Die SCL Tigers als Favoriten gegen den Titanen SC Bern? Ja, so wäre es. Der SCB hat das Viertelfinale gegen Servette überstanden. Wie allseits erwartet. Allerdings ist die Entscheidung erst im längsten Spiel unserer Geschichte nach 117 Minuten und 43 Sekunden gefallen. Der himmelhole Favorit ist ins Halbfinale getaumelt.
Langnau ist in besserer Verfassung. Dass das Viertelfinale erst am Samstag im 7. Spiel in Lausanne entschieden wird, wäre kein Nachteil. Der SCB hat gegen Servette in sechs Spielen mehr Energie verbraucht.
Aber so weit sind wir ja noch nicht. Die SCL Tigers haben gegen Lausanne ein 1:3 aufgeholt und sind nur noch einen Sieg vom ersten Halbfinale in der höchsten Liga entfernt. Und dann wäre der Gegner eben der SC Bern. Dass sich die Langnauer überhaupt diese Ausgangslage erarbeitet haben, ist die grösste positive Überraschung dieser Saison. Ein Eishockeywunder. Aber ein logisches.
Der Ausgleich in diesem Viertelfinale gegen Lausanne, der 4:2-Sieg, hat nichts magisches oder wundersames. Es ist ein verdienter, logischer Sieg. So verdient und logisch, dass im 7. Spiel am Samstag in Lausanne alles möglich ist.
Trainer Heinz Ehlers wird natürlich nach den Aussichten befragt. Ob die Chancen 50:50 stehen. Er verzieht ein wenig das Gesicht, um ein Lächeln zu unterdrücken. Sein Sinn für Ironie blitzt auf. «Das Spiel beginnt mit 0:0, ich denke, das bedeutet, dass die Chancen 50:50 stehen.» So einfach, so wahr, so klar ist es.
Warum haben die SCL Tigers diese 6. Partie gewonnen? Weil doch der einzelne Mann entscheidet. Nicht die Taktik. Nicht das System.
Langnau und Lausanne gehören zu den taktisch besten Teams der Liga. Heinz Ehlers hat mit Fleiss, Akribie, Hartnäckigkeit, Geduld und Strenge in einem unberechenbaren Spiel ein Höchstmass an Berechenbarkeit erreicht. Er hat seit Oktober 2016 ein System eingeschult, das die Tiger im Kollektiv weit über ihr spielerisches Sozialprodukt hinauswachsen lässt.
Lausannes Ville Peltonen ist auch so ein System- und Disziplin-Spezialist. Aber er steht erst in seiner ersten Saison als Profitrainer. Weil er aber die besseren Einzelspieler zur Verfügung hat, gibt es in dieser Serie im Bereich Taktik und System doch eine Pattsituation.
So obliegt es einem Einzelspieler, die Differenz zu machen. Das gegnerische System zu knacken wie Weiland Arnold von Winkelried das undurchdringliche Defensivsystem der Österreicher («ich will euch eine Gasse machen»).
Nicht ganz unerwartet sorgt Chris DiDomenico für diese Differenz. Er hat seinen Trainer mit seinen Ausrastern und Aussetzern in den letzten Wochen zur Weissglut getrieben.
Aber Heinz Ehlers ist nicht nur ein «harter Hund». Er ist auch ein kluger Psychologe und hat längst erkannt, dass die Disziplinlosigkeiten seines Kanadiers nicht das Produkt von Ungehorsam oder einer ungenügenden Einstellung ist. Auf die Fragen, warum er sich die Eskapaden seines Topskorers bieten lasse, sagte Heinz Ehlers noch im Laufe dieser Serie, er wolle nicht darüber reden. Um dann doch anzufügen: «…aber er ist so ehrgeizig».
Das ist es: Der Vater des Ungehorsams ist bei Chris DiDomenico der unbändige Siegeswille. Die Früchte seines Zornes sind Rushes, die im gegnerischen System die Wirkung von Nadelstichen erzielen. Sein Treffer zum 1:0 lenkt das Spiel bereits nach 42 Sekunden in die für ein System-Team günstige Bahnen.
Chris DiDomenico wird sich nicht provozieren lassen. Und als der Haudegen Benjamin Antonietti in der Schlussphase versucht (53. Minute) ihm «unter die Haut zu gehen» kassiert er eine 10 Minutenstrafe.
Lausanne rennt also ständig einem Rückstand nach und ist gezwungen, die Deckung zu lockern. Die Räume öffnen sich. Vor allem auf den Aussenbahnen. Genau von dort aus setzt Alexei Dostoinov zum Spektakellauf an und bezwingt Sandro Zurkirchen mit einem wundervollen Kunstschuss zum 2:0 (12. Minute).
Mit dem wahrscheinlich besten ersten Drittel dieser Saison legen die Langnauer den Grundstein zum Sieg.
