Bild: KEYSTONE
«Jeder Tag mit Guy Boucher als Trainer ist für den SC Bern ein verlorener Tag»
Die Fabel geht so: Der Kaiser möchte neue festliche  Gewänder. Er fällt Betrügern zum Opfer. Sie tun nur so, als würden sie ihn festlich kleiden. Weil sich niemand   die Gunst des Kaisers verscherzen will, sagen aber alle, wie   wunderbar doch die neuen Gewänder seien. Bis ein   kleines Kind ausruft: «Aber der Kaiser ist ja nackt!», und   den Spuk beendet.
Marc Lüthi, der Sportchef des SC Bern, wollte einen Trainer, der seinen Klub in  frischen, neuen Ruhm kleidet. Er hat im Laufe der   Saison 2013/14 Guy Boucher geholt. Er ist wahrscheinlich   der sturste und humorloseste Trainer, der je in Bern   gearbeitet hat.
16 Niederlagen in 25 NLA-Spielen
Vom ersten Tag an ist diese Verpflichtung ein Missverständnis. Die Bilanz ist verheerend. Zuerst versenkt der Kanadier den SCB (den Titelverteidiger!) im Frühjahr 2014 in der Abstiegsrunde. Nach einem Zwischenhoch in der letzten Saison ist der SCB inzwischen nur noch eine Karikatur seiner selbst.
Seit dem Cupsieg vom 11. Februar 2015 gegen die Kloten Flyers haben die Berner 25 Meisterschaftsspiele (Qualifikation und Play-offs) ausgetragen. Davon haben sie 16 verloren, zuletzt 1:2 zuhause gegen die ZSC Lions und 1:3 in Davos.
Bild: KEYSTONE
Boucher hat schon eine NHL-Kabine von innen gesehen!
Mit vier ausländischen Stürmern, mit drei WM-Silberhelden (Bodenmann, Plüss, Moser) in der Offensive gelang gerade mal ein Törchen gegen die mit Urban Leimbacher im Tor spielenden, arg geschwächten Zürcher. In den zwei letzten Partien zwei Tore – und eines davon von einem Verteidiger (Justin Krueger). Der SCB ist auf dem direkten Weg in die Abstiegsrunde.
Wäre Guy Boucher ein Schweizer oder auch nur ein  europäischer Trainer, er wäre längst gefeuert worden.   Aber er ist halt ein ehemaliger NHL-Trainer! Er hat   schon eine NHL-Kabine von innen gesehen! Ein   Kanadier! Er ist doch immer so schön modisch   gekleidet! Marc Lüthi ist wie hypnotisiert. Ihm gefällt   dieser Technokrat, der so sehr alles durchstrukturiert,   durchorganisiert und bis ins kleinste Detail kontrolliert.   So ist doch der SCB auch in seinem Innenleben und   gerade deshalb wirtschaftlich erfolgreich wie kein   anderes Hockeyunternehmen in Europa.
Bild: KEYSTONE
Aber Eishockey ist ein Spiel. Keine exakte Wirtschaft.  Und ein Spiel lässt sich nicht bis auf die letzten   Laufmeter mathematisch berechnen. Kürzlich sagte mir   ein Coach, dessen Namen mir in diesem Augenblick   entfallen ist, er spiele eigentlich am liebsten gegen den   SCB. Das sei zwar eine sehr, sehr gute Mannschaft.   Aber bei dem Coach wisse man wenigstens immer, was   passiert.
Der Berner Massstab sind Siege gegen Titanen
Stur wie Roboter spielen die Berner, und jeder ist   darauf bedacht, genau so viel zu tun, um sich nicht dem   Zorn des Trainers auszusetzen. Null Mut zum Risiko.   Keine Kreativität. Deshalb ist die Chancenauswertung   so schlecht. Manchmal gelingt es mit der schieren   Wucht einer Mannschaft, die ja bei weitem gut genug   wäre, um die Liga zu dominieren, einen Gegner zu   zermürben und zu überrennen – wie etwa die SCL   Tigers, die mit 7:1 gebodigt worden sind.
