Ajoie ist im Frühjahr 2021 in die höchste Liga aufgestiegen. Nun stehen die Jurassier in der dritten NL-Saison. Im ersten Jahr gab es keinen Absteiger. Der letzte Platz hatte also keine Folgen. Letzte Saison ist die Rettung nach dem letzten Platz in der Liga-Qualifikation gelungen.
Viel besser ist Ajoie seit der Promotion nicht geworden. Eigentlich ist es ja fast nicht möglich, besser zu werden: Selbst wenn Sportdirektor Julien Vauclair drei Millionen mehr in der Transferkasse hätte, könnte er keine besseren Schweizer oder gar Nationalspieler nach Pruntrut hinter die sieben Juraberge locken. Nur bei den Ausländern ist ein bisschen mehr möglich. Auf das Thema kommen wir noch zurück.
Ajoie ist für einen Trainer die grösste Herausforderung überhaupt. Es ist eher schwieriger, mit Ajoie vom letzten Platz wegzukommen als mit dem SCB oder Lugano wieder Meister zu werden. Es ist also fast unmöglich. Nun stellt sich Christian Wohlwend dieser schier unlösbaren Aufgabe.
Seine beiden Vorgänger haben ihren Job vor dem Saisonende verloren. Gary Sheehan, Cupsieger und Aufstiegsheld, hielt es immerhin 41 Spiele lang aus. Er ist am 7. Februar 2022 gefeuert worden. Letzte Saison musste der ehemalige, tschechische Nationaltrainer Filip Pesan am 13. Dezember gehen. Beide Male hat Sportdirektor Julien Vauclair die Mannschaft bis zum Saisonende gecoacht.
Wie stehen nun die Chancen von Christian Wohlwend? 16 Partien sind gespielt und mit 10 Punkten und 29:54 Toren steht Ajoie auf dem 14. und letzten Platz. Ein Vergleich zur Situation seiner Vorgänger hilft uns ein wenig: Filip Pesan stand vor einem Jahr zum gleichen Zeitpunkt besser da. 14 Punkte, 39:58 Tore und Rang 13. Gary Sheehans Position war hingegen schon nach 16 Runden hoffnungslos: letzter Platz, 9 Punkte und 29:70 Tore.
Nun gibt es auch einen optischen Eindruck. Wie spielt die Mannschaft? Wie tritt sie auf? In dieser Hinsicht gibt es eine erhebliche Differenz. Ajoie ist optisch ganz klar besser als letzte oder vorletzte Saison. Das Spiel ist gut strukturiert, defensiv erstaunlich stabil, die Angriffsauslösung verblüffend kreativ, die Fehlerquote tief und die taktische Disziplin hoch. So gesehen ist Ajoie der ungewöhnlichste Tabellenletzte des Playoff-Zeitalters (seit 1986). Der Optimist sagt: Christian Wohlwend ist besser als Gary Sheehan und Filip Pesan.
Ein statistischer Beweis für diese Behauptung fehlt. Es bleibt also nur der optische Eindruck. Oder fast nur. Eine Zahl ist interessant: Vor einem Jahr hatte Ajoie zum gleichen Zeitpunkt 58 Treffer kassiert. Vor zwei Jahren waren es unter Gary Sheehan sogar 70. Und nun sind es 54. In der ersten Saison nach dem Aufstieg liess Ajoie 38,67 Schüsse pro Spiel zu. In der zweiten 35,96 und nun sind es 33,38. Ajoie ist also defensiv so stabil wie noch nie. Das untermauert ein wenig den optischen Eindruck.
Das Problem ist die Offensive. Vor einem Jahr hatten die Jurassier zum gleichen Zeitpunkt immerhin 39 Tore erzielt. Jetzt sind es nur noch 29. So viele wie vor zwei Jahren als Neuling. Ajoie ist also offensiv keinen Schritt weitergekommen. Der Polemiker sagt: Der Trainer setzt zu stark auf die Defensive und hat die offensiven Flügel gestutzt. Der Realist sagt: Die Ausländer sind zu wenig gut.
Weil abschlussstarke Schweizer Stürmer auf dem Transfermarkt unerschwinglich sind, kann Ajoie seine Offensive nur mit Ausländern verbessern. Das ist Sportdirektor Julien Vauclair nicht gelungen. Weil er zwischen Realität und Romantik in eine Sackgasse geraten ist. Dass er an Philip-Michaël Devos und Jonathan Hazen festhält, ist verständliche Romantik. Die beiden Kanadier sind seit 2015 da und ein Teil der DNA Ajoies geworden. Dass er aus einem laufenden Vertrag heraus von Lausanne den dort nicht mehr erwünschten Daniel Audette übernommen hat, erweist sich hingegen als Fehler. Mit 3 Toren aus 15 Partien ist der Kanadier das Trojanische Pferd, das Lausanne in Pruntrut parkiert hat. Dass er weiterhin auf Verteidigungsminister T.J. Brennan vertraut, ist richtig: Der Amerikaner war letzte Saison der ausländische Verteidiger mit dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis. Aber die Verpflichtung von Eric Gelinas ist ein Irrtum: Der SCB hat ihn aus einem laufenden Vertrag ausgemustert und auch er erweist sich als Trojanisches Pferd: ein Punkt aus 7 Spielen. Das kann auch ein Schweizer leisten. Zweimal hat Ajoies Sportchef eine Billiglösung gewählt, die ihm nun auf die Füsse fällt.
Bei den Titanen dürfen sich die Sportchefs Fehleinschätzungen bei der Besetzung der Ausländerpositionen leisten. Bei den Aussenseitern nicht. Weil für die Aussenseiter gilt: Sage mir, wie gut deine Ausländer sind und ich sage dir, wie es dir ergehen wird.
Ajoie ist unter Christian Wohlwend wahrscheinlich der defensiv bestgeschulte, im Auftreten beste Tabellenletzte seit Einführung der Playoffs (1986). Mit vier sehr guten und zwei guten Ausländern wäre Ajoie nicht auf dem letzten Platz. Das Problem ist nicht der Trainer. Der Sportchef hat den richtigen Trainer angestellt.
Nun hat Julien Vauclair nachgebessert und den schwedisch-ukrainischen Doppelbürger Dmytro Timashov (26) verpflichtet. Bereits Ausländer Nummer 8. Er hat es bei den Islanders nicht mehr ins NHL-Team geschafft. Die Scouting-Reports sind durchzogen: ein fleissiger, technisch guter und smarter Flügel. Aber mit läuferischen Limiten und der Tendenz, die Scheibe zu lange zu halten und Konter heraufzubeschwören.
Christian Wohlwend hat bisher ein Maximum herausgeholt. Sein Sportdirektor nicht. Aber den Letzten beissen die Hunde. Und der Letzte ist im Hockeybusiness immer der Trainer. Der Weg zur Rekordmarke ist für Christian Wohlwend unter den gegebenen Umständen noch weite und beschwerlich: Wenn er einen neuen NL-Amtszeit-Rekord in Ajoie erreichen will, muss er bis zum 8. Februar 2024 im Amt bleiben. Gary Sheehan ist am 7. Februar gefeuert worden. Gemessen an der Ewigkeit sind die paar Monate bis im nächsten Februar nur ein Wimpernschlag der Hockey-Historie. Gemessen an den Verhältnissen in Ajoie eine Ewigkeit.