Zwei Tage nach einem grossen Sieg (3:0 gegen Carolina) zerbricht das hoch entwickelte Spiel der New Jersey Devils an der Härte, Organisation und Erfahrung Tampas. Am Stanley Cup-Sieger von 2020 und 2021. Am Finalisten von 2022.
Nach Spielschluss eilen die Chronistinnen und Chronisten in die Kabine. Um bei den wichtigen Spielern nach den Ursachen der 1:4-Niederlage zu fragen. Jonas Siegenthaler steht Red und Antwort. Fast alle stehen um ihn herum, recken ihm Mikrofone entgegen.
Mit ruhiger Stimme in akzentfreiem Englisch sagt er in freundlicher Bescheidenheit das, was sich gehört. Er lobt den Gegner. Man habe gesehen, warum Tampa in drei Jahren zwei Stanley Cups geholt habe. Rühmt den gegnerischen Goalie. Spricht von Energie, die wohl ein wenig gefehlt habe. Und es sei gut, dass man nun gleich die Möglichkeit zur Revanche bekomme. Tampa spielt am Donnerstag erneut gegen die Devils.
Spiele wie gegen das Spitzenteam Carolina am Sonntag und nun die zwei Partien gegen Tampa sind im Hinblick auf die Playoffs wichtig. Sie liefern Antworten auf die Frage, ob die fein getunte «Hockeymaschine» auch dann funktioniert, wenn alles noch eine Spur rauer wird. Die Devils sind fraglos eines der schnellsten, spielerisch besten Teams der Liga. Aber sind sie auch playofftauglich? Ein wenig mahnen die Devils an den EHC Biel.
Jonas Siegenthaler ist einen weiten Weg gegangen. Ja, seine Karriere ist einer der erstaunlichsten unseres Hockeys.
Eine grosse NHL-Laufbahn für Jonas Siegenthaler? Nur wenige glauben daran. Im Draft von 2015 ist er lediglich die Nummer 57. Washington sichert sich seine Rechte. Okay, für die NHL kann es reichen. Aber für eine dominierende Rolle in einem Spitzenteam? Für Dollarmillionen aus einem Mehrjahresvertrag? Wohl kaum.
Bei den ZSC Lions fällt er bis zu seiner definitiven Abreise nach Nordamerika im Sommer 2017 nicht auf. Ein etwas hüftsteifer, kräftiger Verteidiger. In unserer Lauf- und Tempoliga scheint er oft ein wenig überfordert.
Sechs Jahre später ist Jonas Siegenthaler einer der besten Defensiv-Verteidiger der Welt. Er hat nach 65 Partien 18 Punkte auf seinem Konto. Die Produktionszahlen von Mark Streit oder Roman Josi wird er nicht erreichen. Seine Rolle ist eine andere: Er ist der Ingenieur im defensiven Maschinenraum einer der besten Mannschaften der Welt.
Siegenthaler sorgt für die reibungslose Funktion der defensiven Mechanik. Keine wuchtigen Direktschüsse von der blauen Linie. Wenig Spektakelvorstösse, die die Zuschauenden von den Sitzen reissen. Ein Feinmechaniker, ein Ingenieur des Defensivhandwerkes. Wenn Coaches Spieler rühmen, die die kleinen Dinge richtig machen – dann meinen sie einen wie ihn.
Am erstaunlichsten sind im Vergleich zu seiner Zeit in Zürich die läuferischen Fortschritte und die Beweglichkeit. Tatsächlich dürfte Siegenthaler der erste Schweizer in der NHL sein, der seit dem Umzug nach Nordamerika leichter und nicht schwerer geworden ist. Eine Gewichtsreduktion, die seine Beweglichkeit verbessert. Er bestätigt diesen optischen Eindruck. «Mein Gewicht ist heute stabil bei 95 Kilo. Ich bin gut 5 Kilo leichter geworden und ich fühle mich so viel besser.» Er wisse besser Bescheid über richtige Ernährung und sei viel beweglicher als noch vor ein paar Jahren.
Jonas Siegenthaler ist einen weiten Weg gegangen. Gut drei Jahre lang verbrachte er in der Organisation der Washington Capitals mehr Zeit im Farmteam als in der NHL. «Deshalb habe ich um einen Trade gebeten», schildert er. Also um einen Transfer. Sein Agent Alain Roy erreicht nach zwei Absagen schliesslich den Wechsel: Am 21. April 2021 ist es vollbracht: Washington lässt Jonas Siegenthaler zum Gegenwert eines Drittrunden-Draftrechtes – sozusagen ein Trinkgeld – nach New Jersey ziehen.
Für die Devils ist er eine Rolex vom Transferwühltisch. Und für Jonas Siegenthaler der Wechsel zu seinem Wunschklub. «Ich wollte unbedingt nach New Jersey. Auch wegen Nico Hischier. Drei Teams kamen für einen Trade in Frage: Ottawa, Detroit und die Devils. Ich glaube, es hat auch deshalb geklappt, weil Nico Hischier für mich ein Wort eingelegt hat …»
Die Entwicklung vom «Hinterbänkler» in Washington zum Schlüsselspieler in New Jersey verdankt der 25-Jährige seinem Talent, seinem Willen und seinem Durchhaltevermögen. «Es war nicht leicht für mich und nach der ersten Saison, die ich im Farmteam verbringen musste, ging es mir oft nicht gut. Aber Aufgeben kam einfach nicht in Frage. Ich wollte es unbedingt schaffen. Das war ich einfach auch meinen Eltern schuldig, die so viel in meine Karriere investiert haben.»
Für Jonas Siegenthaler ist Eishockey längst ein Ganzjahressport geworden. Also arbeitet er auch im nächsten Sommer auf dem Eis. Zum ersten Mal in der Trainingshalle des ZSC-Tempels: «Pius Suter hat das Eis bereits organisiert. Auch Nico Hischier und Timo Meier machen mit.»
Jonas Siegenthaler wohnt etwa zwölf Kilometer vom Stadion entfernt im gleichen Quartier wie die Stürmer Nico Hischier und Timo Meier und wenn immer möglich wird eine Fahrgemeinschaft organisiert. Goalie Akira Schmid lebt vorerst noch im Hotel.
Im letzten Sommer haben die Devils Siegenthalers Vertrag vorzeitig um fünf Jahre bis 2028 verlängert. Der Gesamtwert des Vertrages beträgt rund 17 Millionen Dollar oder etwas mehr als 3 Millionen pro Saison. Dougie Hamilton (die Antwort der Devils auf Roman Josi) bucht diese Saison fast einen Punkt pro Spiel und verdient gut doppelt so viel. Offensive Kunst wird nun mal im Hockey besser bezahlt als defensives Handwerk.
Aber Jonas Siegenthaler ist einer der bestverdienenden Defensiv-Verteidiger der Liga und damit der Welt. Auch eine Anerkennung für den Zürcher: Nach einem Spiel eines Teams mit offensiven Titanen wie Nico Hischier, Timo Meier, Jack Hughes, Jesper Bratt oder Dougie Hamilton drängen sich die Chronistinnen und Chronisten um einen Defensiv-Verteidiger. Um die Wahrheit über ein Spiel zu erfahren.
Siegenthaler gefällt...nicht beim ersten Gegenwind zurück in die NL sondern beissen sondern das, was man gut kann, konsequent verbessern.