Die SCL Tigers bezahlen die Rechnung für zwei Jahre Larifari-Betrieb mit lediglich 21 Siegen in 102 Partien mit über 400 Gegentoren. Wegen der Pandemie hat es 2020, 2021 und 2022 keinen Absteiger gegeben. Die Niederlagen spielten deshalb keine Rolle.
Langnau hat die geschenkte Zeit ohne Relegation nicht zur Entwicklung einer Identität, zur Erneuerung des Teams und zur gezielten Ausbildung junger Spieler genützt. Sondern bloss für die Verbilligung der Mannschaft. In den letzten zwei Jahren ist fast nichts mehr in die Sportabteilung investiert worden. Bloss ein einziger wichtiger neuer Schweizer Spieler ist gekommen: Torhüter Luca Boltshauser.
In dieser Zeit hat Ambri unter anderem die sportliche Führungskrise beim SCB dazu genützt, um den Bernern mit André Heim einen der besten Schweizer Center und Yanik Burren einen Nationalverteidiger auszuspannen. Es gibt keine Ausrede: Wenn Ambri André Heim und Yanik Burren holen kann, dann muss Langnau erst recht dazu in der Lage sein, gute Transfers zu machen. Ambri hat mit Paolo Duca seit 2017 einen charismatischen Sportchef.
Die Lakers haben seit dem letzten Platz von 2019 eine ganze Reihe von hochtalentierten, von der Konkurrenz oft unterschätzten Talenten verpflichtet und sich zu einem Team der oberen Tabellenhälfte entwickelt. Die Lakers haben mit Janick Steinmann seit 2019 einen charismatischen Sportchef.
Erst im letzten Frühjahr hat der Verwaltungsrat in Langnau seine Verantwortung wahrgenommen, die Sportabteilung mit einer klaren Idee erneuert und den Sportchef-Lehrling Marc Eichmann durch Pascal Müller ersetzt. Zu spät? Wenn die Langnauer Glück haben, ist es nur fast zu spät.
Kritik ist allerdings billig. Die Sorge um das wirtschaftliche Überleben hat alles überschattet (ähnlich wie beim SC Bern) und dazu geführt, dass in einer schwierigen Zeit vergessen, verdrängt worden ist, dass bei einem Hockeyunternehmen der sportliche Erfolg zwar nicht alles, aber ohne sportlichen Erfolg alles nichts ist.
Die wirtschaftlichen Folgen der heraufziehenden gefährlichsten Krise seit dem Aufstieg von 1998 sind beunruhigend: Seit der Saison 2006/07 kamen bis zur Pandemie (Saison 2020/21) in Schnitt immer mehr als 5'000 Fans. Auch in den zwei Jahren in der NLB. Letzte Saison waren es noch 4'752 und in der neuen Saison sind es nach drei Heimpartien gerade mal 4 365. Geht es so weiter, werden es bald weniger als 4000 sein. Bereits im September ist klar, dass es keinerlei Aussichten auf Playoffs- oder Pre-Playoffs gibt und der Gewinn der Keller-Meisterschaft (Rang 12) das höchste aller Gefühle ist. In sportlicher Trostlosigkeit sind bis zum 4. März noch mehr als 40 Spiele auszutragen. Eine gefühlte Ewigkeit. Es wird die längste Saison seit Menschengedenken. Langnau droht der Verlust von fast einem Drittel der Zuschauereinnahmen. Diskussionen, ob man sich die Existenz in der höchsten Liga überhaupt leisten kann, werden bald aufflammen. Werden sie öffentlich geführt, ist die Relegation besiegelt.
Das obere Emmental und die Leventina gehören zu den strukturschwächsten Regionen des Landes. Aber Langnau ist leichter erreichbar als Ambri. Im Emmental ist es einfacher, Fans zu mobilisieren und ein Team in der National League zu finanzieren als in der Leventina. Die wohlfeile Ausrede, dies und das sei halt im Emmental nicht machbar, ist nichts als eine wohlfeile Ausrede und zersetzt die Leistungskultur.
Die SCL Tigers stecken in der schwierigsten Situation seit dem vorletzten Aufstieg von 1998. Die Relegation von 2013 war verkraftbar. Ja, sie führte in einer attraktiven zweithöchsten Liga zur wirtschaftlichen Erholung, zur sportlichen Erneuerung und 2015 auf Kosten der Lakers zur Rückkehr in die höchste Liga. Aber jetzt ist die wirtschaftliche und sportliche Differenz zwischen den beiden höchsten Liga mindestens ein Drittel grösser als 2015 und so gross wie noch nie in der Geschichte. In der Swiss League müsste das Budget so stark reduziert werden, dass es fast nicht mehr möglich wäre, eine Mannschaft zu unterhalten, die sich in der Liga-Qualifikation gegen den Verlierer der NL-Playouts durchzusetzen vermag. Olten ist womöglich für längere Zeit das letzte Hockeyunternehmen in der Swiss League, das wirtschaftlich und sportlich zu einem Aufstieg in der Lage ist.
