Der knappe Ausgang des Spiels hat schon seine Logik. Servette spielt taktisch sehr ähnlich wie der SCB. Die Genfer sind physisch so robust und rumpelfest wie die Berner. Die Rückkehr von Cody Almond und Matthew Lombardi – beide scheiterten beim Versuch, wieder in der NHL Fuss zu machen – hat aus Servettes Chemie und Ausstrahlung verändert. «Ich hatte im Sommer auf dem Reisbrett ein sehr konkurrenzfähiges Team», sagt Chris McSorley. «Dann habe ich mit Almond und Lombardi zwei der wichtigsten Spieler verloren. Das hat alles durcheinander gebracht. Jetzt sind beide zurückgekehrt und wir werden ein anderes Team sein.»
Weil Robert Mayer wohl erst beim Spengler Cup einsatzfähig sein wird, hat Servette von Davos Jannick Schwendener (22) leihweise übernommen. Davos kann ihn jederzeit zurückholen. Schwendener ist der erstaunlichste Neuling der Saison. Der coole Blocker mahnt an eine etwas elegantere Stilausgabe von Jonas Hiller. Auch Jonas Hiller ist seinerzeit im Welschland (2003/04 bei Lausanne) zum NLA-Torhüter gereift.
Allerdings war Schwendener in der Verlängerung gegen einen der Titanen der Liga machtlos. Martin Plüss erzielte den Siegestreffer in Unterzahl. Die SCL Tigers müssten sich jetzt um einen Transfer von Schwendener bemühen. So kämen sie doch noch zu einem Aufstiegsgoalie.
Es geht jetzt kurzfristig für den SCB nicht um Sieg oder Niederlage in einer der 50 Qualifikationspartien. Diskutiert wird etwas anderes: Wird der SCB am Montag im Cupviertelfinal in Langnau in Gefahr geraten? Die SCL Tigers führen die NLB mit 20 Punkten Vorsprung an und haben 12 der letzten 13 Spiele gewonnen. Sie sind so selbstsicher, dass sie inzwischen gar nicht mehr wissen, warum sich ständig gewinnen. Der Puck geht einfach immer irgendwie den Weg der Emmentaler. Der SC Bern ist also gewarnt.
Ein Sieg über den SCB oder ein ehrenvolles Resultat wäre eine monatelange emotionale Wegzehrung für die in der NLB darbenden Fans der Emmentaler. Und der SCB würde im Bernbiet im Falle einer Cupsensation der Langnauer jahrelang verhöhnt. Es geht auch um die Ehre.
Wenn der SCB für ein starkes, ja zeitweise grosses Servette am Schluss eine Nummer zu gross war, dann wird der SCB für die SCL Tigers ein paar Nummer zu gross sein. Wenn wir die letzten Partien der beiden Teams (Langnau gegen Olten, der SCB gegen Servette) zur Analyse heranziehen, dann kommt ein neutraler Chronist, der nichts von den Besonderheiten rund um dieses Cup-Derby weiss, zu einem erstaunlich klaren Urteil: Der SCB wird dieses Viertelfinale zweistellig gewinnen. Logisch wäre etwa ein 11:2 oder 10:3, vielleicht wird es ja auch bloss ein 7:1 oder 8:2. Und Simon Moser, einst Captain der Langnauer, wird wohl gegen Langnau ein oder zwei Tore erzielen.
Wie begründet der neutrale Chronist ein solches Urteil? Unter vielem anderen mit der höheren SCB-Spielintensität, der grösseren SCB-Erfahrung, der grösseren SCB-Ausgeglichenheit, dem aktiveren SCB-Coaching, dem höheren SCB-Tempo, der besseren SCB-Defensivorganisation, der höheren SCB-Passqualität, der grösseren SCB-Schusskraft, den grösseren SCB-Energietanks, der direkteren SCB-Geradlinigkeit, den hungrigeren, besseren jungen SCB-Talenten, dem besseren SCB-Torhüter, der grösseren SCB-Zweikampfhärte, der grösseren SCB-Geduld und dem schnelleren SCB-Umschalten von Defensive auf Offensive.
Im Eishockey passt sich zwar ein höherklassiges Team meistens dem Aussenseiter an. Aber das wird in Langnau nicht der Fall sein. Guy Boucher duldet, wie es sich für einen ehrgeizigen SCB-Bandengeneral gehört, kein Geringschätzen des Gegners und kein Nachlassen.
Fährt der SCB sein NLA-Tempo von der ersten Sekunde an, dann liegt Langnau schon nach fünf Minuten mit zwei oder drei Toren im Rückstand. Haben die Langnauer Pech, trifft auch noch die Lizenz für den neuen SCB-Ausländer Jesse Joensuu (27) rechtzeitig fürs Spiel ein. «Dann setzen wir ihn auch ein», sagt SCB-Sportchef Sven Leuenberger. Das wäre für Langnaus Abwehr verheerend. Der finnische Riese (193 cm/95 kg) hat zwar hölzerne Hände. Aber er ist ein geradliniger, schneller Fräser und könnte in der Abwehr der Emmentaler wüten wie ein Eber im Mehltrog. Voraussichtlich wird der SCB mit vier und Langnau mit bloss einem Ausländer antreten.
Wie robust die Berner inzwischen sind, zeigte sich gegen Servette in der 48. Minute. Servettes kräftiger Kanadier Alexandre Piccard stiess mit SCB-Rumpelstürmer Simon Moser zusammen (kein Foul). Piccard suchte mit Symptomen einer Gehirnerschütterung die Kabine auf. «Nein, er hat keine Gehirnerschütterung», sagt sein Trainer Chris McSorley. Aber er zeigte doch typische Anzeichen einer Gehirnerschütterung! «Nein», beharrte der streitbare Servette-Cheftrainer auf seiner Aussage. «Es ist unmöglich, dass er eine Gehirnerschütterung hat ...» Da wir um den Sarkasmus des Servette-Generals wissen, verzichten wir aus diplomatischen Gründen auf eine tiefgreifende Analyse seiner Aussage.
Das grösste Handicap der Langnauer wird freilich das Fehlen eines charismatischen Torhüters sein. Weder Lorenzo Croce noch Damiano Ciaccio haben das Format für die NLA oder eine Cupsensation. Also alles klar: Die Langnauer stehen vor der ersten zweistelligen Niederlage in einem offiziellen Meisterschafts- oder Cupspiel seit dem 2. Oktober 2009. Damals verloren die Langnauer in der NLA-Qualifikation in Davos 4:13 (2:8, 1:3, 1:2). Von den damaligen Gladiatoren sind die Moggi-Zwillinge, Lukas Haas, Stefan Flückiger und Jörg Reber (jetzt Sportchef) immer noch dabei.
Aber vielleicht kommt ja in Langnau alles ganz anders heraus als ein neutraler Chronist vermutet. Es gehört schliesslich zu den Grundrechten jedes Chronisten, jederzeit die Meinung ändern zu dürfen.