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Eishockey: Dieser Irrtum hat den SC Bern eine Million Franken gekostet

Berns Head Coach Toni Soederholm waehrend dem Qualifikations-Spiel der National League, zwischen den SCL Tigers und dem SC Bern, am Dienstag 29. November 2022, im Ilfisstadion in Langnau. (KEYSTONE/Ma ...
Hat dem schlafenden Bären wieder Leben eingehaucht: Toni Söderholm (M.).Bild: keystone
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Der Irrtum, der den SCB eine Million Franken gekostet hat

Seit der SC Bern wieder einen Trainer hat, ist der Titan erwacht und gilt inzwischen als Titel-Geheimfavorit. SCB-Manager Raeto Raffainer ist ein Opfer der modernen Statistik geworden. Aber es kommt nun, so die Hockey-Götter wollen, doch noch alles gut.
11.12.2022, 07:0711.12.2022, 16:40
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Früher, vor der Erfindung des Internets, als alles noch ein bisschen einfacher war, gab es zur Beurteilung eines Trainers zwei Statistiken: die Resultatanzeige im Stadion und die Tabelle, unmittelbar nach dem Spiel vom Teletext auf den aktuellen Stand gebracht. Stimmten Resultat und Klassierung nicht mehr, wurde der Trainer ausgewechselt.

So rustikal geht es heute nicht mehr zu und her. Findige Köpfe haben neue Statistiken erfunden, die sie für schönes Entgelt den Trainern, Sportchefs, Medien und Managern verkaufen. Diese Statistiken ermöglichen Sportchefs und Trainern, die ein gutes Gespür für das Innenleben ihres Teams und das Spiel haben, die kontinuierliche Weiterentwicklung des sportlichen Potenzials. Oder rechtzeitige Korrekturen und Justierungen.

Sie sind aber für jene gefährlich, die eine Bestätigung für ihre Fehleinschätzungen suchen oder aus Eitelkeit einen Irrtum nicht eingestehen können oder wollen. Denn mit der Fülle moderner Statistiken lässt sich für alles – wirklich für alles – eine Ausrede finden und aus einem Lotterteam einen statistischen Titelkandidaten machen.

SCB Cheftrainer Johan Lundskog reagiert beim Eishockey Meisterschaftsspiel der National League zwischen dem SC Bern und den ZSC Lions, am Samstag, 5. November 2022, in der PostFinance Arena in Bern. ( ...
War beim SCB wenig erfolgreich: Johan Lundskog. Bild: keystone

SCB-Manager Raeto Raffainer zählt zu den charismatischsten, eloquentesten und smartesten Machern unseres Hockeys. Es gehört zu den wundersamen Irrungen und Wirrungen, die es nun mal im Hockey gibt, dass ausgerechnet er das Opfer der modernen Statistiken geworden ist. Anderthalb Jahre lang hat er versucht, mit seinem Kumpel Johan Lundskog den SCB sportlich auf Kurs zu bringen. Er hatte den Schweden als Assistenten für Christian Wohlwend nach Davos geholt und mit seiner Billigung hat Johan Lundskog in Bern erstmals eine Chance als Cheftrainer bekommen.

Funktioniert hat es nie. Der SCB hat in der ersten Saison unter der Führung des Schweden die schlechteste Klassierung seit dem Wiederaufstieg (1986) eingefahren und sogar die Pre-Playoffs verpasst. Nach dem alten Schema, als einfach Resultat und Klassierung zählten, wäre die gutgemeinte Übung schon vor Mitte der letzten Saison abgebrochen worden. Aber mit den modernen Statistiken liess sich nachweisen, dass der SCB unter Johan Lundskog eigentlich ein Spitzenteam war und mit jedem Spiel besser wurde. Ein Narr, ein Unwissender, ja, ein Schelm, ein Boshafter, wer das nicht einsehen wollte oder konnte.

Immer wieder mal hat Raeto Raffainer die aus seiner Sicht gänzlich ungerechtfertigte Kritik am inzwischen entlassenen SCB-Trainer thematisiert. Man müsse eben nicht nur auf die Resultate schauen und die Spiele nicht bloss oberflächlich verfolgen und ständig nach Stoff für Polemik suchen. Erst wenn man sich intensiv mit der Materie befasse und dem tatsächlichen Spielgeschehen auseinandersetze, sehe man die wahren Entwicklungen und Qualitäten.

Es gibt tatsächlich Statistiken, die nutzloses Wissen wie Puckbesitz oder «expected goals» («zu erwartende Tore») vermitteln. Gerade in solchem statistischen Blendwerk erzielte der SCB unter dem fachlich tadellosen Johan Lundskog formidable Werte. Aber erwartete Tore zählen nicht. Nur echte Tore und auch mal unerwartete Gegentreffer. Und es gibt noch eine interessante Erkenntnis aus einer Untersuchung in der NHL: Rund zwei Drittel aller Tore fallen «unexpected». Also nach «broken plays». Missglückten Spielzügen. Womit wir schon wieder beim Kern der Sache angelangt sind: Hockey ist eben ein unberechenbares Spiel auf rutschigem Terrain.

