Ach, waren das schöne Zeiten, die nun definitiv spätestens am Sonntag zu Ende gehen werden. Wir sind verwöhnt worden. Einerseits haben uns die kecken Macher von MySports das Hockey frisch und kompetent in die Wohnstube gebracht. Wofür wir allerdings zahlen müssen. Mit Experten, die nahe dran sind, sowie souveränen Moderatoren und guten Kommentatoren. TV-Macher, die wissen, dass Sport eben auch Unterhaltung ist. Und die uns spüren lassen, dass Hockey und das Fernsehmachen ihre Leidenschaft ist.
Aber auch die Nostalgiker, die kein Geld fürs TV-Gucken ausgeben wollten, sind nicht zu kurz gekommen. Bereits während der Qualifikation konnten wir für unsere zwangsweise erhobenen Abgaben ein paar Live-Spiele sehen. Im Tessin beispielsweise die Derbys. Und in den Playoffs sassen wir beim staatstragenden Fernsehen SRF in der ersten Reihe. Im Final sind seit Menschengedenken sogar alle Partien live übertragen worden.
Ach, diesen nostalgischen Leutschenbach-Charme, diese unaufgeregte Aufarbeitung durch das «Sport-Bundesamt für Farbbilder» werden wir schmerzlich vermissen. Mit Experten, die uns fast ein wenig lieb geworden sind wie Hausgenossen. Beispielsweise die Gottéron-Legende Mario Rottaris – heute Golfplatzmanager –, der uns mit seinem freundlichen Charme eines distanzierten Beobachters (fast wie ein Auslandredaktor der NZZ) das Spiel näherbringt.
Christian Weber, der als Trainer des EHC Basel soeben ruhmreich den Amateur-Final gegen das übermächtige Huttwil gewonnen hat und in die Swiss League aufgestiegen ist, strahlt eine leise Melancholie aus. Fast wie in einem Film von Aki Kaurismäki. Er gibt uns das schöne Gefühl, dass Hockey eben doch eine wichtige Sache ist.
Tacheles redet eigentlich nur Martin Plüss. Einst einer der ganz Grossen in Klub und Nationalteam und heute als Spieleragent unterwegs. Sozusagen der seriöse Leutschenbach-Gegenpart des umtriebigen Sven Helfenstein, des unterhaltsamsten Experten bei MySports. Auch er Spieleragent.
Die Live-Sendungen und die Zusammenfassungen während der Saison mögen zwar etwas bieder und brav aufgemacht worden sein. Aber sie waren eben doch heimelig. Fast ein wenig ein Lagerfeuer, an dem wir unsere Hockey-Seele gewärmt haben. Wenn nicht live, dann doch in den Wiederholungen, wenn wir spät in der Nacht nach Hause gekommen sind. Die moderne Technik macht das möglich und oft schaute auch die Hauskatze interessiert zu.
Mit dieser Leutschenbach-Herrlichkeit ist es nun leider, leider vorbei. Daher der Aufruf: Wer zu Hause bleibt und nicht ins Stadion darf, kann oder will, soll heute Abend unbedingt noch einmal das staatstragende Fernsehen einschalten. Gewinnen die ZSC Lions, dann sind sie Meister und es war für mindestens fünf Jahre das letzte SRF-Live-Spiel aus unserer Hockey-Meisterschaft. Gewinnt der EVZ, dann ist am Sonntag nach dem siebten und letzten Finalspiel in Zug definitiv Sendeschluss und fertig Nostalgie.
Künftig bleibt uns im Gratis-Fernsehen «nur» noch die moderne TV-Kultur von MySports: Statt beim staatstragenden Fernsehen werden wir die frei empfangbaren Bilder aus unserer Meisterschaft in der Deutschschweiz nun bei TV24 sehen. In der Grundstruktur werden dort die Produktionen von MySports übernommen. In der Westschweiz wird voraussichtlich auch eine private Station die frei empfangbaren Bilder verbreiten. Im Tessin kann das Medien-Imperium von Ambris Präsident Filippo Lombardi die Bilder kostenfrei in die Stuben liefern.
Beim staatstragenden Fernsehen aber, das wir mit einer Zwangsabgabe finanzieren müssen, ob wir wollen oder nicht und auch dann, wenn wir gar nie einen der SRF-Kanäle einschalten, gibt es mindestens fünf Jahre lang kein nationales Hockey mehr. Wahrscheinlich werden dann statt Hockey halt Sportarten wie Skispringen oder Bobrennen der Frauen live übertragen, bei denen sich die Einschaltquote verdoppelt, wenn der Kommentator heiratet. Um politisch korrekt zu bleiben: Es gibt selbstverständlich auch Männer-Sport im Fernsehen, der wenig Interesse weckt. «Service Public» nennt sich das. Und eine bange Frage bleibt unbeantwortet: Kommt es im Leutschenbach zu einem Personal-Abbau, wenn Hockey nicht mehr aufbereitet werden muss?
