Eine Szene erklärt uns die ganze heraufziehende Dramatik dieser Finalserie und die Problematik der Berner. Die nominell vierte Linie der Zuger kombiniert sich in der 36. Minute an den taumelnden gegnerischen Titanen Eric Blum, Andrew Ebbett und Jan Mursak vorbei zum 2:1 durch Yannick-Lennart Albrecht.
Was für eine geile Kiste des @official_EVZ 🔥 Yannick-Lennart Albrecht und Yannick Zehnder entzaubern die SCB-Abwehr! ✨ #NLPlayoffs2019 pic.twitter.com/tsG3KZHqbO
— MySportsCH (@MySports_CH) 11. April 2019
Wer ein bisschen Polemik mag, hier ein paar ganz unpolemische Angaben aus der offiziellen Matchstatistik der Liga: Torschütze Yannick-Lennart Albrecht ist in dieser Partie während 11:32 Minuten eingesetzt worden. Andrew Ebbett bekam 18:07 Minuten Eiszeit, Jan Mursak sogar 19:21 Minuten. Die beiden SCB-Ausländer haben die Partie mit einer Minus-2-Bilanz beendet.
Dieses zweite Tor, das sich bereits als Siegestreffer erweisen sollte, ist eine Frage der Energie. Wer während der Saison und im Spiel klug die Belastung auf vier Linien verteilt und wer in den Playoffs vier Partien weniger bestreiten muss, verfügt halt über frischere Spieler.
Der SCB ist auch wegen seiner Energie-Mangelwirtschaft im eigenen Tempel dominiert worden wie noch nie zuvor in einem Finalspiel. Nach dem gut überstandenen ersten Drittel mit 9:10 Torschüssen folgte die Demütigung mit 5:11 im zweiten und 4:11 Schüssen aufs Tor im dritten Abschnitt.
Die Zuger hatten das ganze Startdrittel gebraucht, um in die Gänge zu kommen und ihr Spiel zu justieren. In dieser intensiven Anfangsphase wird noch über weiter Strecken konservatives SCB-Hockey gearbeitet und noch nicht nach moderner Zuger Art Hockey gespielt. Mit übervölkerter neutraler Zone und mit dem ruckartigem Rythmus von Videos bei schlechter Internet-Verbindung. Daraus resultiert eine Führung für den SCB (1:0), die eine Option auf den Sieg hätte sein können. Die Berner haben im Halbfinale gegen Biel immer gewonnen, wenn sie den ersten Treffer erzielten.
Aber Zug ist nicht Biel. Nun zeigt sich: Biel war wohl doch nur eine «Operetten-Version» der Zuger. Leichtfüssig und schnell waren die Bieler und so brachten sie den SCB in einer der schnellsten Playoffserien unserer Hockeygeschichte in grosse Not.
Die Zuger sind aber nicht nur schnell. Sie sind auch robust. Ja, zum ersten Mal seit Menschengedenken ist der SCB im eigenen Stadion in einem Finalspiel auf einen Gegner getroffen, der härter, kräftiger, böser und zeitweise auch im Hockeysinne «hinterlistiger» war. Zumindest in dieser ersten Partie.
Playoff ist ja im klassischen Sinne die Fortsetzung des Eishockeys mit anderen Mitteln. Darin war der SCB schon immer ein Meister und auch deshalb in den letzten Jahren so erfolgreich.
Aber nun sind die Berner ab Spielmitte in diesem Bereich richtiggehend vorgeführt worden. Vor eigenem Publikum. Dass sie kein Mittel mehr gegen das Tempospiel gefunden haben, ist angesichts des unterschiedlichen Energiehaushaltes der beiden Teams logisch. Dass sie sich aber Unsportlichkeiten bieten liessen, die sie früher nie hingenommen haben, ist schon erstaunlich.
Garrett Roe gibt beim Stand von 1:2 nach einem von den sehr guten Schiedsrichtern geahndeten Beinstellen von Beat Gerber den «Neymar on Ice». Der grosse, böse, wahre, echte SCB hätte sich das nicht bieten lassen und man wäre gegen den Amerikaner im Rudel handgreiflich geworden. Auf diese eine Szene bezogen: Kaum zu glauben, aber wahr. Zug kann besser Playoff als der SCB.
"Ich bin froh, dass er nach einer Rolle fertig war und dass es nicht im Neymar-Style weiterging", so unser Moderator Reto Müller 🗣 Stimmst du ihm zu? #NLPlayoffs2019 pic.twitter.com/hZC2Gdzv2C
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Bereits nach dem 1:2 wird klar: nur noch ein Wunder kann diesen braven, gewöhnlichen SCB noch retten. Das Wunder geschieht nicht. Denn für ein Wunder hätte es einen grossen, magischen Leonardo Genoni gebraucht.
