Die Zürcher leiden seit Jahren an ihrem skandinavischen Irrglauben. Der Grund: Die ZSC Lions sind eine der professionellsten und modernsten Hockey-Organisationen der Welt und sie haben das Glück (andere sagen: das Pech), dass sie sich das Beste leisten können.
Modern – also das Beste – ist die skandinavische Hockeyauffassung mit dem Primat der Taktik vor der künstlerischen Entfaltung. Es wird analysiert, erklärt und an die Selbstverantwortung der Spieler appelliert. Aber nicht getobt. Das Problem: Eishockey ist keine höhere Wissenschaft und unberechenbar. Kein anderer Coach der Liga setzt so sehr auf Berechenbarkeit, System und Eigenverantwortung wie Rikard Grönborg. Mit Schweden war er mehrmals Weltmeister. Wer mag ihm da widersprechen?
Tatsächlich funktionieren die ZSC Lions in einzelnen Partien wie eine unheimliche, unaufhaltsame Maschine (wie etwa beim 5:1 in Biel). Aber immer öfters wird das System durchschaut und die bestbesetzte und teuerste Mannschaft der Klubgeschichte verliert unrühmlich: 0:1 gegen den SCB und in Fribourg. Am letzten Samstag verloren sie gar 3:4 in Ajoie. In Ajoie! Und beim sonntäglichen 5:2 über die SCL Tigers standen sie lange Zeit nahe am Abgrund. Erst zwei Flops des sonst tüchtigen Robert Mayer machten die Wende und den Sieg doch noch möglich.
Die ZSC Lions sind weit davon entfernt, ihr spielerisches Potenzial umzusetzen. Ausreden gibt es keine. Rikard Grönborg arbeitet bereits im dritten Jahr mit der Mannschaft. Alle Positionen haben die Zürcher gut oder hochklassig besetzt. Dan Tangnes muss in Zug grössere Umbauarbeiten beaufsichtigen als Rikard Grönborg nach weiteren «Kaisertransfers» (Denis Malgin, Yannick Weber) im Hallenstadion. Die ZSC Lions müssten die Liga dominieren und die Tabelle anführen. Aber sie tun es nicht.
Am Personal auf dem Eis kann es nicht liegen. Keine andere Mannschaft ist so gut besetzt. Auch Meister Zug nicht. Noch in der vierten Formation finden wir im Spiel gegen Langnau mit Reto Schäppi einen dreifachen WM-Teilnehmer und Meisterhelden. Mag sein, dass er zurzeit nicht sein bestes Hockey Spielt (erst ein Tor). Vielleicht, weil er sich Gedanken über seine Zukunft macht und überlegt, ob er im Frühjahr ein lukratives Mehrjahresangebot von Kloten annehmen und sich einen schönen Karriere-Herbst sichern will. Aber das ist hier nicht das Thema. Es geht darum, dass die Zürcher selbst in der vierten Linie höchste Prominenz aufstellen können.
Das Problem ist der Trainer. Keine Polemik. Nur eine kurze Geschichtelektion.
Saison 2017/18. Nach 19 Runden stehen die ZSC Lions mit 35 Punkten auf Platz 3.
Saison 2021/22. Nach 19 Runden stehen die ZSC Lions mit 33 Punkten auf Platz 5.
Die Zürcher sind also schlechter platziert als im Herbst 2017. Sie spielen auch weniger gut als damals. Warum dieser Vergleich?
Im Herbst 2017 steht mit Hans Wallson auch ein Schwede an der Bande. Oder besser: fast eine schwedische Bande. Hans Wallson hat auch seinen Kumpel Lars Johansson mitgebracht. Die beiden Schweden werden im Sommer 2016 wie nordische Hockeygötter empfangen und gerühmt. Hans Wallson war zweimal Coach des Jahres in Schweden. Aber irgendetwas fehlt. Der Funke springt nie über. Und siehe da: Am 29. Dezember 2017 werden die beiden Schweden gefeuert. Die ZSC Lions sind auf den 7. Platz abgerutscht. Unter dem rustikalen kanadisch-schweizerischen Doppelbürger Hans Kossmann rockt es wieder im Hallenstadion und die Zürcher feiern 2018 ihren bisher letzten Titel.
