Die Zeiger rücken gegen Mitternacht und hoch steht der helle Mond über dem Tal. Ambris grosser Präsident Filippo Lombardi, Erbauer des Hockey-Tempels in der Leventina, steht vom Tisch auf und zieht sich in seine Gemächer zurück.
Warum so früh schon? Die Turmuhren haben noch nicht einmal zwölf geschlagen! Er müsse eben am nächsten Tag zeitig aus dem Bett. «Ich habe eine Sitzung mit Denis Vaucher.»
Also mit dem Liga-Manager. Worum es geht, mag Filippo Lombardi im Detail nicht ausführen. Aber es ist bekannt, dass ihn Sorgen wegen der schwarzen Schafe in Ambris Herde drücken.
Der Chronist hat sich die Mühe genommen, diesen Sorgen nachzugehen. Nach mehreren Tagen und vielen Telefongesprächen ist es möglich, die Sachlage zu schildern und sogar mit einem Video zu dokumentieren.
Am 29. September richten Ambri-Anhänger im Gästesektor in Lugano in der Toilette Sachschäden an. Jeder Gästesektor ist mit Verpflegungsmöglichkeiten und Toiletten ausgerüstet. Mehrere Täter können offenbar überführt werden und die Voraussetzungen für ein Stadion-Verbot sind erfüllt.
Am 25. November spielt Ambri in Zürich gegen die ZSC Lions. Erneut verwüsten Ambri-Anhänger die Toiletten im Gästesektor. Abfallkübel und Wasserhähne werden herausgerissen. Was entsprechende Wasserschäden zur Folge hat (siehe Video).
Die Video-Überwachung der ZSC Lions zeigt, dass die zwei in Lugano identifizierten schwarzen Schafe wieder dabei sind. Also wieder in der «Herde» Unterschlupf gefunden haben. Mehr noch: Offenbar zeigen die laufenden Bilder, dass zwei mit den Fans mitgereiste Sicherheitsleute (die dafür sorgen sollten, dass Ruhe und Ordnung herrschen) den vermeintlichen Missetätern auch noch anerkennend auf die Schultern klopfen.
Der Fall beschäftigt inzwischen mehrere Stellen. Es gibt zahlreiche Mitwisser und deshalb ist eine Rekonstruktion möglich. ZSC-Manager Peter Zahner reagiert auf eine entsprechende Anfrage reserviert. Immerhin bestätigt er: «Es stimmt, dass es im Rahmen des Spiels gegen Ambri zu Sachbeschädigungen im Gästesektor gekommen ist. Es ist auch richtig, dass wir abklären, welche Personen darin verwickelt sind.»
Liga-Manager Denis Vaucher bestätigt die heutige Sitzung mit Filippo Lombardi am Rande des Spengler Cups in Davos. «Es ist zutreffend, dass wir uns auch über diese Angelegenheit unterhalten haben.» Das sei aber nicht das einzige Traktandum gewesen. Er sagt, die Liga möchte auch sichergestellt haben, dass in Ambri nach der Entlassung von Geschäftsführer John Mischkulnig weiterhin alles seinen geordneten Gang gehe. Bis zur Einstellung eines neuen Bürogenerals führt Sportchef Paolo Duca die Geschäfte. Viel und auf Dauer zu viel Arbeit für Paolo Duca.
Konkret mag Denis Vaucher nicht auf den Zwischenfall in Zürich eingehen, bestätigt aber in kluger diplomatischer Manier immerhin: «Die Sache ist in Abklärung.» Die Sache ist halt schon heikel. Erst recht für einen Klub, der so sehr auf die Treue seiner Fans angewiesen ist wie Ambri. Da ist für den Oberhirten auch im Umgang mit den schwarzen Schafen Diplomatie erforderlich.
Um die Gesamtsituation etwas vereinfacht zu erklären: Es obliegt den Klubs, Stadionverbote gegen fehlbare Zuschauerinnen und Zuschauer auszusprechen. Solche Verbote werden in der Regel auch durchgesetzt.
Um Ruhe und Ordnung im Gästesektor zu haben, gibt es die Möglichkeit, die Identität jeder Besucherin und jedes Besuchers zu erfassen. Dagegen wehren sich die schwarzen Schafe vehement. Kommt bei Ambri dazu: Che Guevara ist die Kultfigur des harten Kerns der Ambri Fans. Da sagen die Romantiker: Logisch randalieren die nur beim Erzfeind Lugano und beim Hockey-Tempel der Zürcher Hochfinanz.
Probleme mit Sachbeschädigungen hat es in Zürich auch bereits mit Anhängerinnen und Anhängern des EHC Kloten gegeben. Die Besonderheit des Falles Ambri: Offenbar waren zwei bereits beim Zwischenfall in Lugano identifizierte Täter dabei und bis zum Zeitpunkt der Sachbeschädigungen in Zürich gab es kein rechtskräftiges Stadionverbot gegen die Missetäter. Kommt dazu: Ambris Sicherheitsleute haben nicht eingegriffen. Wer sagt, dass die Liga solche Zustände unter gar keinen Umständen zulassen darf, ist wahrlich kein Polemiker. Und dass die ZSC Lions ein vitales Interesse einer lückenlosen Aufarbeitung haben, ist logisch: Jemand muss ja die Reparatur-Rechnung bezahlen.
Insgesamt ist die Problematik mit den Gästesektoren im Hockey lösbar. Durch die Erfassung der Identität aller Besucherinnen und Besucher oder – in letzter Konsequenz – durch die Schliessung. Realisten, die mit Fan-Romantik nichts am Hut haben, sagen nicht ganz zu Unrecht: Eine Schliessung des Gästesektors wäre die beste Lösung: Weniger Sicherheitskosten, weniger Zwischenfälle, weniger Umtriebe und am Ende des Tages sogar mehr Einnahmen. Der Gästesektor kann ja in Sitzplätze umgewandelt werden.
Wieso sollten Fans aus Biel, Bern, Genf usw. nicht mehr auswärts schauen dürfen nur weil Lombardi aus Angst vor den eigenen Fans Kuschelkurs fährt (oder rast?😉).
Wenn es wirklich stimmt, dass die Sicherheitsleute zugeschaut (oder noch gratuliert haben) soll der Club haften. Zudem sollten in solchen Fällen - wenn Verantwortliche des Clubs Vandalismus dulden - auch Punktabzüge drohen.