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Eismeister Zaugg: Lugano unten, Ambri oben – warum das richtig ist

From left, Ambri's player Tobias Fohrler and Lugano's player Mirco Mueller, during the preliminary round game of National League A (NLA) Swiss Championship 2022/23 between, HC Ambri Piotta a ...
Alles hat seine Richtigkeit: Ambri hat derzeit die Oberhand in der Tessiner Eishockeywelt.Bild: keystone
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Lugano unten, Ambri oben – warum diese Hockey-Weltordnung heute die richtige ist

Lugano kommt mit dem «vergifteten Erbe» von 2006 nach wie vor nicht klar und blickt nach der Entlassung von Chris McSorley neidvoll wie vielleicht noch nie hinauf nach Ambri. Es will und will nicht gelingen, einen ganzen Trainer zu machen.
10.10.2022, 03:4510.10.2022, 04:12
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Und nun ist also sogar der grosse Chris McSorley gescheitert: Lugano ist einfach nicht mehr dazu in der Lage, aus einem halben einen ganzen Trainer zu machen. Am Samstagnachmittag ist der Kanadier zusammen mit seinen Assistenten Paul DiPietro und Patrice Bosch aus dem noch bis Ende der nächsten Saison laufenden Vertrag gefeuert worden. Vorläufig coacht Juniorentrainer Luca Gianinazzi zusammen mit Krister Cantoni das Team.

Luganos Head Coach Chris McSorley waehrend dem Qualifikationsspiel der National League zwischen den SCL Tigers und dem HC Lugano, am Freitag, 28. Januar 2022, im Ilfisstadion in Langnau. (KEYSTONE/Mar ...
Hatte es in Lugano nicht leicht: Chris McSorley.Bild: keystone

Das ist so, wie wenn bei einem Grand Hotel der Portier die Direktion übernimmt oder ein Schreibstuben-Gefreiter das Kommando einer Panzer-Division. Und im Vergleich zu Paolo Duca und Luca Cereda gilt für Luca Gianinazzi und Krister Canton: Lolek und Bolek machen Hockey. Chris McSorley ist gewiss ein ganzer Kerl. Ganz nach dem Titel des wunderbaren Romanes von Tom Wolf («A Man in Full»).

McSorley war im Tessin kein ganzer Trainer

Aber auch er war in Lugano kein ganzer Trainer. Ein Trainer ist dann ganz, wenn er und sein Sportchef so fest und unerschütterlich an die gleiche Hockeyphilosophie glauben, dass keiner der Geldausgeber in der Chefetage es wagt, im Sport dreinzureden. Und wenn es keine Möglichkeit für die Spieler gibt, sich beim Sportchef, bei einem Mitglied des Verwaltungsrates oder gar bei der Präsidentin oder dem Präsidenten über den Trainer zu beschweren. So wie es seit 2017 in Ambri ist.

Mehr denn je blickt Lugano hinauf Richtung Gotthard: Während Lugano in die «Kellermeisterschaft» um die Ränge 12, 13 und 14 abgestürzt ist, gehört Ambri mit elf Punkten mehr auf Rang zwei zur Spitzengruppe. Nicht einmal mehr Derby-Siege vermögen Lugano zu trösten. Aber auch sonst blickt Lugano vom milden Ufer seines Sees mit Wehmut hinauf ins 735 Meter höher gelegene, kalte und karge Bergtal der Leventina.

Dort oben ist es Präsident Filippo Lombardi nämlich nach Jahren der Irrungen und Wirrungen und Trainerentlassungen gelungen, die Kultur zu erneuern und zu den Wurzeln, zur DNA seines Klubs, zurückzukehren. Er macht im Sommer 2017 Paolo Duca zum Sportchef und Luca Cereda zum Trainer.

«Ambri hat heute eine der besten, vielleicht sogar die beste Leistungskultur im Land und zelebriert leidenschaftlich ein «totales», modernes Lauf- und Tempohockey.»

Beide sind in Ambri gross geworden. Sie essen, trinken und atmen Ambri. Zusammen haben sie die Seele des Klubs neu belebt. Sie leben vor, was sie von den Spielern verlangen. Seither hat der grosse Vorsitzende Ruhe und kann sich um seinen politischen Ruhm, die Finanzen und das Stadion kümmern.

Wenn in Ambri die Ausländer stimmen, stimmt alles

Ambri hat heute eine der besten, vielleicht sogar die beste Leistungskultur im Land und zelebriert leidenschaftlich ein «totales», modernes Lauf- und Tempohockey. Die Gegenspieler und der Puck werden unablässig auf dem ganzen Eisfeld gejagt und auf den zentralen Positionen ordnen Schlüsselspieler das Spektakel.

