Der watson-Eismeister Klaus Zaugg blickt auf die neue National-League-Saison voraus, die am 14. September beginnt. In umgekehrter Reihenfolge seiner Prognose nimmt er alle Klubs der Liga unter die Lupe. Heute der zehnte von 14 Teilen – der HC Davos.
Der Spengler Cup? Zwei Mal abgesagt. Das WEF mit seinen üppigen Mieteinnahmen für den HCD? Ebenfalls. Die Pandemie hat den Klub hart getroffen. Nach zwei Geschäftsjahren mit Millionenverlusten ist eine Aktienkapitalerhöhung nötig geworden.
Präsident Gaudenz Domenig ist ein kluger Politiker mit der DNA der Bergler: Er jammert so schlau über fehlendes Geld, dass gar niemand merkt, dass in den letzten zwei Jahren fleissig und teuer transferiert worden ist (u. a. Robert Mayer, Gilles Senn, Dominik Egli, Raphael Prassl, Axel Simic, Julian Schmutz, Michael Fora, Thomas Wellinger, Simon Knack, Valentin Nussbaumer), und bei den Ausländern wird so wenig geknausert wie beim Dessert-Buffet im Spengler-Cup-VIP-Zelt. Trotzdem kamen letzte Saison erstmals seit 2003/04 im Schnitt weniger als 4000 Fans.
Der HCD hat es nicht leicht in den Bergen oben. Dem Präsidenten gelingt es, das allen klarzumachen, und seine Beziehungen in der Zürcher Hoch- und Mittelfinanz sorgen für freundliche monetäre Zuwendungen. Der HCD ist nach wie vor wirtschaftlich dazu in der Lage, mit den «Big Dogs» zu bellen.
Wie gut die Davoser die «Big Dogs» auf dem Eis herausfordern können, hängt mehr vom Trainer als vom Team ab. Trainer spielen beim HC Davos im 21. Jahrhundert in der Aussenwahrnehmung eine zentrale Rolle und stehen noch mehr im medialen Scheinwerferlicht als bei anderen Klubs. Der flamboyante Arno Del Curto, der populärste und charismatischste von allen, ist sogar der einzige Klubtrainer im Land, der eine Autobiographie verfasst hat (Patrick Fischer ist erst als Nationaltrainer zum Memoirenschreiber geworden).
Der Trainer ist in Davos Bandengeneral, Ausbildner und gerade wegen den TV-Livebildern vom Spengler Cup im staatstragenden Fernsehen in einem hohen Mass eine Identifikationsfigur weit über die Hockeykultur hinaus.
Wenn nun der HCD-Trainer im Zorn eine Trinkflasche aufs Eis schmeisst oder öffentlich den Goalie verbal zusammenfaltet – wie es Christian Wohlwend im Viertelfinal gegen die Lakers getan hat – dann zieht das medial weitere Kreise, als wenn Ähnliches in der Ajoie hinten passiert. Und so steht Christian Wohlwend in seinem vierten Amtsjahr nun erst recht unter nationaler Beobachtung und eine Krise oder einen weiteren Temperamentsausbruch kann er sich nicht leisten.
Was ihm hilft: Die Wahrheit steht immer oben auf der Resultattafel. Christian Wohlwend hat in der denkbar schwierigsten Situation den HCD nach dem Ende der Ära Del Curto in die Spitzengruppe zurückgeführt. Er hat den Rückschlag der zweiten Saison (Pre-Playoffs gegen den SCB verloren) weggesteckt und im letzten Frühjahr dank einer wundersamen Viertelfinalwende nach einem 0:3 gegen die Lakers den HCD in den ersten Halbfinal seit 2017 geführt.
Aber manchmal steht die Wahrheit doch nicht oben auf der Resultattafel. Wäre der HCD-Trainer ein Franko-Kanadier (Christian Bienvenue) oder ein Amerikaner (Chris Wellbeloved) – er gälte als nonkonformistischer Hitzkopf und seine Ausraster im Schwenkbereich der TV-Kameras würden als Mut zum Wutausbruch der Abendunterhaltung zugeordnet.
Aber er ist Schweizer und bei einem Schweizer heisst es eher: «Da dar me nöd!» Christian Wohlwend ist trotz guter Resultate umstritten. Sein Vertrag läuft im Frühjahr aus. Die erste Krise kann ihn das Amt kosten. Der HCD ist eine Mannschaft für die vordere Tabellenhälfte. Dank guten Transfers und Ausländern vielleicht sogar ein Spitzenteam. Christian Wohlwend hat gute Chancen, dass er auch dann als HCD-Trainer einen Wintermantel braucht, wenn es erst im Februar so richtig kalt wird.
Sportdirektor Jan Alston hat so gut transferiert (mit Michael Fora einen neuen Verteidigungsminister, die Ausländerpositionen vorzüglich besetzt), dass die zweitbeste Abwehr der letzten Qualifikation noch stabiler geworden ist. Also wird der HCD in der neuen Saison besser sein, vielleicht sogar gut genug für Platz 3. Oder doch nicht? Gäbe es nicht die berechtigten – oder sind es eigentlich unberechtigte? – Diskussionen um Trainer Christian Wohlwend, würden wir auf Rang 3 statt «nur» auf Platz 5 tippen. Ach, zu den Zeiten von Arno Del Curto war in Davos vieles berechenbarer …