Die «Belle Epoque» («schöne Zeit») unserer WM-Geschichte gibt es nur noch in den Gärten unserer Erinnerung.
Warum «Belle Epoque»? Weil während dieser Epoche jeder WM-Expedition der aufregende Charme der unkontrollierbaren Unvollkommenheiten innewohnte. Es gab ständig neue Ansätze zu einer Polemik. Um den Nationaltrainer, um sein Aufgebot, um seine Taktik. Aus irgendeiner Ecke kam immer eine gewisse Unruhe. Und jeder, der nicht kommen konnte oder kommen wollte, lieferte eine Story. Weil wir so wenig Spieler hatten, die auf WM-Niveau mithalten konnten, dass der Nationaltrainer eigentlich fast auf jeden angewiesen war.
Ach, waren das Zeiten, als Jahr für Jahr die WM-Absenz von Reto von Arx und der Konflikt zwischen Arno Del Curtos HC Davos und den Verbandsgenerälen wochenlang Geschichten lieferten.
Selbst in der langen Phase der Stabilität unter Ralph Krueger (1997 bis 2010) konnten wir doch nie sicher sein, ob es nicht doch zu einem «Absturz» und einer Amtsenthebung des Nationaltrainers kommen wird.
65 Jahre lang, von 1953 bis 2018 reisten wir als Aussenseiter, als «kleine» Nation zur WM. Die letzten sieben Jahre dieser «Belle Epoque» waren zwar geprägt von Aufbruchstimmung und erstaunlichen Fortschritten. Den ersten Siegen gegen die NHL-Kanadier (2006 in Turin) und schliesslich dem silbernen Hockey-Frühling von Stockholm (2013). Aber Hektik, Unsicherheit, Unruhe und Unrast, die Aussenseiter umtreiben, bleiben selbst nach dem WM-Finale von 2013.
In den Tagen vor der WM war Jahr für Jahr zu spüren: Wir gehören halt doch nicht zu den «Grossen». Wir haben noch nicht das Selbstverständnis, die Ruhe, die Gelassenheit und das Selbstvertrauen, die aus dem Wissen um die unerschütterliche eigene Bedeutung kommen. Aus dem Wissen, dass man zu den Grossen gehört, ganz gleich, was bei der WM passiert. Ein WM-Misserfolg? Na und? Deswegen geht unsere Hockeywelt nicht unter. Was auch in Bratislava passiert wird die Position von Patrick Fischer nicht erschüttern.
Nun hat sich etwas verändert. Der Tag vor dem WM-Start in Bratislava ist anders. So war es noch nie. Die Silber-WM von 2018 wirkt sich aus. 2018 war ganz offensichtlich mehr als bloss eine Bestätigung für die Silber-WM 2013.
Die WM 2018 hat das gesamte Auftreten, das Umfeld der Nationalmannschaft verändert. Freitagmittag. Das Abschlusstraining vor der WM-Startpartie gegen Italien am nächsten Tag (Samstag, 12.15 Uhr) ist zu Ende. Die Spieler, noch in ihren ritterähnlichen Ausrüstungen und Nationaltrainer Patrick Fischer stellen sich den Fragen der Chronistinnen und Chronisten.
Gelassenheit und gesundes Selbstvertrauen ziehen sich durch alle Antworten und durch das Auftreten aller. Inzwischen weiss nicht nur jeder, wie schwierig die Aufgabe ist. Logisch. Aber noch viel wichtiger: jeder weiss, dass man gut genug ist, Erfolg zu haben. Die Schweizer treten zum ersten Mal vor einer WM wie die «Grossen» auf.
Die Absage von NHL-Verteidiger Dean Kukan wäre früher Grund zur Aufregung gewesen. Dieses Thema ist bereits am Donnerstag mit einem einzigen Statement von Patrick Fischer erledigt. Mit der Möglichkeit, dass einer wie Nino Niederreiter vielleicht doch noch nachrücken kann, wären einst alle WM-Hoffnungen verknüpft worden. Jetzt ist es einfach eine Option. Nach dem Grundsatz: Kommt er, umso besser. Kommt er nicht, sind wir trotzdem gut genug.
Zuletzt haben wir viermal hintereinander im Startspiel gegen den Aufsteiger Punkte abgegeben: 2015 gegen Österreich, 2016 gegen Kasachstan, 2017 gegen Slowenien und 2018 erneut gegen Österreich.
Diese Fehlstarts sind jetzt auch ein Thema. Aber unaufgeregt. Patrick Fischer sagt, man habe das noch einmal thematisiert. Klar. Aber Hektik, Unsicherheit, Unruhe und Unrast der früheren Jahre sind verschwunden. Das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten ist grösser als die Angst vor dem Versagen. Das ist das Merkmal der «Grossen». Das eifrige bis lächerliche Starkreden des Gegners (es ist Aufsteiger Italien) entfällt.
Die Mannschaft für die Pflichtaufgabe gegen Italien (Samstag, 12.15 Uhr, live SRF2) ist formiert:
Das Tor hütet entweder Leonardo Genoni oder Reto Berra.
In der Verteidigung treten an:
Roman Josi, Yannick Weber.
Michael Fora, Lukas Frick.
Romain Loeffel, Joël Genazzi.
Raphael Diaz, Janis Moser.
Die Sturmreihen bilden:
Grégory Hofmann, Philipp Kuraschew, Lino Martschini.
Tristan Scherwey, Christoph Bertschy, Noah Rod.
Simon Moser, Gaëtan Haas, Andres Ambühl.
Kevin Fiala, Nico Hischier, Vincent Praplan.
Patrick Fischer hat diese 20 Feldspieler gemeldet. Gaëtan Haas und Raphael Diaz sind die einzigen, die er seit seiner ersten WM 2016 immer nominiert hat.
Zwei Plätze bleiben offen. Einen davon übernimmt ab dem dritten Spiel am Dienstag gegen Österreich Sven Andrighetto und der zweite bleibt vorerst offen. Weil die Möglichkeit besteht, dass Nino Niederreiter doch noch zur WM kommen kann. Er hat mit Carolina soeben das erste Stanley-Cup-Halbfinalspiel verloren.
Somit bleiben die beiden Stürmer Alessio Bertaggia und Damien Riat vorerst auf der Tribüne.
Trotzdem: Hopp Schwiiz!