Schlaue Taktik? Bessere Ausländer? Ja, das spielt bei Klotens wundersamer Rückkehr auf die grosse nationale Bühne auch eine Rolle. Wenn es nicht nur die Taktik und die guten Ausländer sind, was ist dann eine weitere Erklärung für die erstaunliche Performance des Neulings? Klotens Erfolgsgeheimnis ist auch eine neue Kultur. Ein neues Denken. Eine neue Mentalität. Wunderbar zu erkennen bei der Derby-Niederlage (1:3) am Mittwoch in Zürich.
Kloten ist am Mittwoch mit fragwürdigen Video-Interpretationen der Schiedsrichter um seine Chancen gebracht worden. Gute Gründe, um sich zu beklagen. Für Verschwörungstheorien, die besagen, dass die Unparteiischen im Zweifelsfalle für die Mächtigen sind. Erst recht in der Höhle des Löwen im neuen ZSC-Stadion.
Doch die Klotener nehmen das sportliche Ungemach ohne das leiseste Murren hin. Sportchef Larry Mitchell stellt lakonisch fest, der Fall beim 1:0 sei klar. Kein Tor. Aber es sei halt, wie es sei. Und als Trainer Jeff Tomlinson nach der Partie auf das erlittene Unrecht angesprochen wird, mag er darauf gar nicht eintreten. Vielmehr denkt er bereits an das «Rückspiel», an das nächste Derby vom Freitagabend. An das, was besser werden müsse. Er spricht von der Stärke des Gegners und davon, welche Strategie dagegen helfe. «Wir müssen versuchen, in den Rücken ihrer Verteidiger zu gelangen.»
Das ist Klotens neue Leistungskultur. Sie unterscheidet sich fundamental von den turbulenten Jahren des Grössenwahns, der wirtschaftlichen Selbstüberschätzung und dem darauffolgenden ruinösen Sparprogramm, das 2018 schlussendlich zum ersten Abstieg der Geschichte geführt hat. Nun hat Kloten seine Rolle als selbstsicherer Underdog gefunden. Keine Klagen über tatsächliche oder mögliche Nachteile einer Hockey-Organisation mit limitierten finanziellen Mitteln. Im Wesen und Wirken durchaus vergleichbar mit den Rapperswil-Jona Lakers.
Kein Jammern. Keine Ausreden. Sondern kühle Analyse, um aus den vorhandenen Mitteln ein Optimum herauszuholen. Dazu gehört eine schlaue Personalpolitik. Kloten hat über alle sechs Positionen mindestens gleich gute oder sogar bessere Ausländer als etwa Lugano, Bern, Lausanne oder Zug mit grösseren Geldsilos. Dazu kommt der geschickte Einsatz des spielenden Personals (= Taktik).
Darin ist Jeff Tomlinson wie zuvor schon bei den Lakers ein Hexenmeister. Ein «Carl Clausewitz des Hockeys». Die Theorien dieses preussischen Generals aus dem frühen 19. Jahrhundert über Strategie, Taktik und Philosophie finden noch heute übers Militär hinaus in der Unternehmensführung, der Taktik im Teamsport und im Marketing Anwendung.
Klotens Trainer hat Aufsteiger Rapperswil-Jona in die Spitzengruppe der höchsten Liga geführt und nun ist er auch mit Kloten auf dem Weg dorthin. Er gibt am Ende der Saison sein Amt aus gesundheitlichen Gründen ab und wird – wie einst Clausewitz beim russischen Zaren – nur noch als Berater tätig sein. Ein sehr gut funktionierendes Trainerteam mit den Assistenten Saku Martikainen und Kimmo Rintanen, die ihre Verträge bereits um ein Jahr verlängert haben, und mit Jeff Tomlinson als Berater: Eigentlich perfekte Voraussetzungen für Klotens neuen Cheftrainer.
Die Rapperswil-Jona Lakers haben sich seit ihrem Aufstieg im Frühjahr 2018 kontinuierlich gesteigert und sind inzwischen in der Spitzengruppe der Liga angelangt: 2019 12., 2020 12., 2021 10., 2022 4. und erstmals in der Champions League und aktuell stehen sie auf dem 3. Platz.
Vieles spricht dafür, dass Kloten eine noch schnellere Entwicklung zum stabilen Team in der oberen Tabellenhälfte machen wird. Eine wichtige Voraussetzung ist allerdings, dass die Nachfolgeregelung von Trainer Jeff Tomlinson so gut gelingt wie bei den Lakers im Frühjahr 2021. Als Jeff Tomlinson nach Kloten wechselte, holten die Lakers Stefan Hedlund.
Kann ein Trainer im langen Schatten eines «übergrossen» Vorgängers, der im Klub bleibt, überhaupt erfolgreich sein? Ja natürlich geht das. Scotty Bowman, der erfolgreichste NHL-Bandengeneral der Geschichte, hat nach dem Stanley-Cup-Sieg von 2002 in Detroit das Bandenkommando abgegeben und ist als Berater ungefähr so geblieben wie jetzt Jeff Tomlinson in Kloten. Detroit hat später mit Scotty Bowman als enger Berater von Cheftrainer Mike Babcock einen weiteren Stanley Cup geholt.
Jeff Tomlinson in Kloten wie Scotty Bowman in Detroit? Warum nicht?
Abgerechnet wird bekanntlich am Ende der Saison, aber es sieht aktuell wirklich gut aus. Das gezeigte auf dem Eis ist deutlich über der Erwartung. Interessant wird der Umgang mit den Finanzen bzw Budgetabschluss sein. Hat der EHC dazu gelernt gegenüber früher und letzter NLB Saison? Schätzungsweise dürfte die nächste Saison schwieriger werden, denn die Erwartungshaltung wird deutlich steigen. Aber es ist zweifelsohne gut, wenn kleinere Clubs mitmischen.