Wieder einmal wird bestätigt: Mit guten Ausländern ist Ambri ein Team der oberen Tabellenhälfte. Mit Michael Spacek führt erstmals seit Dominik Kubalik (2018/19) wieder ein Ambri-Ausländer die Liga-Skorerliste an. Letzte Saison kam Ambris bester Ausländer (Peter Regin) in der Liga-Skorerliste auf Rang 87. Sage mir wie produktiv Ambris Ausländer sind und ich sage Dir, wie hoch Ambri steigen kann. Alles andere stimmt.

Ambri's Head Coach Luca Cereda, left, and Ambri's Sports Director Paolo Duca celebrate the pre-playoff qualification during the preliminary round game of National League Swiss Championship b ...
Kompetentes Duo: Luca Cereda (links) und Paolo Duca stehen mit Ambri derzeit auf Platz 2 der National League.Bild: keystone

Die Aufgabenverteilung in Ambri: Der Coach coacht, die Spieler spielen und der Präsident präsidiert. Der Coach ist mächtiger als die Spieler. Die Fans sind begeistert und das Stadion ist diese Saison zu 94.63 Prozent ausgelastet. Von solchen Zuständen träumt Lugano.

Vergeblich strebt Lugano seit dem letzten Titel von 2006 nach diesem Ideal. Chris McSorley scheint im Sommer 2021 endlich die Lösung zu sein: Er und Hnat Domenichelli sollen als kanadische Antwort auf Paolo Duca und Luca Cereda die Leistungskultur erneuern. Aber sie sind weder von ihrer Herkunft noch von ihrer völligen Identifikation mit ihrem Arbeitgeber mit dem Erfolgsduo in Ambri vergleichbar. Und so sind sie kläglich gescheitert. Weil die Spieler seit 2006 mächtiger sind als der Coach. Die Aufgabenverteilung in Lugano: Der Coach coacht, die Spieler spielen, coachen und präsidieren und die Präsidentin zahlt die Rechnungen. Die Fans sind nicht begeistert. Das Stadion ist bloss zu 72,69 Prozent ausgelastet.

Hnat Domenichelli, GM-Head Of Sports & Competitions, an der Vorsaison-Medienkonferenz des HC Lugano auf dem Schiff "Lugano", am Mittwoch, 4. September 2019, in Lugano. 
(KEYSTONE/Ti-Pres ...
Hnat Domenichelli hat seit 2019 den Posten als sportlicher Leiter bei Lugano inne.Bild: KEYSTONE/Ti-Press

Seit der mächtige Mark Arcobello nicht mehr tun und lassen konnte, was er wollte, waren die Tage von Chris McSorely an der Bande gezählt. Weil die interne Konkurrenz mit sechs Ausländern grösser geworden ist, musste der Captain und letztjährige Topskorer diese Saison im Powerplay ein bisschen kürzertreten. Und er hat in 8 Partien noch null (!) Skorerpunkte und den ersten Assists bucht er im 9. Spiel. Dem ersten nach der Entlassung von Chris McSorley. Aber er hat das Ohr von Präsidentin Vicky Mantegazza.

2006 wirkt bis heute nach

Im Frühjahr 2006 hat Lugano seine letzte Meisterschaft gewonnen. Mit einer der talentiertesten, spielerisch brillantesten Mannschaften dieses Jahrhunderts. Aber schon da zeigten sich die Tendenz weg von einer Leistungskultur und hin zum Zirkus: Trainer Larry Huras wird im Viertelfinal nach einem 0:2 Rückstand gegen Ambri gefeuert und Harold Kreis, der bis dahin noch nie ein Profiteam in der höchsten Liga gecoacht hatte, dirigiert das Lugano zum Titel. Da verfestigt sich verständlicherweise die Meinung: Wir Spieler regeln alles. Bei uns kann jeder Trainer.

«Es ist für Lugano unmöglich, die gleiche Demut wie oben in Ambri zu leben.»

Mit diesem Erbe von 2006 kommt Lugano nach wie vor nicht klar. Es «vergiftet» die Leistungskultur. Ist denn dieser Titelgewinn von 2006 nicht der unwiderlegbare Beweis für die Wirkung einer Trainerentlassung? Gegen Ambri am Rande des Scheiterns in den Playoffs, am Abgrund der wohl grössten Schmach der Geschichte – und nach einem Trainerwechsel wird alles gut. Na also.

