André Rufener (49) ist der letzte Romantiker unter den Spieleragenten. Für ihn ist die Vertretung eines Spielers mehr als einfach Business. Manchmal mahnt er mit der Leidenschaft an einen Vater, der sich für seinen Sohn einsetzt. Oder mindestens für den Göttibuben. Philip Wüthrich (22) liegt ihm ganz besonders am Herzen.
Am letzten Sonntag war André Rufener guter Dinge. Er scherzte. «Wollen wir wieder einmal um ein gutes Essen in einem der ganz guten Restaurants im Oberaargau wetten?» – «Warum nicht?» – «Ich wette, dass Philip Wüthrich am Dienstag in Biel spielen wird und wenn der SCB siegt, dann wird er auch am Freitag wieder im Tor stehen.» – «Nein, dagegen wette ich sicher nicht. Sie haben beim SCB interveniert und nun wissen sie bereits, dass Philip am Dienstag endlich seine Chance bekommen wird.» – «Nein, nein, das habe ich nicht und so etwas würde ich nie wagen. Aber ich habe Vertrauen in Florence (SCB-Sportchefin Florence Schelling – die Red.). Sie war eine Weltklasse-Torhüterin und ich bin sicher, dass sie das grosse Potenzial von Philip erkannt hat».
André Rufener hatte recht. Philip Wüthrich kam am Dienstag in Biel endlich zu seinem Debüt in der höchsten Liga. Er war mit einer Fangquote von 93,02 Prozent der Architekt des Sieges (4:3). Verdankt er seine «Feuertaufe» vielleicht doch ein wenig einer energischen Intervention seines Agenten bei der sportlichen SCB-Führung? Wir wollen nicht grübeln.
Nun können wir argumentieren, es gebe in diesen Tagen wahrlich ganz andere Prioritäten als das erste Spiel eines jungen Torhüters. Das ist richtig. Aber so wie die Grundlage für so manches grosse Vermögen in Krisenzeiten gelegt worden ist, so kann ein junger Spieler diese Krisenzeit zum Start einer grossen Karriere nützen. Einmal werden diese schwierigen Zeiten vorbei sein. Und wer während dieser Krise vieles richtig gemacht hat, der wird auf Jahre hinaus profitieren. Und wer Ausreden gesucht und seine Arbeit vernachlässigt hat, wird auf Jahre hinaus dafür büssen.
Philip Wüthrich ist kein Titan («nur» 182 cm/76 kg). Eher ein schlaksiger junger Mann. Freundlich, bescheiden und doch mit einem gesunden Selbstvertrauen. Seine ganz besonderen Qualitäten sind: Ruhe und Konzentrationsfähigkeit. Er verliert den Puck nie aus den Augen und deshalb gerät er nicht in Stress. Er sagt: «Wenn ich den Puck nicht sehe, dann kann ich ihn nicht halten…» Es ist ihm gelungen, in Biel alle äusseren Einflüsse auszublenden und sich ganz aufs Spiel zu konzentrieren. Das war entscheidend. Aber er sei sich bewusst, dass es noch einmal eine neue Herausforderung sei, in einem vollen Stadion zu spielen.
Heute kommt es vor, dass ein Jüngling nach einem erfolgreichen Debüt erst einmal von Interviews ferngehalten wird. Nur ja kein Rummel! Öffentliches Lob könnte ihm zu Kopfe steigen! Diese Gefahr besteht bei Philip Wüthrich nicht. 20 Minuten nach dem Spiel spricht er im Kabinengang unaufgeregt über seine erste Partie auf höchster nationaler Ebene.
Er habe in der Nacht vor dem Spiel gut geschlafen. Als Leihspieler ist er mit Langenthal 2019 bereits Meister geworden. Aber dieser erste Auftritt mit dem SCB sei etwas Besonderes gewesen. Auf diesen Tag hat er schliesslich gewartet, seit er sich im Moskito-Alter (U 13) bei den SCB-Junioren entschied, Torhüter und nicht mehr Feldspieler zu sein. «Da hatte ich aber noch keine Profikarriere im Sinn. Es hat mir einfach mehr Spass gemacht, im Tor zu stehen.»
Als grössten Unterschied zu den Partien in der Swiss League nennt er den starken Verkehr vor seinem Tor. Das habe es manchmal nicht einfach gemacht, die Übersicht zu behalten.
