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Eismeister Zaugg: Nun sind alle Romantiker – auch die Zürcher

Biels Beat Forster, rechts, kommt zu spaet, Zuerichs Denis Hollenstein trifft zum 1-1 im sechsten Playoff Viertelfinal Eishockeyspiel der National League zwischen dem EHC Biel und den ZSC Lions, am Sa ...
Das ganze Stadion wusste, dass er die Scheibe dem gegnerischen Torwart zwischen den Beinen durchschiessen wird: ZSC-Sniper Denis Hollenstein.Bild: keystone
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Biels Problem: Nun sind alle Romantiker – auch die Zürcher

Biel inszeniert eine neue Variante des Dramas: ein Spiel verlieren, in dem alles, aber auch alles, wirklich alles für Biel zu laufen schien. Nun haben die Bieler ein Problem: Im 7. Spiel sind auch die Zürcher als «Hockey-Kinder» Hockey-Romantiker.
03.04.2022, 13:4503.04.2022, 15:11
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Der Sieg der ZSC Lions beschert verschiedenen wichtigen älteren und jüngeren Männern einen freien Sonntag. ZSC-Manager Peter Zahner (61) wirkt nach der Partie müde, fast ein wenig gealtert. Ganz offensichtlich geht ihm dieser Viertelfinal an die Hockey-Seele. Er ahnt sehr wohl, welches Nachspiel im Falle eines Scheiterns folgen wird: die Trainer-Diskussion.

Nun seufzt er sichtlich erleichtert: «Am Sonntag habe ich Ruhe.» Er muss nun nicht den halben Sonntag lang telefonieren. Verschiedene Chronisten haben ihn noch im Laufe des Samstags angerufen und gebeten, doch am Sonntag erreichbar zu sein. Logisch: Verlieren die ZSC Lions, sind sie schon im Viertelfinal gescheitert. Dann muss die oberste Autorität in der operativen Führung auf allen Kanälen Auskunft geben. Wenn die ZSC Lions hingegen gewinnen und am Montag zum 7. Spiel antreten dürfen, ist der höchste Bürogeneral nicht gefragt. Dann interessieren sich alle nur für die Helden auf dem Eis.

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Seine sparsamen Dialoge scheint sich Antti Törmänen zum Vorbild genommen zu haben: der finnische Regisseur Aki Kaurismäki.Bild: EPA/EFE

Die Niederlage beschert gar mehreren Bielern einen freien Sonntag. Trainer Antti Tormänen hat seinen Spielern frei gegeben. Das Training ist freiwillig. Der richtige Schritt: Er kann nichts mehr einüben und gesagt ist auch alles. Und er ist nach der bitteren 1:3-Niederlage für einmal ganz Finne. Wie aus einem Film von Aki Kaurismäki. Die Filme des kauzigen finnischen Regisseurs haben wegen der sparsamen Dialoge und dem lakonischen Humor Kultcharakter. Der Filmkritiker Rainer Gansera hat einmal über Aki Kaurismäkis Filmkunst geschrieben, als sei er in Biel im Stadion gewesen. Wir haben bei dieser Charakterisierung bloss das Wort Film durch die Spiele der Bieler ersetzt.

Die Spiele der Bieler sind schlingernde Stimmungsreisen: Durch Hochs und Tiefs, durch Abgründe (erst allmählich bemerkt man, dass es vor allem die Abgründe des Selbstzweifels sind) und Erleuchtungen.

Genau nach diesem Muster verlaufen die Partien in diesem Viertelfinal. Kein Wunder, wirkt nun Antti Törmänen nach dem bitteren 1:3 gegen die ZSC Lions, als wäre er der tragische Held in einem Hockeyfilm seines Landsmannes. Für einmal beschränkt sich der sonst kommunikative, freundliche Finne auf sparsamste Ausführungen, grundiert mit einem trockenen Humor. Ja sogar ein wenig Sarkasmus.

Auf die Fragen nach dem «Warum?» der Niederlage sagt er: «Sie haben mehr Tore erzielt als wir.» Auf das obligatorische Nachfragen, was nun am Montag zu tun sei, um zu gewinnen, ist er um eine sparsame Antwort auch nicht verlegen: «Ein Tor mehr erzielen als der Gegner. So einfach ist Eishockey.» Und auf die Erkundigung, ob er seinen Spielern am Sonntag frei gebe, entgegnet er etwas mürrisch, gerade so als wäre er in einem Kaurismäki-Film: «Ja, ja. Vielleicht hilft ein Kirchgang und Beten.» Antti Törmänen, ein Held aus Finnlands erstem Weltmeisterteam von 1995, ist eine der ganz grossen Persönlichkeiten in unserem Hockey und noch kein Trainer passte so wunderbar zur melancholischen Bieler Hockeykultur. Nicht einmal Kevin Schläpfer.

Biel hätte mit einem Sieg den Halbfinal erreicht. Und verliert trotz klarer Überlegenheit (36:27 Torschüsse) wieder einmal dramatisch 1:3 ein Spiel, in dem alles, aber wirklich alles für die Bieler zu laufen schien. Das ist die neue Variante: Verlieren, wenn die Hockey-Götter für Biel sind.

