Die Play-offs sind unverhofft auch ein Kampf der Trainerkulturen geworden. Die NHL-Bandengeneräle Marc Crawford (53) und Guy Boucher (43) werden vom Baselbieter Kevin Schläpfer (45) und vom Dänen Heinz Ehlers (49), von zwei Vertretern der helvetisch-europäischen Trainerkultur, erfolgreich herausgefordert. Es ist auch ein «Kampf der Trainerkulturen», der noch vor 15 Jahren völlig undenkbar gewesen wäre.
Beispiel Kevin Schläpfer. Biel hat soeben die ZSC Lions im sechsten Spiel 3:1 besiegt. Jubel, Trubel, Party. Da ergreift Biels Trainer das Mikrofon, um die Party zu bremsen. Er mahnt über den Lautsprecher die Fans, nicht zu feiern. Man werde noch einmal in dieses Stadion zurückkehren.
Beispiel Heinz Ehlers. Er macht vor dem sechsten Spiel schlau den Schiris vor laufender TV-Kamera den Vorwurf, vor dem politisch mächtigen Bern zu kuschen und gegen Lausanne zu pfeifen. Ein öffentlicher Angriff, der seine Wirkung nicht verfehlt. Der SCB verliert 1:2, jammert über die Schiedsrichter und legt sogar einen völlig chancenlosen Spielfeldprotest ein.
Solches Verhalten ist für einen NHL-Bandengeneral wie Marc Crawford völlig undenkbar. Er hat dafür schon nach dem ersten Viertelfinalspiel gegen Biel ein Wort geprägt: «Hollywood». Nordamerikanische Cheftrainer sind im Wesen und Wirken, bei der Arbeit und im Interview viel zu strukturiert und zu hierarchiegläubig, um an solche Auftritte auch nur zu denken.
Das hat mit der Welt zu tun, aus der sie kommen. Bei uns ist der Coach das Mädchen für alles. Er kümmert sich nicht nur um Trainings und Taktik. Er ist oft auch ein ganzer oder halber Sportchef, dazu Ausbildner und wichtige Bezugsperson für die Spieler. Er ist auf seine Spieler angewiesen, einen mit dem nordamerikanischen Profihockey vergleichbaren Konkurrenzkampf gibt es bei uns nicht. Und darüber hinaus ist der Trainer oft der wichtigste Kommunikator des Teams.
In der NHL ist der Coach weniger vielseitig, dafür mächtiger und die Distanz zu den Spielern ist grösser. Er ist ein General. Tatsächlich lässt sich ein NHL-Unternehmen eher mit einer militärischen Organisation vergleichen als einem helvetischen Hockeyklub. Von oben nach unten ist die Kommandokette klar strukturiert. Aber der Coach coacht.
In der NHL gilt: Der Manager managt, der Coach coacht und der Spieler spielt. Eine Vermischung der einzelnen Ebenen findet nicht statt und es ist undenkbar, dass der Coach bei einem NHL-Unternehmen in der Öffentlichkeit eine so dominierende Rolle spielt wie Kevin Schläpfer in Biel.
Die Aufgabe der NHL-Coaches ist es, aus dem Spielermaterial ein Maximum herauszuholen und notfalls herauszupressen. Um die Ausbildung seiner Jungs oder gar deren Seelenleben kümmern sie sich nicht. Wer nicht taugt, wird ausgemustert. Der Konkurrenzkampf um die Plätze im Team gibt dem Trainer Allmacht.
ZSC-Manager Peter Zahner, der mit Marc Crawford nach Bob Hartley bereits den zweiten NHL-General beschäftigt, fasst es so zusammen: «NHL-Coaches sind gut strukturiert und konzentrieren sich stärker auf das Coaching. Sie kommen ja aus einer Welt, in der mehr gespielt als trainiert wird.»
Diese Fixierung auf Hierarchien und Strukturen funktioniert in der Schweiz nicht. Wer versucht, in der NLA ein NHL-Reservat zu errichten, scheitert. Bob Hartley und Marc Crawford konnten nur Meister werden, weil sie sich unseren Umgangsformen angepasst haben.
Guy Boucher hatte riesiges Glück, dass er im Januar 2014 bei seinem Amtsantritt in Bern gleich einen Vertrag bis 2016 erhalten hat. Er wäre sonst gleich wieder geflogen. Mit seinem extremen Systemhockey schrieb er Geschichte. Als erster Coach seit dem Wiederaufstieg, der mit dem SCB in die Abstiegsrunde musste. Inzwischen ist er umgänglicher und taktisch flexibler geworden.
Inzwischen gibt es eine Annäherung der Trainerkulturen. NHL-Generäle werden nach und nach europäischer und die europäischen Trainer ein bisschen nordamerikanischer.
NHL-Profi Mark Streit, der wie kaum ein anderer Schweizer beide Welten kennt, beobachtet einen Kulturwandel: «Der Führungsstil der Trainer hat sich in der NHL geändert. Die Zeiten des Herumbrüllens und Mobiliarzersplitterns sind vorbei. Das liesse sich eine neue Generation von Spielern heute nicht mehr bieten.»
So gesehen kann ein NHL-General alter Schule (und das sind Boucher wie Crawford) von den Erfahrungen in der Schweiz profitieren. In Calgary ist man sich einig: Bob Hartley ist in der Schweiz ein noch besserer Coach geworden. NHL-Bandengeneräle als Lehrlinge statt Lehrmeister.
Im Gegenzug sind unsere Trainer selbstbewusster geworden. Kevin Schläpfer wagte es beispielsweise, im sechsten Spiel in der Schlussphase mit Ahren Spylo seinen besten Torschützen aus der Qualifikation unter die Wolldecke zu stecken. Er hatte vorletzte Saison auch keine Mühe im Umgang mit den NHL-Stars Patrick Kane und Tyler Seguin. Die NHL-Stars Joe Thornton und Rick Nash haben während der Lockout-Saison (2004/05) in Davos Trainer Arno Del Curto schätzen gelernt und kehren immer wieder gerne zurück.
Als das 21. Jahrhundert begann, gab es in der NLA zwei echte Schweizer als Trainer: Arno Del Curto in Davos und Ueli Schwarz bei Gottéron. Von einem Meistertitel waren sie so weit entfernt wie Davos von New York. Heute haben wir vier waschechte Schweizer Bandengeneräle: Patrick Fischer, Arno Del Curto, Gerd Zenhäusern und Kevin Schläpfer.
Arno Del Curto hat bereits fünf Titel geholt und Kevin Schläpfer fordert im siebten Viertelfinalspiel keck den Stanley-Cup-Sieger Marc Crawford heraus. Noch vor 15 Jahren hätte ein Schweizer Trainer einen NHL-General unterwürfig nach einem Autogramm gefragt. Auch daran erkennen wir die enormen Fortschritte unseres Hockeys.