Hält hingegen ein Widersacher mit Organisation und   Disziplin dagegen, sind die Berner mit ihrem blinden   Eifer und ihrer taktischen Sturheit meistens am Ende.   Sogar gegen die ZSC Lions, die bei weitem nicht ihr   bestes Hockey spielen und auf eine ganze Reihe ihrer   besten Spieler verzichten müssen. Der SCB versteht   sich als Bayern München unseres Hockeys. Der   Massstab sind Siege gegen Titanen wie die ZSC Lions   oder den HC Davos. Und nicht sieben Treffer in einer   sportlichen Gaudi gegen den Aufsteiger Langnau.
Aber solche Gedanken sind tabu. Weil alle wissen, dass  Marc Lüthi in seinen Trainer verliebt ist, finden alle den   Trainer toll. Nur dann, wenn absolute   Verschwiegenheit garantiert ist, wird ausgepackt. Um   es in einem Satz zusammenzufassen: Jeder Tag mit Guy   Boucher ist für den SCB ein verlorener Tag. Wir warten   auf das Kind, das endlich sagt, dass der SCB ja gar   keinen richtigen Trainer hat. Oder auf Marc Lüthi, dass   er zur Einsicht kommt und diesen groben sportlichen   Unfug endlich abstellt.
Der Vergleich mit der Situation in Langnau
Wer fliegt nun zuerst: Guy Boucher oder Benoît   Laporte? In Langnau liegen die Dinge ein wenig anders.   Dort wird schon aus Prinzip am Trainer festgehalten.   Bereits erkennen wir erste Tendenzen jener fatalen   Schicksalsergebenheit, die es den Emmentalern   erlaubt, harte Zeiten (die sie vor allem im vorletzten   Jahrhundert hatten) besser durchzustehen. Man sei   halt nicht besser, da könne man halt nichts machen –   so wird zurzeit argumentiert. Und dazu kommt die   gerade in bäuerlich geprägten Kulturen vorherrschende   soziale Kontrolle. Diese Furcht davor, was andere über   einen denken könnten. Die SCL Tigers sind in ihrer   Geschichte gefangen. Sie haben Aufstiegstrainer Bengt-Ake Gustafsson fortgeschickt. Da kann man doch jetzt   nicht schon seinen Nachfolger feuern. Was denken da   die Leute über einen?
Sportlicher Misserfolg schlägt bei den SCL Tigers nicht  gleich auf die Kasse durch. Die Fans sind geduldig, sie   sind glücklich, wieder in der NLA zu sein, und halten   dem Team auch in schlechten Zeiten die Treue. Vom   Kassenhäuschen her gibt es vorerst keinen Druck auf   Benoît Laporte.
Bild: KEYSTONE
Hans Kossmann steht bereit
In Bern ist die Situation eine andere. Auf nichts reagiert   Marc Lüthi so sensibel wie auf Verstimmung seiner   Kundschaft. Sobald er zum Schluss kommt, dass die   Zuschauer nicht mehr zufrieden sind, wird er handeln.   Denn jeder Zuschauer weniger im Stadion reduziert   Umsatz und Gewinn. Er hat einst sogar ohne Not   Meistertrainer Larry Huras gefeuert – weil er angeblich   zu langweiliges Hockey spielen liess. Im Vergleich zu   dem, was Guy Boucher den Fans zumutet, war das   Hockey in den Zeiten von Larry Huras ein permanentes   Abbrennen von spielerischen Feuerwerken. Diese   Entlassung von Larry Huras traumatisiert Marc Lüthi   noch heute und ist mit ein Grund für das sture   Festhalten an Guy Boucher.
Was in Bern und in Langnau zu denken geben sollte:   Guy Boucher hat noch nie in seiner Karriere als   Proficoach irgendetwas gewonnen – ausser den Cup   mit dem SCB. Und Benoît Laporte hat 2008 die Liga-Qualifikation mit Basel gegen Biel glatt 0:4 verloren.
Was den Reiz erhöht: Es gibt keinen Mangel an  Trainern. Wenn die Langnauer wirklich das offensive «Wildwest-Hockey» wollen, von dem Sportchef Jörg   Reber gesprochen hat, ist Doug Shedden der richtige   Mann. Der Kanadier hat zudem reiche Erfahrung im   Umgang mit Lottergoalies. Wenn der SCB einen Taktiktrainer mit menschlichem Antlitz und Sinn für Ironie   und Humor will, steht Hans Kossmann bereit. Als   Assistent von Larry Huras war er schon mit dem SCB   Meister.