Berns PostFinance Topscorer Christopher DiDomenico jubelt nach seinem Tor zum 2-2, beim Eishockey Meisterschaftsspiel der National League A zwischen dem HC Fribourg Gotteron und dem SC Bern, am Samsta ...
Seit der SCB den Trainer gewechselt hat, fallen bei Chris DiDomenico und Co. auch die unerwarteten Tore öfter.Bild: keystone

Es sind auch unnütze Statistiken, die den SCB-Trainer anderthalb Jahre lang im Amt gehalten haben. Es war wie bei den neuen Kleidern des Kaisers: Alle sahen schon seit Mitte der letzten Saison, dass der Kaiser – der SCB-Trainer – eigentlich nackt war. Nur Raeto Raffainer und seine Entourage nicht.

Nun ist der Trainer doch gewechselt worden. Die normative Kraft des Faktischen war stärker geworden als alle Ausreden-Statistiken. Fünf Spiele (mit vier Niederlagen) brauchte der neue Trainer Toni Söderholm, um sich einzuleben, die Dinge, die anderthalb Jahre lang mehr und mehr aus dem Ruder gelaufen waren, ein wenig zu ordnen und eine taktische Ordnung aufzubauen.

Nun gibt es beim SCB wieder defensive Strukturen (die ein wenig an Kari Jalonen mahnen) und Coaching während des Spiels. Das Resultat: zuletzt vier Siege in Serie. Den ZSC Lions haben die Berner die erste Meisterschafts-Niederlage im neuen Tempel beigebracht (3:2 n. V.). Doppel-Meister Zug (mit Leonardo Genoni im Tor) ist mit 7:3 vom Eis gescheucht und Gottéron soeben mit 3:2 auswärts gebodigt worden. Die Leistungskultur in Bern war immer gut. Aber die Spieler waren auf Dauer mit der Eigenverwaltung und Chris DiDomenico mit der Rolle als Spielertrainer und mehr als 25 Minuten Eiszeit überfordert. Nun wird sein Team gecoacht und der charismatische Kanadier kann sich mit weniger als 20 Minuten Eiszeit begnügen.

Richtig gecoacht hätte der SCB letzte Saison die Playoffs locker erreicht. Richtig gecoacht ist der SCB diese Saison ein Team für die Spitzengruppe und ein heimlicher Titelkandidat. Es ehrt Raeto Raffainer, dass er in Nibelungentreue zu «seinem» Trainer gestanden ist. Das «Experiment Lundskog» an und für sich war kein Fehler. Nur die Dauer war einer. Entscheidend ist auch nicht der Irrtum. Sondern die Fähigkeit, einen Irrtum einzusehen und die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen. Das hat Raeto Raffainer getan und den Trainer gewechselt. Halt einfach mit erheblicher Verspätung. Aber wer mag in Bern einen kritisieren, der ein wenig langsam reagiert?

Der Irrtum ist ein Menschenrecht für jeden Sportmanager. Raeto Raffainers Irrtum kommt allerdings den SCB teuer zu stehen. Anderthalb Jahre sportliche Führungslosigkeit haben den SCB mindestens eine Million Franken gekostet: durch die verpassten Playoffs im letzten Frühjahr und den Publikumsrückgang (mehr als 1000 pro Spiel gegenüber der Zeit vor Corona) in dieser Saison wegen fortgesetztem sportlichem Mittelmass. Zuletzt kamen gegen Meister Zug gerade noch 14'128 Zuschauende. Die Frage ist berechtigt, warum hier von Raeto Raffainer die Rede ist, Sportchef sei doch Andrew Ebbett. Aber es ist halt so, dass Andrew Ebbett keinen Entscheid ohne die Zustimmung seines obersten Chefs fällt und nicht einmal eine Schachtel Isolierband ohne dessen Zustimmung verschiebt.

Der Sportdirektor des SC Bern, Raeto Raffainer, spricht an einer Medienkonferenz des SCB zu sportlichen Themen und Umstrukturierungen am Mittwoch, 30. Maerz 2022 in der Postfinance Arena in Bern. (KEY ...
SCB-Manager Raeto Raffainer.Bild: keystone

Der SCB war, ist und bleibt Kult. Bern war, ist und bleibt Hockey Town. Aber der SCB muss das Vertrauen seiner Anhängerinnen und Anhänger erst einmal zurückgewinnen. Vier grosse Siege hintereinander reichen noch nicht. Und doch: Ab sofort ist es ein fataler Irrtum, den SCB zu unterschätzen. Der schlafende Titan regt sich. Der Bär erwacht aus dem Winterschlaf. Äs chunt scho guet.

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quelle: keystone / ennio leanza
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29 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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SCL - Maulwurf
11.12.2022 08:22registriert März 2021
Holy Moly Chlöisu-ich erinnere mich ganz schwach an den Artikel, „die nutzloseste Trainerentlassung seit…..? Und nun das!? Du dürftest auch mal schreiben, ich habe mich getäuscht- aber das wissen wir ja sowieso.😉
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BeatBox
11.12.2022 09:06registriert Januar 2014
Noch vor ein paar Spielen wurde doch geschrieben von „SCB-Maulhelden“ und „wirkungsloseste Trainerentlassung“. Wohlgemerkt damals nach 2 Spielen unter Söderholm.

Ein wenig „Asche auf mein Haupt“ wäre vielleicht angebracht!
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SF_49ers
11.12.2022 08:45registriert Mai 2020
Der scb ist wegen vier siegen noch lang kein titelfavorit. Bin auf den nächsten klauss kommentar gespannt wenn bern verliert
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