So viel Verkehr vor dem SCB-Kasten wie in Biel wird es nicht in jedem Spiel geben. Dieses emsige Treiben, Sausen und Brausen in der gegnerischen Zone und vor dem gegnerischen Tor steht für eine spektakuläre Besonderheit der Bieler. Sie mahnen nicht nur wegen der roten Dressfarbe an die sowjetische Hockeykultur. Sie spielen auch wie «Jura-Russen»: schnell, mit brillanten Passfolgen, oft so direkt und präzise gespielt, dass es Szenenapplaus der wenigen Zuschauer gibt.
Aber die Tempofestigkeit und die technischen Qualitäten verführen oft dazu, auf eine Schussabgabe zu verzichten und einen noch besser postierten Mitspieler zu suchen. Der Puck bekommt viel zu wenig oft eine Chance, ins SCB-Tor einzudringen. Dieses «Überkombinieren» führt zwar zu spektakulären Treffern (wie dem 2:2 und 3:4), erleichtert aber dem robusten SCB die Defensivarbeit und öffnet bei Scheibenverlusten die Räume für Konter. Ein Grund zur Sorge ist das für Trainer Lars Leuenberger noch nicht. Es obliegt ihm lediglich, das Spiel seiner Mannschaft ein wenig zu vereinfachen.
Mit Philip Wüthrich haben die 1000 Zuschauer in Biel womöglich einen Nationaltorhüter von morgen gesehen. Und mit Berns Mika Henauer (20) – fürs vorangegangene Spiel gegen die ZSC Lions nicht einmal mehr aufgeboten – einen Nationalverteidiger von morgen. Mit Wilhelm Busch können wir sagen: lange sass er auf der Ersatzbank, nun ist er zurück, Gott sei Dank. Im ersten Verteidigerpaar. Im ersten Powerplay. Er hat einen Assistpunkt und den vierten – den spielentscheidenden – Treffer beigesteuert.
Der SCB hat die grosse Chance, diese Saison zum Generationenwechsel zu nützen. Dazu passt, dass Thomas Rüfenacht (35) mit einem hässlichen Ellenbogencheck gegen den Kopf von Yannick Rathgeb (24) einen Restausschluss kassiert (51.), den Bielern so den Anschlusstreffer zum 3:4 ermöglicht und den Sieg seiner Mannschaft noch einmal in Gefahr bringt.
Die 5+SD von Thomas Ruefenacht vs Yannick Rathgeb@ehcbiel vs @scbern_news pic.twitter.com/8eAeTSbj6u
— Kristian Kapp (@K_Krisztian_) October 20, 2020
Aber der alte Haudegen hat auch in dieser Partie gekämpft wie ein alter Löwe. Mag sein, dass er seinen Stammplatz nicht bis zum Ablauf seines Vertrages im Frühjahr 2022 zu behaupten vermag. Aber wir sollten ihn nicht unterschätzen. Er mahnt ein wenig an Pierre Cambronne, den letzten Kommandanten der Garde des grossen Napoléon.
Nachdem bei der Schlacht von Waterloo (1815) für die Franzosen und Napoléon längst alles verloren war, soll Pierre Cambronne vom britischen General Charles Colville aufgefordert worden sein, sich zu ergeben. Doch mit trotzigem Stolz habe der Offizier die Kapitulation mit den Worten verweigert: «La Garde meurt mais ne se rend pas.» («Die Garde stirbt, aber sie ergibt sich nicht.»)
So pathetisch wollen wir es nicht sehen. Aber die ruhmreiche alte SCB-Garde – Thomas Rüfenacht war Vorkämpfer in drei Meisterteams (2016, 2017, 2019) und 2017 Playoff MVP – ergibt sich nicht. Sie wird kämpfend abtreten.
P.S. 1820 wurde Pierre Cambronne von König Ludwig XVIII zum Marschall und Vizegrafen ernannt. Vielleicht gibt es ja dann auch für Thomas Rüfenacht ein ehrenvolles Pösteli im Königreich SCB.
Aber in einem Bericht über Hockey so schön eine Geschichtslektion und Seitenhiebe gegen die Berner Regierung zu verpacken ist einfach Weltklasse.
Ph. Wüthrich, M. Henauer und J. Gerber haben gezeigt was sie auf dem Kasten haben. Auch K. Sopa hat eine Chance verdient. Schön das Y. Burren wieder einmal ran durfte. C. Gerber weiter so!
Damit die Jungen gefördert werden, sollte rotierend ein Veteran pausieren dürfen. Das Stacheln die《Alten》ebenfalls an...
B. Gerber, Blum, Scaironi, Rüfenacht, dürfen doch auch mal zugunsten der Jungen auf die Reservebank gesetzt werden... So kann man herausfinden was unsere Jungen auf dem Kasten haben.