Die SCL Tigers führen mit elf Punkten Vorsprung die NLB-Tabelle an. Sie haben am meisten Tore erzielt und am wenigsten Gegentreffer kassiert. Sie sind so überlegen, dass die Gegner, wie zuletzt Thurgau, schon während der Anreise resignieren.
Diese Überlegenheit führt zu einem ganz neuen, besonderen und einmaligen Hockeyerlebnis im Hockeytempel an der Ilfis. Für die Emmentaler und Entlebucher ist ein Spiel der SCL Tigers wie am Sonntagabend auf dem Sofa einen Gotthelf-Film von Franz A. Schnyder geniessen: Wir wissen, dass am Ende das Vreneli den Ueli heiraten wird und verfolgen doch gespannt die vielen kleinen Abenteuer bis zu diesem Happy-End. So wissen im Stadion alle, dass am Ende die Langnauer gewinnen werden und geniessen das Auf und Ab und Hin und Her bis zur Schlusssirene, bis zum Happy-End.
Die Stimmung ähnelt inzwischen in diesem hölzernen Hockey-Tempel mehr einer Andacht als einer emotionalen Sportveranstaltung. Die Tore werden beklatscht. Aber nicht mehr frenetisch bejubelt. Der schöne Brauch, nach jedem Treffer einen Schluck aus der Schnapsflasche zu nehmen, kann in Zeiten der 0,5 Promillen-Grenze sowieso nicht mehr gepflegt werden.
Fehlentscheide der Schiedsrichter lösen nicht mehr heftige Reaktionen aus. Sie werden mit staatsmännischer Gelassenheit hingenommen. Jeder im Stadion weiss ja, dass es sowieso keine Rolle spielt. Dass uns – äh, den Langnauern – der Sieg sicher ist.
Das Spiel der SCL Tigers mahnt jetzt ein wenig an jene Teams, die einst in den 1960er und 1970er Jahren aus der Sowjetunion und der Tschechoslowakei hie und da für Testspiele in unser Land gekommen sind. Die Überlegenheit ist phasenweise so krass, dass Eishockey gegen chancenlose Gegner wie Thurgau nicht mehr gearbeitet, sondern im besten Wortsinne fast körperlos gespielt wird. Die SCL Tigers wären durchaus rumpelfest, aber zu Checks kommt es in der Regel nur noch bei unbeabsichtigten Zusammenstössen.
Der Abschluss wird nicht direkt gesucht. Das wäre kulturloser Egoismus. Vielmehr wird die Scheibe so lange wie möglich in den eigenen Reihen gehalten und das Spiel in die Breite gezogen. Die Gegner müssen der Scheibe hinterherlaufen. So nach zehn oder fünfzehn Stationen wird dann doch mal geschossen. Die Resultate drücken die Überlegenheit nur ungenügend aus. Gegen Thurgau hätte es zuletzt, gemessen an den Spielanteilen, 12:4 und nicht bloss 4:1 enden sollen.
Es ist, als brauche es jetzt Weihrauch im Stadion. Weil Lob für diese Langnauer nicht mehr gut genug ist. Wie heisst es doch so schön: «Wer da fährt nach dem grossen NLA-Ziel, kann am Steuer ruhig sitzen unbekümmert, wenn am Kiel Lob und Tadel hochauf spritzen!»
Die einzige Kritik, die im November 2014 im Dorfe zu vernehmen ist, lautet so: Trainer Bengt-Ake Gustafsson sei zu ruhig. Er müsste doch auch mal an der Bande toben. Wie Chris McSorley, Arno Del Curto oder Guy Boucher.
Die Langnauer können nun zum ersten Mal in ihrer wechselvollen Geschichte (seit 1946) stressfreies Eishockey geniessen. Ein Sieg mehr oder weniger spielt keine Rolle mehr, wir – äh, die Langnauer – werden so oder so am Ende die Qualifikation gewinnen. Das Geschäft brummt, gut sieben Millionen Franken können in die 1. Mannschaft investiert werden und inzwischen läuft auch das Geschäft mit der Gastronomie ordentlich.
Der Gesamtumsatz des Hockeyunternehmens SCL Tigers beläuft sich pro Saison auf rund elf Millionen Franken. Pro Spiel sind bisher 4995 Zuschauer gekommen. Fast so viele wie in Ambri (5215) und Kloten (5048) und mehr als in Biel (4544), Davos (4488) und Rapperswil-Jona (4235). Eigentlich verschwenden die Langnauer in der NLB ihre Zeit.
Ach, könnte es doch immer so sein. Auch der Chronist hat seine Ruhe. Es ist nicht mehr nötig, mit den Gewährsleuten zu telefonieren um herauszufinden, ob der Trainer entlassen oder ein Ausländer ausgewechselt wird, und es gibt auch nichts mehr über finanzielle Probleme zu berichten.
Aber es wird nicht immer so sein. Unterforderung kann im Sport gefährlich sein. Vor allem dann, wenn sich das Management durch die vielen billigen Siege blenden lassen sollte. Es wäre verhängnisvoll, in der gegenwärtigen Glückseligkeit die Verträge mit Spielern und Trainer Bengt-Ake Gustafsson vorzeitig zu verlängern. Das Ziel ist der Wiederaufstieg in die NLA.
Was die ganze Herrlichkeit des Novembers wert ist, werden wir erst im Februar und im März in den Playoffs bzw. in der Liga-Qualifikation erfahren. Olten hat vor einem Jahr die NLB-Qualifikation mit zehn Punkten Vorsprung auf Langnau und Langenthal gewonnen und scheiterte gleich in der ersten Playoffrunde grandios.
Aber dieses Langnau kann dem Verlierer der NLA-Playouts einen gehörigen Schrecken einjagen. Die Mannschaft ist defensiv so stabil und so ausgeglichen (auf der Verletztenliste stehen mit Alban Rexha, Deny Bärtschi, Anton Gustafsson und Sandro Moggi Spieler mit NLA-Erfahrung), dass die Chancen in einer Liga-Qualifikation gegen ein Ambri oder gegen die Lakers in der aktuellen Verfassung mindestens bei 50 Prozent liegen. Zumal der NLB-Klub dann ja auch nur zwei Ausländer einsetzen darf. Aber eben: Zuerst muss die NLB gewonnen werden.
Der erste Härtetest folgt am 15. Dezember mit dem Cupspiel gegen den SC Bern. Das gefühlt wichtigste Spiel seit der letzten Partie der Saison 1975/76 gegen Biel als wir – äh, die Langnauer – mit einem 6:3 den bisher einzigen Titel holten. Es wäre wirklich ein Jammer gewesen, wenn das Los, das Glück, das Schicksal und der Zufall den Langnauern im Cup nicht den SCB als Gegner beschert hätten.