Ist alles, was in den letzten Monaten gesagt, geschrieben und gesendet worden ist, doch nicht wahr?
Wir neigen in der Sport-Berichterstattung dazu, Klischees zu verwenden. Also abgenutzte Redensarten. Dazu gehören bei einer Auseinandersetzung zwischen Zug und Bern etwa folgende Analysen:
Ach, wie aufregend war es, als wir nach dem ersten Finalspiel sagen konnten: eine neue Zeit ist angebrochen! Vergesst die alten Klischees! Schreibt die Hockey-Geschichte um!
Die Zuger siegen zum Auftakt in Bern auf überzeugende Art und Weise 4:1. Tanzmaus Lino Martschini wirbelt im Ehrengewand des Playoff-Topskorers zu zwei Assists. Tobias Stephan ist besser als Leonardo Genoni. Raphael Diaz ist ein grosser Verteidigungsminister. Das alte Bern geht unter und in Zug zeigt sich die Morgenröte einer neue Hockeydynastie. Das war am letzten Donnerstag. Vor fünf Tagen. Diese fünf Tage kommen uns inzwischen wie eine Ewigkeit vor. Wie eine Zeitreise.
Nun ist nämlich auf einmal wieder alles so, wie es schon immer war. Bereits in der 13. Minute versenkt SCB-Vorkämpfer Tristan Scherwey den Puck zum 3:1. Noch bevor auch nur 20 Minuten gespielt sind gelten die alten Klischees wieder.
Die zwei ersten SCB-Treffer sind haltbar. Lino Martschini kann sich nicht mehr durchsetzen und vergibt eine goldene Chance zum 2:2. Raphael Diaz steht mit seiner Strafe am Ursprung des ersten Gegentreffers. Und die SCB-Maschine rollt unaufhaltsam dem Sieg entgegen.
Die Zuger kommen in dieser dritten Partie nie ins Spiel. Dabei sind die Hockeygötter gnädig. Leonardo Genoni wird von Carl Klingberg zum 1:1 überlistet (7.). Dieser Treffer kommt wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Nach gängigen Klischees ein Tor, das den SCB aus dem Tritt bringen und den EV Zug beflügeln müsste. Aber nichts passiert. Die SCB-Maschine stottert nicht einmal. Sie läuft einfach weiter. Nicht einmal sechs Minuten später steht es 3:1. Aus. Vorbei. Ein gewöhnlicher SCB genügt, um fortan das Spiel zu kontrollieren.
Wie ist dieser Untergang möglich? Wie kann es sein, dass alles, was wir im Laufe dieser Playoffs gehört, gesehen und gelesen haben – Zug ist bereit für den Titel, Zug hat viel mehr Energie, Zug spielt moderner, dem SCB wird die stärkere Beanspruchung im Viertel- und Halbfinale zum Verhängnis – wie ein Irrtum klingt?
Es gibt zwei Punkte. Nur der erste ist tröstlich für Zug. Der zweite hingegen nicht. Der tröstliche: es war «nur» dieses eine Spiel. Bereits am Donnerstag bekommen die Zuger eine neue Chance. Wir sollten uns hüten, eine Mannschaft aufgrund einer Niederlage bereits abzuschreiben. Zug ist bloss ein Drittel völlig missraten und hat nun zwei Finalspiele verloren. Aber noch lange nicht den Titelkampf.
Der zweite Punkt ist weniger erfreulich. Die Zuger haben sich nach dem 4:1 in Bern überschätzt. Sie sind mit den hohen Erwartungen nach dem «Durchmarsch» ins Finale mit nur einer Niederlage und mit dem Sieg zum Finalauftakt in Bern nicht fertig geworden. Die vermeintlich riesige Chance, zum zweiten Mal nach 1998 Meister werden zu können, überfordert alle.
Gewiss, das ist eine gewagte, ja polemische Behauptung. Aber es gibt eine Episode, die sie untermauert. Sie spielt im Zuger Hockeytempel am letzten Samstag. Eine Stunde vor der zweiten Partie, die Zug in der Verlängerung 2:3 verlieren wird.
Ein freundlicher Chronist plaudert mit einem Mitglied des inneren EVZ-Führungszirkels mit Zugang zur Kabine und Vertrauensverhältnis mit Cheftrainer Dan Tangnes. Was denkst Du, wer gewinnt heute Abend? Wer gewinnt die Meisterschaft? Der Zuger, der sicherlich seinen Namen nicht hier lesen möchte, sagt mit heiliger Überzeugung, der Final werde 4:0 enden. – 4:0? Nicht möglich! Der Gegner ist der SCB! – Doch, doch, wir sind so viel besser. Mit Glück kann der SCB eine Partie gewinnen.
