Auf der Suche nach einer Antwort müssen wir uns zuerst ein wenig mit der HCD-Führungsstruktur befassen.
Geführt wird das Unternehmen von Marc Gianola (47). Die Stress-Resistenz des langjährigen Captains (2005 bis 2010) ist Kult. Nichts, was im Büro und in der Kabine geht, vermag ihn zu erschüttern.
Früh kommt er des morgens ins Büro (die Bergler stehen mit der Sonne auf, im Winter sogar viel früher). Er lässt die Kaffeemaschine zischen und fauchen und sich zwanglos und doch hellwach und aufmerksam wie bei der Hochwildjagd von seinen Hockey-Mitarbeitern berichten, was sie vorhaben, was getan werden sollte und was so im Busch ist. Huscht spät in der Nacht gegen 03.00 Uhr eine Maus durch die HCD-Kabine – er vernimmt es am nächsten Tag noch vor dem Frühstück.
Das erklärt uns Marc Gianolas kluge Gelassenheit. Er ist auch in stürmischen Zeiten die Ruhe selbst und lässt seinem Sportchef im Rahmen des Budgets freie Hand und viel Gestaltungs-Spielraum. Das ist ein wichtiger Grund, warum der HCD nach Arno Del Curto so schnell wieder in die Spur zurückgefunden hat.
Über allem schwebt natürlich der Verwaltungsrat als strategisches Führungsorgan. So wie es in einer Aktiengesellschaft der Brauch ist. Das Gremium wird geprägt vom pragmatischen Advokaten Gaudenz Domenig und seinem Vize, dem «Feuerkopf» Roberto Lombardini, sozusagen eine «Büroversion» von Arno Del Curto. Drei, vier Niederlagen hintereinander bringen ihn in emotionale Aufwallung.
Er sorgt dafür, dass auch auf strategischer Ebene nie Selbstzufriedenheit und Genügsamkeit aufkommen und sich immer alle bewusst sind, dass der HCD gross und meisterlich zu sein hat. Und mit seinem Netzwerk in der Finanzwelt, dichter als das Wurzelwerk eines dreihundertjährigen Eichenbaumes, hegt und pflegt er auch den «Kristall-Club», das wichtigste HCD-Finanz- und Feuerlöschungsinstrument, das in Zeiten der Not monetär Gutes tun kann.
Wer ist nun der ideale Sportchef für den HCD? Einer, den Marc Gianola und der Verwaltungsrat für gut befinden. Ein Mann, der fachlich den hohen Ansprüchen von Marc Gianola genügt und zugleich so charismatisch ist, dass Gaudenz Domenig und Roberto Lombardini, wenn es sonst niemand hört, zueinander sagen: «Wahrhaftig ein toller Kärli, der vermag uns neuen, herrlichen Zeiten entgegenzuführen.»
Eigentlich muss der HCD-Sportchef charismatisch sein wie Chris McSorley. Aber eben nicht zu charismatisch. Die Davoser sind in der DNA noch immer Bergler. Trittfest, unerschütterlich, aber eben auch mit einem gesunden Misstrauen. Wer zu charismatisch, zu kommunikativ ist, dem trauen sie nicht mehr so recht. Was der HCD braucht, ist ein Chris McSorley für den Hausgebrauch. Einer, der so ist, wie Raeto Raffainer war. Oder eben einen wie Jan Alston.
Raeto Raffainer war bereits die perfekte Lösung. Charismatisch, fachlich kompetent – er war beim Verband einer der Architekten des WM-Silberwunders von 2018 – und als Engadiner doch auch ein Bergler, dem man vertrauen konnte. Fachlich unbestritten und eben auch ein «toller Kärli» im Sinne des Verwaltungsrates.
Mag sein, dass man ihm in Davos den Wechsel zum SCB bis ans Ende seiner Tage nachtragen wird. Das ändert nichts daran, dass er zu seinem Arbeitgeber stets bedingungslos loyal ist.
Beim SCB murrt er nicht gegen die Zumutung, dass er als Obersportchef die ganze Arbeit machen muss, nur damit im Sinne von Marc Lüthi der Schein gewahrt wird, dass eigentlich Untersportchefin Florence Schelling in Zusammenarbeit mit Nebensportchef Alex Chatelain die ganz grosse SCB-Macherin ist. Was wir natürlich in keinster Art und Weise in Abrede stellen.
Jan Alstons fachliche Kompetenz steht so wenig zur Debatte wie zuvor die von Raeto Raffainer. In neun Jahren hat er in Lausanne aus ewigen, lebenslustigen Hockeyhipstern einen ernsthaften Herausforderer für die Titanen aus der Deutschschweiz geformt. Wäre er bei den neuen Besitzern im Frühjahr 2020 nicht in Ungnade gefallen, wäre Lausanne jetzt schon Tabellenführer.
Jan Alston ist so charismatisch wie Chris McSorley und darüber hinaus sprachgewandter: Er parliert fliessend in unseren Hockey-Weltsprachen Deutsch, Französisch und Englisch. Seine Präsentation in Davos ist Gaudenz Domenig und Roberto Lombardini gehörig «eingefahren». Sie ahnen, sie wissen: Für diesen Mann ist der Job in Davos mehr als nur bezahlte Arbeit. Es ist eine Mission. So wie es sein muss in einer Hockeyfirma, die 100 Jahre alt geworden ist.
Aber anders als Chris McSorley ist Jan Alston auch auf höchste Diskretion bedacht. Unter ihm sickern kaum je Internas zu den Medien durch. Auf ihn ist hundertprozentig Verlass. Marmor, Stein und Eisen bricht, aber sein Schweigen und seine Loyalität zum Arbeitgeber nicht. Und nicht zu vergessen: ein wenig HCD-Stallgeruch hat er schon. Im letzten Jahrhundert (1995/96) stürmte er schon eine Saison lang mit grossem Erfolg (36 Qualifikationsspiele/51 Punkte) für den HCD.
Eigentlich wollte Gaudenz am nächsten Donnerstag Jan Alston als neuen HCD-Sportdirektor präsentieren. Jetzt hat die «NZZ» vermeldet, das schon lange herumgereichte Gerücht seiner Anstellung beim HCD sei wahr. Und wer zweifelt an dem, was die «NZZ» meldet? Niemand. Eben.
Jan Alston dürfte nun schon früher als geplant offiziell bestätigt werden.
Er wird nicht mehr so gross anrühren können wie bei Lausanne. Ob das mit kleinerem Budget auch geht, wird sich weisen.