Im Herbst 2021 werden die ZSC Lions von einer noch grösseren Schweden-Bande geführt. Rikard Grönborg hat gleich zwei Kumpels mitgebracht: Johan Andersson und Peter Popovic. Zudem ist der schwedische Stürmer Marcus Krüger der verlängerte Arm des Trainers auf dem Eis. Auch diese Schweden sind wie nordische Hockeygötter empfangen und gerühmt worden. Aber der Funke springt im dritten Jahr nicht mehr über. So viel System und so wenig Spektakel. So viel Berechnung und so wenig Leidenschaft. Zeitweise eine schier« maschinelle» Überlegenheit und so wenig Effizienz. Wer die Defensive perfekt organisieren will, darf sich nicht wundern, wenn vorne die Kreativität fehlt.
Wann feuern die ZSC Lions auch Trainer Rikard Grönborg? Diese Frage ist weder polemisch noch provokativ oder gar boshaft. Sie ergibt sich mit einem Blick in die jüngste ZSC-Geschichte für den neutralen Beobachter zwingend. Die Erinnerungen an die Saison 2017/18 sind für den ZSC-Trainer gefährlich. Es könnten Erinnerungen an die Zukunft sein.
Die ZSC Lions werden klug gemanagt. Sportchef Sven Leuenberger ist kein Mann der schnellen, unüberlegten Entscheide. Seine Philosophie: Niemand kommt ohne Schwierigkeiten durch die Qualifikation. Meisterschaften werden nicht vor der Weihnachtspause entschieden. Alle Probleme, die wir im Laufe der Qualifikation lösen, plagen uns in den Playoffs nicht mehr. Krisen machen uns stärker. Und wenn einer wie Rikard Grönborg bis im Frühjahr die Unstimmigkeiten des Herbstes nicht zu lösen vermag – wer dann? Eben. Der Trainer ist kein Thema.
Und doch: Die letzte Verantwortung trägt der Trainer. Wenn gemurrt wird, ist der Trainer ein Thema. In jeder Liga der Welt. Und da drängt sich die Frage auf: Warum eigentlich diese Fixierung auf Schweden? Die ZSC Lions haben seit ihrer Gründung 1997 alle nationalen und internationalen Titel unter nordamerikanischen Bandengenerälen gewonnen. Alle. Mit Kent Ruhnke (2000), Larry Huras (2001), Harold Kreis (2008), Bob Hartley (2012), Marc Crawford (2014) und Hans Kossmann (2018). Dazu der Cupsieg unter Marc Crawford (2016) und die Triumphe in der Champions Hockey League (2009) und im Victorias Cup (2009) unter Sean Simpson. Die skandinavischen Trainer sind hingegen bisher alle gescheitert. Den Cupfinal von 2021 hat Rikard Grönborg gegen den SC Bern kläglich und schmählich verloren.
Und da ist noch etwas. Der Vertrag mit Rikard Grönborg ist im Juli 2020 vorzeitig bis 2023 verlängert worden. Wahrlich, ein Vertrauensvorschuss. Aber seither ist mehrmals ein Wechsel in die NHL öffentlich erörtert worden. Der ZSC-Trainer hat sogar eine NHL-Freigabeklausel im Vertrag, die er bis Weihnachten einlösen muss. Die NHL-Gerüchte sind verständlich. Alles korrekt. Alles legal. Jeder will in der besten Liga der Welt arbeiten. Aber dieses Kokettieren erleichtert dem Trainer die Arbeit im Hallenstadion nicht. Wer ab und an die schöne Nachbarin rühmt, darf sich nicht wundern, wenn Liebe und Leidenschaft der Gattin trotz aller Treueschwüre nachlassen.
Es gibt ein gutes Argument gegen jede Trainerentlassung: wenn zu oft die Trainer gewechselt werden, gibt es keine Kontinuität. Kontinuität ist wichtig. Eigentlich barer Unsinn. Kontinuität gibt es bei grossen Organisationen wie den ZSC Lions, dem SC Bern, Davos, YB, dem FC Basel oder Bayern München nur durch den Erfolg. Bleibt der Erfolg über eine längere Zeit aus, sollte auch der Trainer nicht bleiben.
Auch deshalb die Frage: Wann wird Rikard Grönborg gefeuert?
Dem Zett bleibt eigentlich gar nichts übrig als den Rat des weisen Chronisten zu folgen.
Mit einem Trainer der klare Anweisungen gibt, den Spielern aber noch etwas ihre persönlichen Freiheiten im System lässt, hätte der ZSC wohl bestimmt viel mehr Spass und Erfolg. So gesehen glaube ich auch, dass ein Trainerwechsel nur eine Frage der Zeit ist!