Nichts ist in den Zeiten der Playoffs gefährlicher als Selbstüberschätzung.
Zugs Trainer Dan Tangnes sieht die Schwierigkeiten tatsächlich im mentalen Bereich. Aber natürlich nicht in einer Selbstüberschätzung. Er erklärt die Niederlage in Bern so: «Wir waren von allem Anfang an gestresst. Wir fanden nie die Sicherheit und Ruhe um unser Spiel zu entwickeln. Das nehme ich auf mich. Ich war schon im Vorfeld des Spiels nicht dazu in der Lage, die Ruhe in die Kabine zu bringen, die es für solche Partien braucht.»
Diese Analyse ist treffend. Mehr noch als in der zweiten Partie (2:3 n.V) sind die Zuger zu hektisch, zu undiszipliniert. Polemisch können wir es so sagen: sie wirken im Vergleich zu den abgeklärten Bernern wie eine aufgeregte Junioren-Mannschaft.
Dan Tangnes sagt, nichts sei verloren. «Ich sagte in der ersten Pause zu meinen Spielern, alles, was passieren könne, sei eine Niederlage in diesem Spiel und dann sei noch nichts verloren. Wir müssen diese Niederlage hinter uns lassen und es liegt an mir dafür zu sorgen, dass wir unsere Chance erkennen und mit Zuversicht ins nächste Spiel gehen.»
Theoretisch hat dieser charismatische Kommunikator Recht. Es ist tatsächlich noch nichts verloren. Der SCB führt erst mit 2:1. Zug kann am Donnerstag ausgleichen – und dann ist wieder alles offen. Oder doch nicht?
Die Zuversicht von Dan Tangnes ist ein Irrtum. Der SCB ist in den Playoffs zwar tatsächlich verwundbar. Aber fast nur in den Viertel- und Halbfinals. Die Berner sind in der ersten und zweiten Runde auch schon gegen Zug gescheitert. 2009 sogar im Viertelfinale als Qualifikationssieger. Aber gegen Zug noch nie im Finale.
Der SCB taumelte diese Saison durchs Viertelfinale (gegen Servette) und geriet gegen Biel an den Rand des Scheiterns. Die Bieler hätten den SCB aus den Playoffs kippen können und verloren auf eigenem Eis 0:1. Nun erkennen wird: sie haben durch dieses 0:1 eine Jahrhundertchance auf den Titel vergeben. Denn dieses Biel hätte die Zuger im Finale besiegt. Alleine schon deshalb, weil Jonas Hiller besser ist als Tobias Stephan.
Sind einmal die ersten beiden Runden überstanden, dann ist der SCB im Finale ein beinahe unerschütterlicher Titan. Warum das so ist, zeigt uns das Beispiel dieser Saison.
Die Erwartungen sind in Bern seit dem Wiederaufstieg von 1986 richtigerweise himmelhoch. Das ist eben beim Bayern München des Hockeys so.
Im Viertelfinale und Halbfinale auszuscheiden ist in Bern immer Scheitern. Wir haben das diese Saison wunderbar erlebt und uns dabei bestens unterhalten: in den Büros und in den Kabinengängen war die Hektik und Nervosität im Viertel- und Halbfinale gross und sie hat sich zeitweise auf Kari Jalonen und die ganze Mannschaft übertragen.
Erst nach dem 1:0, dem Sieg, der Biels Herz im Halbfinale gebrochen und den Weg ins Finale geöffnet hat, ist die meisterliche Ruhe zurückgekehrt. Ist der SCB erst einmal im Finale, wird aus Hektik Gelassenheit, die Müdigkeit schwindet und aus Zweifeln wird grimmige Entschlossenheit.
Die Berner haben nur vier von 13 Finals verloren (1990/Lugano, 1996/Kloten, 2007/Davos und 2012/ZSC Lions). Neunmal haben sie den Titel geholt. Zweimal (1997 und 2017) gegen und in Zug.
Nun ist der SCB im dritten Finalspiel von der ersten Sekunde an wie ein Meisterteam aufgetreten. Wir haben endlich den wahren «Final-SCB» gesehen. Wie 1989, 1991, 1992, 1997, 2004, 2010, 2013, 2016 und 2017. Alles ist wieder so, wie es schon immer war. Und das bedeutet, read my lips: Der SCB wird Meister.
P.S. Falls der SCB nicht Meister werden sollte, wird der Chronist zu Fuss von Bern nach Zug marschieren.