Das bedeutet: Die Langnauer müssen alles vorkehren, um auf jeden Fall das letzte Spiel der Saison zu gewinnen und oben zu bleiben. Sie haben mehr als 40 Spiele und fünf Monate Zeit, sich auf diese schicksalsschwere finale Partie vorzubereiten. Wahrlich, eine gefühlte Ewigkeit.
Nach dem 1:6 gegen Biel bleibt die Kabinentüre am Freitagabend im Ilfis-Tempel fast eine halbe Stunde lang zu. Trainer Thierry Paterlini spricht zu den Spielern. Eine Reaktion bleibt am Samstag aus: Langnau ist in Rapperswil-Jona zum dritten Mal hintereinander ohne den Hauch einer Chance (0:4). Wenn der Trainer schon im September laut, lang und leidenschaftlich reden muss, wird ihm im Februar niemand mehr zuhören. Wenn schon im September auf ein 1:4 (gegen Ajoie) keine Reaktion erfolgt und ein 1:6 (gegen Biel) und ein 0:4 (gegen die Lakers) folgen, dann wird es auch im Februar oder März keine Reaktion geben.
Thierry Paterlini (47) ist in dieser Situation bei seinem ersten Trainerjob in der höchsten Liga mehr Opfer als Täter. Er ist das Opfer einer sportlichen Larifari-Politik. Die einzige Kritik: Er hat die Situation unterschätzt. Aber konnte er diese Chance vorbeiziehen lassen, in der National League einen Job zu bekommen? Nein.
Was kann er tun? Wenn die meisten Schweizer Spieler so wenig Talent und Selbstvertrauen haben, dass sie nicht wissen, was sie mit dem Puck anfangen sollen, dann muss wenigstens jeder wissen, was er ohne Puck zu tun hat. Das war das Erfolgsrezept von Trainer Heinz Ehlers (2019 mit Langnau in den Playoffs). Die Umstellung auf solches «Überlebenshockey», auf Taktik statt Spiel, defensive Disziplin statt offensives Spasshockey, braucht Wochen.
Die Langnauer haben zwar gute, ja exzellente ausländische Spieler. Captain Harri Pesonen ist gar Weltmeister und Olympiasieger. Aber sie leben nicht auf einer Insel der Glückseligkeit. Sie sind ein Teil der Mannschaft. Teil des schlimmsten Verliererteams der Neuzeit. Nichts zersetzt die Chemie in der Kabine und zerrüttet das Selbstvertrauen der Spieler so sehr wie andauernde Niederlagen. Wechsel auf der Ausländerpositionen bringen also nichts. Sinn wird nur die Verpflichtung eines ausländischen Goalies machen. Als Absicherung für den Abstiegskampf.
Es gibt einen Fingerzeig der Götter. Auf der Medientribüne war fürs Spiel gegen Biel ein Platz für Kevin Schläpfer reserviert und mit seinem Namen beschriftet. Er ist nicht gekommen. Kevin Schläpfer als neuer Trainer? Um Langnau in einer schier aussichtslosen Lage so zu retten, wie er 2009 und 2010 zweimal Biel als Nothelfer in fast auswegloser Situation in der Liga-Qualfikation oben gehalten hat? Interessanterweise standen letzten im Frühjahr in Langnau noch zwei Trainer zur Wahl: Thierry Paterlini und Kevin Schläpfer.
Der Trainer ist nicht schuld an der Krise. Aber Langnaus Rettung hängt trotzdem davon ab, ob Sportchef Pascal Müller den richtigen Zeitpunkt zum Trainerwechsel findet. Nicht zu früh. Aber auch nicht zu spät.
Natürlich ist in Langnau ein Trainerwechsel kein Thema. In den nächsten Wochen werden wir allerlei bedingungslose Treuebekenntnisse zu Thierry Paterlini vernehmen. Eine weitere Trainerentlassung sei, so wird es heissen, eine Bankrotterklärung. Jetzt seien die Spieler in der Verantwortung. Und die Spieler werden demütig sagen, nun sei es an ihnen, Leistung zu bringen. So gehe es nicht. Das seien sich alle bewusst. Jeder müsse in den Spiegel schauen. Ganz sicher liege es nicht am Trainer. Gemeinsam komme man aus dieser Krise heraus. Und so weiter und so fort. Bald wird Langnau unterschätzt. Schon jetzt traten Zug und Biel gegen die Emmentaler mit den Ersatzgoalies an. Können durchaus mögliche „billige“ Siege richtig eingeordnet werden?
Die normativen Kräfte des Faktischen werden zu stark sein. Die Frage ist nicht ob, sondern wann es in Langnau einen Trainerwechsel gibt. Wir werden in Langnau diese Saison ein Novum erleben: Die erste Entlassung eines Trainers, der unschuldig und für den Misserfolg nicht einmal mitverantwortlich ist.
Das hat nichts mit einer Geringschätzung der SCL Tigers oder des HC Ajoie zu tun. Das die Zuger jeweils im ersten Drittel noch nicht bereit waren schon eher.
Claudio Cadonau kann übrigens vom EVZ zurück nach Langnau. Der sollte genug Erfahrung
mitbringen.