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Die Parallelen von Martin Gerber zu Ernest Hemingways «Der alte Mann und das Meer»
Es ist fast so, als habe das Hockey-Glück   Sean Simpson in der Nacht vom 18. auf den   19. Mai 2013 verlassen. Seit dieser Nacht   läuft in seiner grandiosen Hockey-Karriere   alles schief. Er entscheidet sich als   Nationaltrainer für den falschen Torhüter   (Martin Gerber statt Reto Berra) und verliert   auch deshalb am 19. Mai 2013 das WM-Finale gegen Schweden 1:5. Beim   Olympischen Turnier und bei der WM 2014   erreicht er das Viertelfinale mit viel Pech   nicht. Anschliessend wird er beim KHL-Klub   Jaroslawl gefeuert, wechselt während der   Saison zu Kloten, verpasst die Playoffs und   verliert den Cupfinal gegen den SC Bern.
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Das Glück will einfach nicht zurückkehren.   Soeben hat er mit den Kloten Flyers die   ersten zwei Spiele verloren. 3:7 gegen Biel   und 3:6 in Fribourg. Und so wie damals, als   sein Unglück mit dem WM-Finale begonnen   hat, so spielt auch jetzt wieder Martin   Gerber eine Rolle. Wir sind beim Thema:   Der alte Goalie und sein Coach.
Der Stanley-Cup-Sieger in der Krise
Martin Gerber ist am 3. September 41 Jahre  alt geworden. So wie Sean Simpsons in   unserem Hockey einer der grössten Coaches   aller Zeiten, so ist er einer der grössten   Goalies aller Zeiten. Aufstieg mit Langnau,   Meister in Schweden, Stanley Cup-Sieger,   WM-Finalist. Aber so wie bei Sean Simpson   läuft auch bei ihm seit 2013 fast alles schief.   Abstieg 2013 mit Rögle aus der höchsten   Schwedischen Liga. Mit Kloten verliert er   2014 das Playoff-Finale, 2015 verpasst er   gar die Playoffs und verliert den Cupfinal.   Und jetzt der Fehlstart.
Hiesse Klotens Torhüter Klaus Wegmüller  und nicht Martin Gerber, so wäre längst eine   heftige Polemik im Gange. Die Statistik ist   miserabel. Gegen Biel erreicht Gerber eine   Fangquote von 79,41 Prozent und gegen   Fribourg sind es 83,33 Prozent. Ein guter   Torhüter hält mindestens 92 Prozent der   Schüsse.
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Martin Gerber als Symbolfigur
Ist Martin Gerber an allem schuld? Nein,   natürlich nicht. Und doch symbolisiert er   möglicherweise die Kloten Flyers mehr als   alle ahnen. Dieses Hockeyunternehmen hat   in den letzten vier Jahren mehr   durchgemacht als alle anderen Nationalliga-Organisationen. Der wirtschaftliche   Existenzkampf hat auch die Spieler stark   beansprucht. Geht es weiter? Geht es nicht   weiter? Was mache ich, wenn es nicht   weiter geht? Übernimmt ein anderer Klub   meinen Vertrag?
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Es ist eine Mannschaft mit einem   bewundernswerten Zusammenhalt. Aber   auch eine Mannschaft, die inzwischen sehr   viele Kilometer auf dem Tacho hat und auf   dünnem Eis steht. Wichtige Spieler wie René   Back, Patrick von Gunten, Philippe Schelling,   Peter Guggisberg, Michael Liniger, Romano   Lemm, Tommi Santala und Victor Stancescu   sind 30 Jahre oder älter. Martin Gerer ist   sogar 41. Die Kloten Flyers wie Martin   Gerber: Viel Talent, viel Klasse, viel   Erfahrung und eine ruhmreiche   Vergangenheit. Aber zerbrechlich in der   Gegenwart.
Mentale Fragilität oder doch alles Zufall?
Der alte Mann und das Meer. Der alte Goalie  und sein Coach. Der alte Fischer Santiago   fängt nach drei erfolglosen Monaten endlich   einen riesigen Schwertfisch. Als er im Hafen   ankommt, muss er feststellen, dass die Haie   seinen Fang bis auf das Skelett gefressen   haben. Der alte Goalie Martin Gerber hat   nach drei bescheidenen, meist erfolglosen   Jahren in Oklahoma, Växjö und Ängelholm   in Kloten endlich wieder einen riesigen   Vertrag an Land gezogen. Doch nun muss er   feststellen, dass diese Kloten Flyers kein   Spitzenteam mehr sind und womöglich   keines mehr werden. Trotz einem so   ausgewiesenen Erfolgscoach wie Sean   Simpson.
Nominell sind die Kloten Flyers nach wie vor  bei weitem gut genug für eine sichere   Playoff-Qualifikation und eine rasche,   nachhaltige Reaktion auf den Fehlstart. Und   doch irritiert, wie eine so gute Mannschaft   nach verheissungsvollem Spielbeginn   auseinander gefallen ist. Alles einfach bloss   dumm gelaufen? Oder sind die Klotener   nach all den Jahren mental so fragil   geworden, dass sie Widerstände nicht mehr   überwinden können? Dass sie verloren sind,   wenn der Puck nicht ihren Weg gehen will?   Ist Martin Gerber nicht mehr dazu in der   Lage, Spiele im Alleingang zu gewinnen wie   in seinen besten Zeiten?
Die Geschichte, die unsere WM-Silberhelden  Sean Simpson und Martin Gerber in Kloten   schreiben, hätte auch Ernest Hemingway   inspiriert. Seine Geschichte über den alten   Mann und das Meer liefert uns allerdings   keinen Hinweis auf die Zukunft Martin   Gerbers, Sean Simpsons und der Flyers.   Santiago, der alte Fischer, schläft nach der   Rückkehr in den Hafen erst einmal tief durch   und träumt von einem Löwen in Afrika. Die   Vorlage für die Romanfigur Santiago ist der   kubanische Fischer Gregorio Fuentes. Er   wurde 104 Jahre alt. Das ist schon mal kein   schlechtes Omen für den alten Goalie,   seinen Coach und die Kloten Flyers.