Lausanne wird es zwar nach dem missglückten Startdrittel gelingen, auf 2:1 und in der 56. Minute auf 3:2 zu verkürzen. Aber diese Treffer können das Layout dieses dramatischen, intensiven, schnellen und hochstehenden Spiels nicht ändern. Die Waadtländer sind dazu verurteilt, einem Rückstand nachzujagen. Sie rennen vergeblich wie der Hamster in seinem Rad.
Die Langnauer biegen sich unter dem gewaltigen Druck, den die Lausanner «Hockey-Maschine» zu entwickeln vermag (insgesamt 33:25 Torschüsse für Lausanne). Harri Pesonen trifft 61 Sekunden vor Schluss zum 4:2 ins Netz.
Sie brechen nicht, weil sie physisch so robust geworden sind wie nie in diesem Jahrhundert. Die Emmentaler lassen sich nicht mehr herumschubsen und nicht mehr einschüchtern. Sie haben unter Heinz Ehlers gelernt, mit allen bösen Hunden der Liga zu bellen. Und sie notfalls zu beissen. Und die vermeintlichen «Hinterbänkler» danken dem Trainer mit herausragender Leistung für die Wertschätzung. Zum Beispiel Nolan Diem – von Zug gekommen – hat in den sechs Viertelfinal-Partien genau gleich viele Treffer erzielt wie zuvor in 47 Qualifikationsspielen. Drei. Eine der Voraussetzungen für den Erfolg in den Playoffs sind «Indianer», die über sich hinauswachsen.
In der zweiten Hälfte der Partie wird allerdings Damiano Ciaccio immer mehr zum wichtigsten Mann. Der beste Torhüter unserer Hockeygeschichte ohne Länderspiel erreicht die famose Fangquote von 93,44 Prozent. Er ist klar besser als Sandro Zurkirchen (87,50 Prozent) und wird richtigerweise zum besten Spieler der Partie gewählt. Eine Voraussetzung für den Erfolg in den Playoffs ist ein grosser Goalie. Damiano Ciaccio ist ein grosser Goalie.
Ville Peltonen sagt hinterher selbstkritisch, seine Mannschaft sei nicht bereit gewesen. «Erst das zweite und dritte Drittel waren gut.» Solche Spiele seien nicht die Frage des Systems. Es gehe um Kampf- und Opferbereitschaft. «Und zwar von dem Moment an, an dem die Scheibe eingeworfen wird.» Er erwartet, dass die Leader in seiner Mannschaft nun im 7. Spiel ihrer Führungsrolle gerecht werden.
Die SCL Tigers haben zum ersten Mal ein Playoff-Heimspiel in der höchsten Liga gewonnen. Bei ihren bisher einzigen Playoffs 2011 sind sie gegen den SC Bern 0:4 ausgeschieden.
Lausanne war auch noch nie im Halbfinale und ist unter anderem im Viertelfinale zweimal im 7. Spiel auswärts gescheitert. 2014 mit 0:1 im Hallenstadion gegen die ZSC Lions und 2015 1:2 nach Verlängerung in Bern. Beide Male mit…Heinz Ehlers an der Bande.
Lausanne hat Heinz Ehlers im Frühjahr 2016 aus einem weiterlaufenden Vertrag gefeuert. Weil er punktgleich mit dem späteren Meister SC Bern auf Rang 9 die Playoffs verpasst hatte. So ist Langnau dank Lausanne zum besten Trainer seiner neueren Geschichte gekommen. Ohne Heinz Ehlers wären die SCL Tigers nicht da, wo sie heute stehen: einen Sieg entfernt von den ersten Playoff-Halbfinals in der höchsten Liga.
Der SC Bern steht nun vor den schwersten Halbfinals der «Ära Jalonen». Wenn wir die Namen nur als Buchstaben betrachten, die auf dem Dress aufgenäht worden sind, wenn wir ganz nüchtern die Verfassung der besten Spieler und der Torhüter betrachten, wenn wir alles ausblenden, was in den letzten Jahren war, alle Titel und alle Triumphe, und uns nur auf das Hier und Jetzt konzentrieren – dann kommen wir zu folgender Prognose: Es spielt keine Rolle, ob der SCB am nächsten Dienstag gegen Langnau oder gegen Biel (im Falle einer Niederlage der SCL Tigers in Lausanne) antreten muss. Hockeytechnisch ist der SCB nur noch Aussenseiter.
Aber das war noch nie eine schlechte Ausgangslage, um trotz allem ins Finale gegen zu kommen und Meister zu werden.
Zuerst wartet jetzt das kaptiale Spiel am Samstag.
Alles andere ist wie immer Polemik.
Hopp Langnou!
Entscheidend könnte sein, dass die Lausanner gewinnen müssen, die SCL Tigers aber gewinnen dürfen. Das Müssen und Dürfen hat jedoch nichts mit der Intensität des Wollens zu tun. Denn für viele Spieler aus Langnau ist dieses Spiel eine der raren Möglichkeiten in ihrer Karriere, an einem grösseren Erfolg zu schnuppern. Dies dürfte enorm motivierend sein.
Ihre Anhängerschaft wird sie aber auch im Falle einer Niederlage feiern.