Damit sind wir bei einem weiteren Punkt, der in dieser Serie noch eine zentrale Rolle spielen wird: Leonardo Genoni ist zum Finalauftakt bloss ein gewöhnlicher Torhüter mit einer ungenügenden Abwehrquote (90,32 Prozent).
Der grosse Respekt vor den grandiosen Leistungen, die der WM-Silberheld schon vollbracht hat, gebietet uns, die drei ersten Treffer als «unhaltbar» zu bezeichnen.
Wäre aber die Nummer 2 (Pascal Caminada) im Kasten gestanden, dann würde wir jetzt die Stirne runzeln und mit wichtiger Miene erklären, die drei ersten Treffer hätte der wahre Leonardo Genoni möglicherweise mit «Hexenparaden» verhindert. Zugs Tobias Stephan (Fangquote 94,44 Prozent) war nicht nur statistisch besser. Er war auch ruhiger, dominanter als der letzte Mann beim SCB.
Womit wir zu einer simplen Wahrheit kommen: der SCB hat nur noch eine Chance, wenn Leonardo Genoni beschliesst, ein Meistergoalie zu sein. Mit einem gewöhnlichen und selbst mit einem guten Leonardo Genoni sind die Berner machtlos.
Für die Zuger wird dieses Finale nun zu einem Intelligenztest: sie haben die Ausgeglichenheit, das Tempo, die Energie, den Torhüter, das Selbstvertrauen und die Prise Bösartigkeit, die es für einen Titel braucht. Sind sie nun auch clever (intelligent) genug, diese Vorteile zu nützen oder lassen sie sich zu Disziplinlosigkeiten hinreissen?
«Ich habe auch einiges gesehen, was mir nicht gefallen hat», sagt Zugs Trainer Dan Tangnes. «Wenn wir nicht aufpassen, müssen wir dafür büssen.» Santeri Alatalo hat beispielsweise drei Zweiminutenstrafen verbüsst. Das sind drei zu viel.
Die grösste Undiszipliniertheit hat sich allerdings erst einmal SCB-Verteidiger Adam Almquist geleistet. Der Schwede erwischt, als es bereits 1:3 steht, mit einem Check Zugs Vorkämpfer Reto Suri am Kopf (49. Minute). Er wird für diese Aktion unter die Dusche geschickt. Nur wenn er gnädige Hockey-Richter findet, darf er in dieser Finalserie noch einmal eingesetzt werden. Dan Tangnes sagt nach dem Spiel, Reto Suri habe mehrere Zähne verloren. Ob er am Samstag wieder spielen könne, sei noch ungewiss.
Check Almqvist gegen Suri. 5+SD @scbern_news vs @official_EVZ pic.twitter.com/3CZifNQbIQ
— Kristian Kapp (@K_Krisztian_) 11. April 2019
Dieser Ausraster des sonst besonnenen Defensivverteidiger (nur 20 Strafminuten in 50 Qualifikationsspielen) ist ein Hinweis auf die SCB-Hektik und die latente Gefahr einer SCB-Überreaktion. Im Laufe dieser Finalserie könnte es noch gehörig rumpeln.
Das letztlich klare Resultat sollte nicht täuschen und die Zuger nicht in falscher Sicherheit wiegen: die Berner werden heftig reagieren. Sie waren einfach nicht dazu in der Lage, sich in der Zeit seit dem 7. Halbfinalspiel zu erholen auf den Final-Modus zu schalten. Aber das kommt noch. Spätestens im zweiten Heimspiel am Dienstag werden sie bereit sein. Und trotz klarer Unterlegenheit hatten sie in der ersten Partie bis ins Schlussdrittel hinein gute Torchancen. Eine «totale» Kontrolle über das Geschehen gelang den Zuger erst in der Schlussphase – soweit es diese Kontrolle in einem so unberechenbaren Spiel auf einer so rutschigen Unterlage überhaupt gibt.
Dan Tangnes ahnt, dass der Weg zum grossen Triumph ein steiniger sein wird. Auf die Feststellung, er habe nun alle «Tools» für ein Meisterteam, gibt er zu bedenken: «Aber Kari Jalonen auch ...» Und wo er recht hat, da hat er recht.
An Genoni lag es wirklich nicht!
Biel als Operetten-Team zu bezeichnen ist eine Frechheit! Oder weshalb braucht das Titanen-Team aus Europas Hockeyhauptstadt 7 Spiele um sie zu schlagen?
Unbestritten ist, dass Zug ein anderes Kaliber als Biel ist.