Auf gepackten Koffern sitzen. Diese Redewendung bedeutet: Reisefertig und aufbruchbereit sein. Ungeduldig auf den Beginn einer Reise oder einen Umzug warten.
Nicht viele kennen dieses Gefühl so gut wie Akira Schmid. Am 22. Februar weilt er mit Utica, dem Farmteam der Devils in Cleveland. Am Vormittag nimmt ihn der Coach zur Seite: Heute Abend spielst du nicht. Du musst mit dem Taxi gleich zum Flughafen fahren und nach Newark fliegen. New Jersey hat Akira Schmid wieder in die NHL hinaufgeholt.
Die Praxis zeigt: Spieler wie Akira Schmid sind die letzten Nomaden des Sportes. Er fliegt also direkt nach Newark und wird dort seither im Hotel untergebracht. Sein Appartement in Utica behält er. Die Devils übernehmen alle Kosten für die Reise und die Unterkunft in Newark. Das Appartement in Utica bezahlt er weiterhin. «Ich weiss ja nicht, wann ich wieder zurückgeschickt werde …»
Seine Siebensachen bringt seine Freundin mit dem Auto von Utica nach Newark. Das sind mit dem Auto gut drei Stunden. Ausnahmsweise sei er nach Newark geflogen. Weil er halt gerade bei einem Auswärtsspiel war. «Sonst bin ich jeweils mit dem Auto von Utica nach Newark gefahren. Die Benzinspesen hat gegen Quittung der Klub bezahlt». Es ist bereits das dritte Mal, dass ihn New Jersey in dieser Saison aus dem Farmteam heraufholt. Der Grund ist immer der gleiche: Blessuren zwicken Mackenzie Blackwood, die Nummer 2 der Devils.
So ist das bei einem Spieler, der noch keinen «Einweg-Vertrag» hat und jederzeit ins Farmteam zurückgeschickt werden darf. Der Lohn wird pro Tag in der NHL nach NHL-Tarif (Basis 842'500 Dollar) und pro Tag nach AHL-Entschädigung (Basis 65'000 Dollar) abgerechnet. In den ersten drei Jahren haben alle Spieler, die direkt vom Draft kommen, diese Vertragsbedingungen («Entry Level Contract»).
Akira Schmid hat mit diesem Leben auf gepackten Koffern keine Mühe. Für die SCL Tigers hat er am 22. März 2018 gegen Kloten sein einziges Spiel in der National League bestritten und 4:3 gewonnen. Dann beginnt sein Abenteuer Nordamerika. Eigentlich hätte er im kanadischen Lethbridge auf höchstem nordamerikanischen Junioren-Niveau spielen sollen. Aber dort wird durch Trades im letzten Moment sein Platz besetzt. Und so muss er gehen und in den USA den Umweg durch die Hockey-Provinz machen. Aber von den zweitklassigen Corpus Christi Ice Rays schaffte er rasch den Sprung zu den Ohama Lancers in der höchten US-Nachwuchsliga.
Die Devils hielten zwar seine Rechte seit dem Draft von 2018 (Nr. 136). Aber unter Vertrag nahmen sie ihn erst im Sommer 2021. Seither bewährt sich der Langnauer im System der Devils. Mit überragenden Leistungen im Farmteam und wenn erforderlich auch in der NHL. Die Partie heute gegen Tampa ist sein 15. Einsatz in dieser Saison (und insgesamt das 21. Spiel) in der wichtigsten Liga der Welt. Seine Statistik ist mit einer Fangquote von 92,70 Prozent formidabel. Vitek Vanecek, an der 1:4-Niederlage gegen Tampa am Dienstag nicht ganz unschuldig, muss heute Abend gegen den gleichen Gegner auf die Ersatzbank.
Von den vier Schweizern bei den Devils (die anderen drei sind Timo Meier, Nico Hischier und Jonas Siegenthaler) ist Akira Schmid der «amerikanischste». Schlaksig, ein wenig schüchtern, freundlich und mit der obligatorischen Baseball-Kappe wirkt er wie ein US-Boy. In der Ausrüstung mahnt er auf dem Eis mit einer Grösse von 195 Zentimeter an einen tanzenden Titanen. Seine Beweglichkeit wirkt gerade wegen seiner Grösse so verblüffend. Er ist der Prototyp eines modernen Goalies: Mit der Grösse deckt er bereits eine grosse Fläche ab und dabei ist er so beweglich wie die kleineren, wieselflinken Reflexgoalies.
Ist Akira Schmid der beste Schweizer Torhüter? In der aktuellen Form zweifellos. Er wird im Mai erst 23. Alles spricht dafür, dass er auch in den nächsten zehn Jahren die helvetische Nummer 1 sein wird. Er hat das Potenzial für die grösste Schweizer Goaliekarriere in der NHL. Er kann David Aebischer, Martin Gerber und Jonas Hiller übertreffen.
Akira Schmid steckt jetzt in der alles entscheidenden Phase seiner Karriere. Am Ende der nächsten Saison läuft sein Vertrag mit dem reglementarisch fixierten Maximallohn aus. Spielt er weiterhin sein bestes Hockey, dann wird auch er ab Sommer 2024 Dollarmillionär.
Alles deutet darauf hin, dass er ab der Saison 2024/25 nicht mehr auf gepackten Koffern leben muss.