Eine andere Welt, eine andere Sportart: Die Einführung der Playoffs war auch im Eishockey nicht so einfach. Aber im Vergleich zum Modus-Theater im Fussball war es Sportpolitik auf dem Ponyhof.
Im Laufe der Saison 1982/83 wird die Einführung der Playoffs erstmals ernsthaft diskutiert. Schweden hat 1974 als erstes europäisches Land die Playoffs eingeführt, Finnland folgt 1975 und Deutschland 1980. Es ist also offensichtlich, dass dieser Modus funktioniert.
Kommt dazu, dass die nordamerikanische National Hockey League (NHL), die wichtigste Liga der Welt, einen Teil ihrer Magie den Playoffs um den Stanley Cup verdankt. Der Playoff-Modus profitiert bei der Einführung im Eishockey von einer viel höheren Akzeptanz und internationalen Strahlkraft als im Fussball. Was auch damit zusammenhängt, dass sich Playoffs für Hockey eher besser eignen als für Fussball.
Was die Klubs damals bei der Einführung der Playoffs umtreibt: Die Suche nach Ausgeglichenheit, Spannung und höheren Einnahmen.
Zu Beginn der 1970er Jahre kostet ein Meisterteam noch rund eine Million. In den 1980er Jahren haben sich durch die Entwicklung eines Halbprofitums die Kosten bereits verdreifacht. Die Meisterschaft klingt meistens schon im Februar geräuschlos aus, die Titelentscheidung fällt lange vor der letzten Runde. Es brauch mehr Spiele, Spektakel und Spannung.
Der Tiefpunkt: Im Frühjahr 1984 gewinnt der HCD die Meisterschaft in der nur acht Teams umfassenden NLA mit 16 Punkten Vorsprung. Für einen Sieg gibt es nur zwei Punkte. Gepröbelt wird mit Zwischenrunden, Meisterrunden, Punktehalbierungen. Nichts bringt Spannung und Ausgeglichenheit in die Liga zurück. Die Zeit für eine Revolution ist gekommen. Die Zeit für die Einführung der Playoffs.
Peter Bossert ist der Mann, der diese Revolution möglich macht. Er ist zwar als Präsident dem EHC Arosa verpflichtet. Aber er verliert das Gesamtinteresse unseres Hockeys nie aus den Augen. Die Revolution organisiert der Manager einer internationalen Dienstleistungsfirma in seinem Büro im Zürcher Industriequartier fast wie einst Lenin die Anfänge der Oktoberrevolution im Niederdorf.
Unvergessen der Spruch aus dieser bewegten Zeit, unsere Hockey-Politik werde «hinter den sieben Geleisen» in Bosserts Büro gemacht (es ist die Anspielung auf einen Schweizer Film). Peter Bossert hat einmal mit seinem feinen Sinn für Ironie gesagt: «Es gab damals in unserem Hockey kaum einen Entscheid von Bedeutung, der nicht über meinen Schreibtisch gegangen wäre.»
Es ist eine andere Zeit. Eine andere Welt. Natürlich gibt es Widerstand gegen die Playoffs. Vor allem aus traditionalistischen Kreisen, die im Hockey eher noch stärker sind als im Fussball. Da ist die Rede vom Ausverkauf der Seele durch die «Amerikanisierung» (die Playoffs sind 1894 in Nordamerika erfunden worden). Die Schweiz sei nicht Amerika. Niemand wolle vom September bis im Februar Spiele sehen, bei denen es um «nichts», also bloss um die Positionen für die Playoffs gehe. Es sei eine krasse Benachteiligung der schwächeren Klubs, wenn die reichen, starken Klubs am Ende der Saison exklusiv die Meisterschaft unter sich ausmachen und mehr attraktive Heimspiele austragen dürfen. Die Meisterschaft verkomme zur Farce. Zum Zirkus.
Alle diese Befürchtungen werden sich nicht bestätigen. Die Zuschauerzahlen haben sich bis heute auch während der Qualifikation verdoppelt, die Liga ist von 10 auf 14 Teams angewachsen. Die Playoffs als Erfolgsgeschichte.
Heute wäre diese Revolution wahrscheinlich nicht mehr möglich. Denn inzwischen haben die Gegner einer Modus-Idee ganz andere Mittel zur Verfügung, um ihre Meinung in die Öffentlichkeit zu tragen, das Publikum zu mobilisieren und die Entscheidungsträger unter Druck zu setzen.
Mitte der 1980er Jahre gibt es weder Internet noch Mobiltelefone. Eine von Peter Bossert geschickt geführte kleine Männerrunde macht die Meinung. Wenn er, Klotens graue Eminenz Jürg Ochsner (der fast die ganze Liga mit Material versorgt und bei dem fast alle offene Rechnungen haben), Luganos Präsident Geo Mantegazza, der HCD-Vorsitzende Gery Diethelm, Liga-Präsident Samuel Burkhardt und Verbandsboss René Fasel von einer Idee überzeugt sind, dann wird sie umgesetzt. Burkhardt führt die Liga von 1983 bis 1990 und als Generalsekretär des Justizdepartementes bewährt er sich später in stürmischen politischen Zeiten um den Rücktritt seiner Chefin Elisabeth Kopp. Fasel, Jahrgang 1950, ist der jüngste Präsident der Verbandsgeschichte und macht noch so gerne Revolution. Er wird 1994 den Vorsitz des internationalen Verbandes für mehr als ein Vierteljahrhundert übernehmen. Die Liga ist in der Modusfrage zwar eigenständig, aber der Verbandsvorsitzende ist für die Meinungsmache wichtig.
Eine solche Einigkeit zwischen Liga und Verband und den meinungsmachenden Klubs hat es in dieser Form seither nie mehr gegeben. In Einzelgesprächen überzeugt Peter Bossert bei feinen Mittagessen «hinter den sieben Geleisen» auch die wichtigsten Journalisten. So kommt es in den Medien, in der Öffentlichkeit gar nicht erst zu einer echten Kontroverse. Wer gegen die Playoffs ist, dem bleiben als Kommunikationskanäle weitgehend nur der Wirtshaustisch und die Leserbriefspalten.
Letztlich ist es «Hinterzimmer-Politik» im besten Wortsinn zum Wohle unseres Hockeys, die heute in dieser Form nicht mehr möglich wäre. Eine andere Zeit. Eine andere Welt. Auch im Eishockey gibt es die Einigkeit aus der Playoff-Pionierzeit schon lange nicht mehr und eine so tiefgreifende Revolution in der Modus-Frage wäre kaum noch machbar.
Das mag zeigen, wie schwierig die Playoff-Modus-Frage für den Fussball ist. Für einen Spielsport, der keine mit dem Eishockey auch nur annährend vergleichbare Playoff-Kultur und -Akzeptanz hat.
P.S. Ironie der Geschichte: Nach der ersten Playoff-Saison steigt Peter Bossert mit Arosa im Frühjahr 1986 freiwillig in die 1. Liga ab. Nur vier Jahre nach dem letzten Titelgewinn ist ein Team der höchsten Spielklasse in Arosa oben nicht mehr finanzierbar.
Lasst ihnen doch den alten Modus. Lasst sie ihre Meisterfeier an einem spielfreien Tag auf dem Sofa statt 2.5s vor Schluss beim Qualisieger in der Gästekurve verbringen. 🫣