Die entscheidende Frage nach dem 2:4 in Lausanne, nach der ersten Niederlage in diesem Final: Wie reagieren die Zürcher? Emotional? Mit der Wut im Bauch nach einem Untergang mit Karacho und Schiedsrichter-Fehlentscheiden in einer wilden Schlussphase?
Sie haben reagiert wie Champions. So, als sei am Samstag in Lausanne gar nichts passiert. Sie haben den Frust, den Zorn einfach abgeschüttelt. Wie ein Labrador das Wasser aus dem Fell. Bereits das 2:0 (23. Minute) ist die Entscheidung. Trainer Marco Bayer hat mit der coolen, souveränen Reaktion seiner Männer auf die erste Final-Niederlage eine weitere Meisterprüfung bestanden.
Der ZSC-Coach steht nach dem Spiel Rede und Antwort. Nur seine Stimme verrät, dass die Dinge am Samstag aus dem Ruder gelaufen waren: Er ist heiser. Er sagt, er sei im Laufe der Partie laut geworden. «Aber nicht mehr nach dem Spiel.» Also nicht in der Kabine. Wozu auch?
Dass einige seiner Männer in der hektischen Schlussphase die Contenance verloren hatten – vergeben und vergessen. Marco Bayer hat recht, wenn er sagt: «Wenn wir diese Emotionen nicht hätten, wäre es nicht gut.» Diese Emotionen sind letztlich ein positives Zeichen für ein intaktes «Innenleben». Und keine Frustreaktion. Deshalb ist es gelungen, so schnell wieder in die Spur zu finden.
Dieses 3:1 ist – was die Perfektion des Spiels betrifft – durchaus vergleichbar mit dem 3:0 im ersten Spiel in Lausanne. Mit dem Unterschied, dass Lausanne nun viel besser, schneller, rauer, dynamischer und selbstsicherer war. Und trotzdem scheiterte. Aus zwei Gründen.
Erstens war Simon Hrubec der viel bessere Torhüter (97,14 Prozent Fangquote) als Kevin Pasche (83,33 Prozent). Lausanne kann in Zürich nur gewinnen, wenn der Torhüter mindestens 91 Prozent der Pucks abwehrt.
Zweitens wirkte zum ersten Mal die «Magie der Hinterbänkler». Marco Bayer forcierte seine besten Kräfte. Das ist richtig. So banal es tönt, so wichtig ist es, daraus die Konsequenzen zu ziehen: Die Playoffs erfordern reines Resultathockey. Aus- und Weiterbildung gibt es von September bis März während der 52 Partien umfassenden Qualifikation. Es wäre nachgerade töricht, die bestbezahlten und besten Spieler dann, wenn es um alles geht, nicht zu forcieren. «Talent-Kapitalismus» ist gefragt. Nicht «Talent-Sozialismus».
Also bekommen die beiden besten Playoff-Skorer Denis Malgin (20:19 Minuten) und Sven Andrighetto (20:11 Minuten) auch im vierten Spiel fast doppelt so viel Eiszeit wie die «Hinterbänkler» Willy Riedi (10:27 Minuten) und Nicolas Baechler (10:22 Minuten). Denis Malgin und Sven Andrighetto sind für einmal offensive «Nullnummern». Kein Tor und kein Assist. Dafür sorgen Willy Riedi (1:0) und Nicolas Baechler (2:0) für die Entscheidung.
Denis Malgin und Sven Andrighetto haben mit ihrer enormen Präsenz Lausannes beste Kräfte gebunden. Sie haben so ihren «Hinterbänklern» den Weg geebnet. Das ist wahre Team-Romantik. Eishockey gilt zu Recht als der echte, der wahre Mannschaftsport.
Diese Kadertiefe, diese Ausgeglichenheit ist ein entscheidender Faktor. Auch Lausannes offensive Titanen sind «Nullnummern». Playoff-Team-Topskorer Théo Rochette, mit drei Treffern plus einem Assist zum vierten Tor der Held beim 4:2 am Samstag, muss nun trotz maximaler Eiszeit (20:10 Minuten) mit einer «statistischen Brille» (0 Tore/0 Assists) und einer Minus-1-Bilanz vom Eis.
Lausanne hat keine «Hinterbänkler», die einen offensiven Stromausfall der Titanen zu kompensieren vermögen. Die ZSC Lions haben neun Spieler, die im Final bereits mindestens ein Tor erzielt haben. Lausanne nur fünf.
Die ZSC Lions benötigen noch einen Sieg zur Titelverteidigung. Wenn sie am Donnerstag in Lausanne nicht Meister werden, dann bekommen sie am Samstag in Zürich die nächste Gelegenheit. In den Playoffs haben die Zürcher inzwischen auf eigenem Eis 16 Mal hintereinander gewonnen.
Die ZSC Lions führen im Final 3:1. Alles klar? Der Pessimist warnt: «Remember 2022!» Im Frühjahr 2022 haben die Zürcher unter Trainer Rikard Grönborg den Final sogar nach einer 3:0-Führung gegen Zug noch verloren.
Ist eine ähnliche Wende möglich? Ja und nein. Ja, weil auf mentaler Ebene im Laufe einer Finalserie bei einem so unberechenbaren Spiel auf rutschiger Unterlage und geleitet von Schiedsrichtern, die auch keinen festen Boden unter den Füssen haben, so viel passieren kann.
Nein, weil sich die ganze Analyse etwas salopp auf einen Punkt reduzieren lässt: auf die Torhüter. Zugs Leonardo Genoni hatte im Final von 2022 bereits bei den drei Niederlagen mehr als 90 Prozent der Pucks abgewehrt. Er beschloss nach der dritten Pleite trotz scheinbar aussichtsloser Lage, Meister zu werden. Nacheinander hexte er mit Fangquoten von formidablen 95,24, 96,30, 100 und 96,43 Prozent die Zuger zu vier Siegen und zur Titelverteidigung.
Kevin Pasche hatte in den vier ersten Partien Abwehrquoten von 86,96, 89,29, 93,33 und 83,33 Prozent. Er ist nicht Lausannes Antwort auf Leonardo Genoni. Und Marco Bayer ist nicht Rikard Grönborg.