Interessant und brisant zugleich: Leutschenbach hat die Live-Rechte für die nächsten fünf Jahre nur in der Deutschschweiz verloren und könnte in der Westschweiz und im Tessin weiterhin im bisherigen Rahmen senden. Die uns lieb gewordenen Zusammenfassungen wären sogar in der Deutschschweiz weiterhin möglich gewesen. Aber neu eben erst ab 23.00 Uhr. Leutschenbach beharrte jedoch bei diesen Zusammenfassungen auf Beginn 22.45 Uhr. Weil diese Viertelstunde nicht gewährt worden ist, wird – Stand heute – nächste Saison nur noch das gesetzliche Minimum über Hockey gesendet, das allen gratis zusteht. Also «Kurzfutter», das bei weitem nicht mehr alle Tore enthält und praktisch einer schäbigen Resultatzusammenfassung gleichkommt.
Der Hintergrund dieser starren Haltung: Die TV-Generäle im Leutschenbach befürchten eine weitere Schwächung am Markt, wenn sie auseinanderdividiert werden und hinnehmen, dass sie in der Deutschschweiz ausgebootet werden und nur noch im Welschland und im Tessin live senden. Nach dem Motto: «Alles oder nichts.»
Der Einschub «Stand heute» ist notwendig: Es ist zwar fast ausgeschlossen, aber immerhin nicht ganz unmöglich, dass die Einsicht doch noch reift, dass ein freiwilliger Verzicht auf die nationale Meisterschaft im Tessin und im Welschland aus machtpolitischen Gründen ein Gottesgeschenk für die Initianten der «Halbierungs-Initiative» ist. Wenn ich auf dem Sender, den ich mit Zwangsabgaben finanzieren muss, kein nationales Hockey, kein Ambri, kein Zug, kein Davos, kein Servette, kein Ajoie, kein Biel oder Langnau mehr sehen kann, dann werde ich lustvoll an der Urne für eine Halbierung dieser Zwangsabgaben stimmen.
Kommt dazu, dass Leutschenbach mit diesem Hockey-Verzicht in der Westschweiz und im Tessin den privaten Stationen – also ihren ärgsten Konkurrenten – unbezahlbare Werbung beschert: Die Hockeyfans werden so erst recht auf die privaten Sender aufmerksam. Ja, sie werden geradezu in ihre Arme getrieben. Ab nächster Saison gibt es dort nämlich gratis mehr Live-Hockey zu sehen als je zuvor in unserer Hockey-Geschichte (seit 1908).
Jeden Sonntagabend ein Live-Spiel bei TV24, jeden Dienstag ein Livespiel auf den Online-Kanälen des «Blick» und – natürlich – sämtliche Playoff-Partien. Plus die umfangreichen Zusammenfassungen. Mehr noch: Die Chancen, dass auch Spiele der Swiss League in den nächsten fünf Jahren von den privaten Stationen übertragen werden, stehen gut. Entsprechende Verhandlungen dürften ab Mitte Mai starten. TV24 ist auf dem besten Wege, in der Deutschschweiz «Home of Hockey» zu werden.
Bleibt die Frage, wie gut die Werbepartner der Klubs und der Liga mit dem Verschwinden von den öffentlich-rechtlichen Bildschirmen leben können. Sie werden gut damit leben können: Die Reichweite in der werberelevanten Gruppe der 15- bis 49-Jährigen nimmt bei den privaten, frei empfangbaren Stationen stetig zu und beim staatstragenden Fernsehen ab. Gefragt ist für die Privaten eine gute Informationskampagne, damit die Fans wissen, auf welchem Kanal sie ab nächster Saison gratis Live-Hockey sehen können.
Gott sei Dank bleibt ein kleiner Trost: Die Nostalgiker müssen in den nächsten fünf Jahren doch nicht ganz auf den Brockenstuben-Charme des Leutschenbach-Fernsehens verzichten: Der Spengler Cup, die WM und bedeutungslose Operetten-Länderspiele werden weiterhin nach alter Väter Sitte in der liebgewonnenen Art und Weise übertragen und aufbereitet. Und Champions-Hockey-League-General Martin Baumann reifelt und wirbelt, um seinen praktisch unter Ausschluss der helvetischen Hockeyöffentlichkeit gespielten paneuropäischen Wettbewerb beim staatstragenden Sender sichtbar zu machen.
Sollte ihm das gelingen, werden sich die Nostalgiker sehr freuen, einige Leutschenbach-Experten allerdings tief seufzen. Sie müssten sich dann nämlich mit Teams und Namen aus Tschechien, Finnland, Schweden, Frankreich, England oder Deutschland vertraut machen, die hierzulande kaum jemanden interessieren. Vielleicht wird ja dann ein Experte von der Ausland-Redaktion beigezogen.
Ach, du schöne, liebe Leutschenbacher Hockey-Nostalgie. Wir werden dich schmerzlich vermissen. Wieder ist ein Stück der guten alten Hockey-Zeit, ja ein Stück Heimat, dahin.
Schade wenn die "öffentliche" Meisterschaft zum Privatereignis wird.
Ich finde es sehr schade, da allein schon die Zusammenfassung auf SRF viel besser ist als die der "Neuen"
In einer Zusammenfassung möchte ich Szenen des ganzen Spiels sehen und nicht nur die Tore.
aber wir werden sehen wie es kommt.
Die Idee mit der CHL finde ich grundsätzlich sehr gut, so erhält diese eine höhere Bedeutung.
und eine attraktive CHL kann nur gut sein für das Schweizer und Europäische Eishockey