisung tätigt, noch ein zweites Mal ärgern.

Klüger wäre es gewesen, die Sache nun ruhen zu lassen. Christian Wohlwend ist mit einer Spieldauerdisziplinarstrafe belegt worden. Das hätte gereicht. Aber nun wird mit dem Verfahrensantrag der Liga die Sache erst recht aufgekocht. Und auf einmal wird Christian Wohlwend zum Märtyrer. Wer sich sonst nicht mit Hockey befasst, findet das Verhalten des HCD-Coaches degoutant. In Hockeykreisen aber findet er durchaus Verständnis: Ein Playoffspiel wegen eines solchen unglücklichen Schiedsrichterentscheides verlieren – da haben sehr, sehr viele Verständnis. Sagen es aber nicht.

Christian Wohlwend ist schon mit einigen verbalen Aussetzern in die Kritik geraten. Zuletzt wegen öffentlicher Zusammenfaltung seines Torhüters Sandro Aeschlimann. Das goutieren weder Spieler noch Fans noch Verwaltungsräte. Dafür gibt es kein Verständnis. Schon gar nicht beim HCD, wo auf die Aussenwahrnehmung so viel Wert gelegt wird.

Aber wenn ein unglücklicher Schiedsrichterentscheid, der zur Niederlage führt, der Grund für einen Temperamentsausbruch ist, dann ist die Sache eine andere. Dann ist der Coach nach innen sozusagen der Märtyrer, der sich für seine Jungs «opfert». Und da mit dem Begehr um Untersuchung (Verfahrenseröffnung) von höchster Stelle, von der Liga, der Sache erst richtig Bedeutung gegeben wird, mutiert Christian Wohlwend vom Lausbuben zum Märtyrer. Denn die Unsinnigkeit der Strafe ist ja für alle offensichtlich. Dem HCD-Feuerkopf hilft der populistische Reflex: «Wir allein gegen die Schiedsrichter- und Ligamafia aus dem Unterland.» Schiedsrichter Daniel Stricker hat Christian Wohlwend unfreiwillig zum Märtyrer gemacht. Es ist das erste Mal, dass es einen mehr oder weniger verständlichen, sachlichen Grund für einen Gefühlsausbruch des HCD-Coaches gibt.

HCD-Präsident Gaudenz Domenig äussert sich zum Vorfall gar nicht und resümiert zur Position von Christian Wohlwend, der noch einen Vertrag bis zum Ende der nächsten Saison hat: «Wir werden die Saison in aller Ruhe analysieren. Die sportlichen Ziele haben wir erreicht.»

Die ganze Episode hat die wacklige Position von Christian Wohlwend in Davos gestärkt. Nicht geschwächt. Er ist intern so etwas wie ein heimlicher Sieger. Zumindest so lange bis er das nächste Mal in einer weniger passenden Situation ausflippt.

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84 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Pianovilla
12.04.2022 02:39registriert November 2014
Interessanterweise spricht niemand darüber, dass ein Eishockeytrainer in der obersten Liga einen völlig lächerlichen und ineffizienten Wurfstil hat. Vermutlich gehörte er beim Bälleliwerfen in der Schule auch zu jenen, die sich aus Ungeschicktheit und wegen Nichtbeherrschens der kortekten Wurfbewegung jeweils selbst mit dem Ball getroffen haben. ;-)
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fandustic
12.04.2022 07:45registriert Juni 2021
Er darf gerne toben, fluchen, die Bandentür in McSorley Manier bearbeiten etc. Aber wenn ein erwachsener Mann, wie ein 3-jähriger in der Trotzphase, Trinkflaschen aufs Eis wirft, dann ist das nur eines: Höchst peinlich!
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RealAnd1
12.04.2022 01:30registriert März 2021
Das ich mal dem Eismeister Recht gebe. Fehlt aber noch die Info das Davos zuvor schon ermahnt wurde und zwar Prassl. Am Ende eine harte Strafe aber keine unkorrekte, da müssen sich die Davoser selber an der Nase nehmen. Auch Wohlwend hat mit seinem Wutausbruch Davos die Chance genommen 16 Sekunden lang 6 vs 5 zu spielen. Das hört sich nicht nach viel an, aber es kann reichen um ein Tor im Eishockey zu schiessen.
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