Die Praesidentin des HC Lugano, Vicky Mantegazza informiert an der heutigen Pressekonferenz zur sofortigen Freistellung des Headcoachs Patrick Fischer und seines Assistenten Peter Andersson am Donners ...
Lugano-Präsidentin Vicky Mantegazza hat es derzeit nicht leicht.Bild: KEYSTONE/TI-PRESS

Es ist nicht Unfähigkeit oder fehlende Einsicht der Führung unter der klugen Präsidentin Vicky Mantegazza, die Luganos Trainer scheitern lässt. Es ist dieses «vergiftete» Erbe von 2006, kombiniert mit den hohen Ansprüchen, die nun mal in Lugano gestellt werden. Lugano ist eine der besten Hockeyadressen Europas und wird immer als «Premium-Unternehmen» wahrgenommen. Das ist die DNA dieses Hockey-Unternehmens. Es ist unmöglich, die gleiche Demut wie oben in Ambri zu leben. Lugano würde sich ja dann nicht mehr von Ambri unterscheiden. Ja, schlimmer noch, Lugano würde Ambris Kultur kopieren. Das wäre geradezu Verrat an der eigenen Identität.

Seit Paolo Duca und Luca Cereda die sportliche Abteilung in Ambri führen, zählen wir in Lugano schon sechs Trainer: Greg Ireland, Sami Kapanen, Hnat Domenichelli (für ein Spiel), Serge Pelletier, Chris McSorley und nun also Luca Gianinazzi. Keiner vermochte zu genügen. Es ist nicht respektlos, wenn wir vermuten, dass aus Luca Gianinazzi nicht der neue John Slettvoll (1986, 1987, 1988 und 1990 Meister) wird.

Lugano's player Mark Arcobello, during the preliminary round game of the National League 2022/23 between HC Lugano and EHC Kloten at the ice stadium Corner Arrena, Friday, September 30, 2022. (KE ...
Mark Arcobello liefert bisher nicht. Bild: keystone

Entweder sind die Trainer in Lugano seit 2006 zu altmodisch oder zu modern, zu laut oder zu leise und es nützt ihnen auch die Nähe zu den Spielern nichts. Als Kumpel sind sie erst recht nicht dazu in der Lage, junge Männer, die lieber spielen als arbeiten, an die Leistungsgrenze zu führen. Gemeinsam ist allen seit 2006 verabschiedeten Trainern: Sie glaubten, die Spieler hinter sich zu haben. Auch Chris McSorley. Diesem Irrtum sind schon charismatischere und grössere Männer als Luganos Bandengeneräle erlegen. Julius Cäsar – er verstand etwas von Führungskunst – hielt die Senatoren um Marcus Brutus auch für seine Freunde. Seine letzten Worte waren angeblich, als Brutus den Dolch zückte: «Et tu, Brute?» («Auch du, Brutus?»)

Chris McSorley hätte am Samstagnachmittag, wenn bei seiner Entlassung Captain Mark Arcobello auch im Büro präsent gewesen wäre, sagen können: «You too, Mark?» («Auch du, Mark?»).

Ambri oben, Lugano unten. Verkehrte Welt? Nein, hockey- und führungstechnisch die richtige Weltordnung.

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28 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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MikeT
10.10.2022 08:37registriert Januar 2016
Der Fisch stinkt vom Kopf. Immer wird in den Berichten Vicky Mantegazza geschont. Es ist aber an der Führung eines Unternehmens, Richtung und Philosophie vorzugeben. Das gelingt ihr aber überhaupt nicht, dafür können sich die Spieler bei ihr offenbar wie eh und je über den Trainer ausjammern. Kaum ein Profiverein in der Schweiz, Hockey wie Fussball, hat über die letzten 10 Jahre eine so liederliche Leistungskultur und ein so schlechtes Verhältnis Aufwand zu Ertrag.
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MyPersonalSenf
10.10.2022 07:33registriert Mai 2018
Klar stimmt es, dass es Ambri in der Tabelle nur nach Mitte-oben reicht wenn die Ausländer stark sind. Ehrlicherweise gilt das aber für alle Mannschaften. Was aber Ambrí letztes Jahr schon hatte (mit schlechten Ausländern) und dieses Jahr extrem zum tragen kommt sind die guten (nicht nur soliden) Schweizer.. Heim, Bürgler, Pestoni, Zwerger, Conz, Kneubühler machen den HCAP aktuell zu einer Dampfwalze auf dem Eis
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maylander
10.10.2022 07:55registriert September 2018
Chris McSorley passte einfach nicht zum HC Lugano.
Weder zu den Spieler, noch zu den Fans oder dem Anspruch des Klubs. Bei so einen Fehlgriff müsste eigentlich der Sportchef auch gehen. Man hat ja keinen Unbekannten eingestellt
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