Zur Magie der letzten Tage gehört die Versuchung, alles noch besser zu machen. Noch mehr für den Erfolg zu tun. Ja, alles menschenmögliche vorzukehren. Lugano hat sechs der letzten acht Spiele gewonnen und sechs Punkte Reserve auf Platz 9. Nur noch vier Partien oder 240 Minuten – und dann ist das Ziel erreicht. Die Segel für die Playoffs sind gesetzt. Einfach so weitermachen. Dann passiert nichts mehr.
Aber eben: es sind die letzten vier Partien. Die Magie der letzten Tage. Da kann nicht einfach alles so weitergehen wie bisher. Lugano lässt für diese vier letzten Spiele Dr. Saul L. Miller einfliegen. Einen der berühmtesten Sportpsychologen der Welt. Wahrscheinlich weiss keiner mehr über die Bewältigung von Stress-Situationen im Sport und über das, was wir «Winner-Mentalität» nennen. Ich habe seine Bücher alle gelesen. «Performing under Pressure» - «The complete Player – the psychology of winning Hockey» - «Why Teams Win – Keys to success in Business, Sport and beyond.» - «Hockey tough – Winning the mental game.» Gute Lektüre. Theoretisch könnte ich eine Praxis eröffnen.
Lugano hat diese Saison den SC Bern schon dreimal besiegt. 4:2 und zweimal 5:2. Und nun kommt für die letzten vier Partien auch noch der grosse Magier aus Amerika. Da kann einfach nichts mehr schiefgehen. Alles ist vorgekehrt. Professioneller geht nicht. Grande Lugano.
Aber Eishockey, dieses unberechenbare Spiel auf rutschiger Unterlage (damit das auch wieder einmal gesagt ist), entzieht sich aller Logik. Seit der Ankunft von Dr. Saul L. Miller ist Luganos Herrlichkeit in sich zusammengefallen wie ein Kartenhaus. Erst das 3:6 in Fribourg nach einer 2:0 und 3:1-Führung. Das letzte Drittel ging gleich 0:5 verloren. Und nun gleich anschliessend 0:6 gegen den SC Bern auf eigenem Eis. 0:3 schon nach 7 Minuten und 18 Sekunden. Zwei Spiele, die Dr. Saul L. Miller genug Stoff für ein neues Buch liefern: «Hockey's Dooms Day under Palm Trees.» Ich freue mich schon auf seine Debakel-Analyse. Müssen seine Lehrbücher gar umgeschrieben werden?
Zur Magie der letzten Tage gehört eben auch die Furcht vor dem Bären. Vor dem grossen Namen. Vor den Männern, die dieses Krafttier auf ihren Gewändern aufgenäht haben. In diesen Tagen wird Eishockey auch in den Köpfen entschieden. Die «Bärenenergie» – so meinen die nordamerikanischen Schamanen – verhilft dem Menschen aus seiner inneren Haltung heraus eine Kraft zu entwickeln, die sie zur Durchsetzung ihrer Ziele – wie beispielsweise das Erringen eines Meistertitels oder die Qualifikation für die Playoffs – benötigen.
Es gibt eine wunderbare vergleichende Charakterkunde zwischen Bär und Berner, geschrieben von Paul Maillefer (1862 – 1929), einem Geschichtsprofessor aus dem Waadtland. Ungeschminkt, aber offenkundig nicht ohne Ressentiment ist das Bild, das der Freimaurer und ehemalige Nationalratspräsident vom Berner und ihrem Hockey-Wappentier zeichnet.
«Kein anderes Tier könnte den Bernern besser als Sinnbild dienen als der Bär. Seht ihn: er zeichnet sich nicht durch Schönheit aus, aber es fehlt ihm nicht eine gewisse komische Grazie, er scheint schwer und massiv, aber er kann bei Gelegenheit sehr beweglich sein, er scheint grenzenlos gutmütig, zu nichts schlimmem fähig, gerne möchte man ihm die Hand geben – aber in seiner Samttatze verbergen sich furchtbare Krallen. Der Erfolg, sagt man, besteht darin, keine Nerven zu haben. Einverstanden. Aber auch darin, keine Furcht, und Freund und Feind gegenüber weder Bedenken noch Rücksicht zu kennen.»
Da kann man nur sagen: Lugano – SCB 0:6. Der Triumph der Bärenenergie über Dr. Saul L. Millers Psychologie. Ist jetzt alles klar? Bern doch noch in den Playoffs? Auf Kosten Luganos? Nur jetzt keine Prognosen. Es ist immer noch möglich, dass es doch Lugano schafft. It’s not over before the fat lady sings.
P.S.: Bär heisst auf finnisch Karhu. Der Vater der SCB-Auferstehung ist der finnische Torhüter. Er heisst Tomi Karhunen.
Ist die Mannschaft ein Team, ist das alles absolut unnötig, die wissen selbst was die zu tun haben.