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Die Sturmlinie um Damien Brunner ist ein Pfeiler des Bieler Erfolgs in dieser Saison.Bild: keystone

Wichtig ist ein frühes Tor. Dann löst sich die Verkrampfung, die sich oft wie Mehltau über die spielerische Herrlichkeit der Bieler legt und zu zwei 0:1-Niederlagen geführt hat. Und siehe da: Nach 39 Sekunden trifft Damien Brunner zum 1:0. Biel führt erstmals 1:0. Sein erster Treffer in diesem Viertelfinal. Mehr noch: Das Tor ist die Kombination des Trios Damien Brunner, Luca Cunti und Mike Künzle. Des besten Schweizer Sturms der ganzen Liga in der Qualifikation. Aber in den letzten Wochen wegen Krankheit und Verletzungen nur noch selten vollständig. Sage mir, ob der Brunner neben dem Cunti und dem Künzle stürmt und trifft und ich sage dir, ob Biel gewinnen wird. Der Brunner hat getroffen. Ein besseres Omen gibt es gar nicht.

Wichtig ist nun, dass die Bieler diszipliniert spielen und der Strafbank fernbleiben. Mögen die Schiedsrichter gnädig sein. Nach der 0:1-Niederlage im vierten Spiel hatte Antti Törmänen einen Grund für die Niederlage in undisziplinierter Spielweise geortet: Die Bieler leisteten sich sechs Ausschlüsse, und einen nützen die Zürcher zum Siegestreffer.

Die Message des Trainers kommt an: Beim nächsten Spiel, das sie 3:1 in Zürich gewinnen, kassieren die Bieler eine einzige Strafe. Und nun gelingt gar ein seltenes Kunststück: zehn Minuten Powerplay für Biel und keine einzige Sekunde für die ZSC Lions. Nie kompensieren die sehr guten Schiedsrichter. Besser kann es für Biel gar nicht laufen.

Alle im Stadion spüren es: Ein zweiter Treffer wird die Entscheidung sein. Zwei Tore holen die Zürcher nicht auf. Dieser zweite Treffer liegt ständig in der Luft. In der 44. Minute sind sich alle einig: Nun muss es sein. Dario Truttmann wird auf die Strafbank geschickt. Aber es bleibt erneut bei «Ahhhh» und «Ohhhh». Biel gelingt in dieser Partie kein Powerplay-Tor.

Wer die Gunst der Hockey-Götter nicht zu schätzen weiss, den züchtigen sie. Sie wenden sich den Zürchern zu. In 98 Sekunden macht Denis Hollenstein, oft gerügt wegen zu viel Lohn und zu wenig Leistung, aus dem 0:1 ein 2:1. In seinen besten 98 Sekunden dieser Saison blitzen seine Qualitäten auf wie ein kurzes, zischendes Feuerwerk: erst seine Schnelligkeit beim 1:1 und 98 Sekunden später seine Schusstechnik, als er mit einer Direktabnahme zum Siegestor trifft.

Die Entscheidung fällt nun am Montag im 7. Spiel. Biels Problem: Nun sind alle Romantiker. Mögen die Boshaften und Bösartigen auch höhnen, nur bei den UBS-Aktionärsversammlungen treten im Hallenstadion mehr Millionäre auf als bei den ZSC-Heimspielen – nun sind auch die ZSC Lions Romantiker. Da spielt es auch keine Rolle, dass ZSC-Trainer Rikard Grönborg als taktischer Maschinist kein Romantiker ist. In der Extremsituation eines 7. Spiels geht es nur noch um das Kind im Manne, das spielen und gewinnen will. Und diese «Hockey-Kinder» des Hallenstadions sind so talentiert (deshalb sind sie ja auch so gut bezahlt), dass sie ihr bestes Hockey erst in Extremsituationen spielen. Deshalb haben sie eben auch in Biel soeben 3:1 gewonnen und das Ausscheiden verhindert.

Die Statistik ist eigentlich etwas für Lohnschreiberinnen und -schreiber, denen sonst nichts mehr einfällt. Aber die Statistik ist in diesem Fall halt schon interessant: Spiel 7 ist, wenn Biel verliert und die ZSC Lions gewinnen. Seit der 1:2-Niederlage im 7. Viertelfinalspiel am 23. März 2010 in Zug haben die Zürcher sechsmal hintereinander das 7. Spiel gewonnen. Die Bieler haben hingegen seit der Sicherung des Klassenerhaltes im 7. Spiel der Liga-Qualifikation gegen Lausanne (3:2) am 24. April 2010 dreimal das 7. Spiel verloren.

In einem Hockey-Film von Aki Kaurismäki wäre Antti Törmänen der Coach, der diese 7. Partie am Montag nach drei zu Unrecht annullierten Treffern der Bieler durch ein Tor während eines Powerplays fünf gegen drei verliert. Obwohl die TV-Bilder ganz klar zeigen, dass dem Siegestreffer der ZSC Lions ein Offside und ein Foul vorausgeht, die ZSC Lions unerlaubterweise im Boxplay mit vier statt drei Mann spielen und der Puck nicht im Tor landet, sondern von der Unterkante der Latte aufs Eisfeld zurückspickt. Aber wegen einer technischen Panne ist es für die Schiris nicht möglich, die TV-Bilder zu konsultieren.

Biels Hoffnung: Spiel 7 im Viertelfinal ist nicht ein Film von Aki Kaurismäki. Spiel 7 im Viertelfinal ist ein Glücksspiel auf rutschiger Unterlage. Erst recht im Hallenstadion.

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12 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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pierolefou
03.04.2022 18:21registriert August 2014
Herr Zaugg. Herzlichen Dank für den super Bericht. Obwohl mein
Bieler-Herz blutet, finde ich Ihre Schilderungen einfach nur formidable.
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Doppelpass
03.04.2022 16:30registriert Februar 2014
Zaug lasst mich die Seele des Hockey so erahnen, wie Kurismäki die finnische Mentalität.
Poetisch, fesselnd und trefflich.
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