Wenn das kein Spiel war, um sich so richtig zu ärgern. Um hinterher frustriert, verärgert, grantig, übellaunig, säuerlich, brummig, aufgebracht, erbost, gallig, verstimmt, griesgrämig oder ungeniessbar, ja zornig zu sein.
Gottéron ist Schlusslicht. Gottéron hat schon den Trainer gefeuert. Gottéron braucht dringend Siege und Punkte. Und nun dominiert Gottéron die Langnauer mit 38:19 Torschüssen. Im letzten Drittel gar mit 13:3 Abschlussversuchen. Aber am Ende steht eine 0:1 Niederlage.
Die Langnauer zelebrieren halt wieder richtiges Heinz-Ehlers-Hockey. Torhüter Ivars Punnenovs ist in Hochform und am Ende zaubert das Duo Harri Pesonen (Tor) und Chris DiDomenico (Vorbereitung) den Siegestreffer aus dem Hut.
Wahrlich ein bitterer Einstand für Sean Simpson als Berater von Cheftrainer Christian Dubé und dessen Assistenten Pavel Rosa.
Natürlich wollen die Chronistinnen und Chronisten nach dieser dramatischen Niederlage mit Sean Simpson reden. Seine Rückkehr ist nun mal ein grosser Moment.
Seit der ehemalige Nationaltrainer im Frühjahr 2016 in Kloten nach Saisonschluss trotz laufendem Vertrag gehen musste, hat er nicht mehr in der Schweiz gearbeitet. Seit der Entlassung in Mannheim am 4. Dezember 2017 war er überhaupt nicht mehr im Hockey aktiv.
Die Guten, die Pflichtbewussten wollen mit Sean Simpson reden, weil es sich eben gehört und er als Mann der Stunde DAS Thema ist.
Die «Böswilligen», eher dem Boulevard zugeneigten, hoffen nach einer so bitteren Niederlage heimlich auf gute Unterhaltung. Auf den wahren, den grantigen Sean Simpson. Auf Aussagen, aus denen sich eine gute Schlagzeile drechseln lassen.
Aber ein neuer Sean Simpson enttäuscht die «Böswilligen». Er strahlt. Er lächelt. Er ist freundlich. Er lässt sich nach dem Spiel ausführlich vom Reporter des Lokalradios befragen. Er gibt geduldig und ausführlich in deutscher Sprache Auskunft.
So kommunikativ und positiv in der Niederlage, als sei er der neue Ralph Krueger. Oder wenigstens fast. Der ehemalige Nationaltrainer Ralph Krueger (heute bei Buffalo in der NHL), ein Jahr älter als Sean Simpson, war der beste Kommunikator und Positivdenker unserer neueren Hockeygeschichte.
Sean Simpsons Analyse zum missglückten Spiel gegen Langnau lässt sich so zusammenfassen: «Wenn wir weiterhin so spielen, werden wir gewinnen.»
Wo er recht hat, da hat er recht. Wenn diese Partie zehnmal wiederholt werden könnte, würde Gottéron wohl neunmal gewinnen. So klar war die Überlegenheit in der Schlussphase.
Natürlich wird der neue Mann bei Gottéron nun gefragt, wie es komme, dass er nach einem so enttäuschenden Debut so freundlich sei.
Er sagt, er sei erst einmal froh, dass er wieder zurück im Eishockey sei. «Die ersten acht Monate nach dem Ende meiner Tätigkeit in Mannheim habe ich genossen. Ich konnte mich 26 Jahre lang nie richtig erholen. Als Headcoach kommt man ja auch im Sommer nie richtig vom Hockey los. Nun konnte ich endlich Abstand gewinnen.»
Nach dieser Erholungsphase habe er das Hockey intensiv am Fernsehen verfolgt. «Und nun bin ich sehr froh, wieder im Hockey zu sein. Und meine Frau ist es wohl auch…»
Aber kann er als ausgesprochenes «Alpha-Tier» einfach bloss Berater, sozusagen nur ein «Beta-Tier» sein? «Ja, das ist jetzt genau das richtige für mich.»
Immer mehr wird klar, dass wir einen «neuen» Sean Simpson vor uns haben. Er sagt, er sei ein sehr emotionaler Typ. «Das ist sicher auch eine meiner Stärken.» Aber er sei hin und wieder am falschen Ort emotional gewesen.
Um zu erklären, was er damit meint, kurz ein Abstecher in die Vergangenheit. Unvergessen ist etwa sein Auftritt kurz nach der Amtsübernahme in Kloten am 11. Januar 2015.
Kloten hatte die meisterlichen ZSC Lions sicher im Griff, führte noch im Schlussdrittel 2:0 und verlor doch 2:4. Kloten in der Krise.
Die Frustration führt zu einem Spektakel mit Kultcharakter. Ein überaus grantiger Sean Simpson legt, von einem Chronisten listig provoziert, nach dem Spiel los: «Eigentlich wollte ich nichts sagen, weil es das alte Regime betrifft. Aber jetzt muss ich es sagen: Es ist eine Frage der Kondition. Zu viele Spieler sind in schlechter physischer Verfassung». Und verspricht gleich, was er im Sommer 2015 anordnen wird: «Es gibt ein fucking hartes Sommertraining für diese fucking Guys.» Felix Hollenstein, sein Vorgänger im Traineramt, war zutiefst beleidigt.
Kehren wir zur Gegenwart in den Kabinengang nach dem Spiel gegen Langnau zurück. Sean Simpson sagt, er sei in sich gegangen und solche Auftritte – wie der eben zitierte in Kloten – wolle er nicht mehr.
Ist also Sean Simpson nun ein Diplomat? Auf die Frage muss er lachen. Vielleicht sei er eben auch ein wenig altersmilde geworden.
Aber es ist wohl etwas anderes: Sean Simpson ist ehrlich, authentisch, direkt. Alle grossen Coaches sind emotional. Sean Simpson gehört als WM-Finalist, Sieger der Champions Hockey League, des Victoria Cups, des Spengler Cups und der Schweizer Meisterschaft zu den grossen Coaches.
Aber im Unterschied zu den meisten Anderen ist es ihm stets schwergefallen, nach einem unguten Spiel eine gute Miene zu machen. Zu ehrlich? Ja, das war (ist) er wohl.
Und nun hat offenbar auch er gelernt, gute Miene zum unguten Spiel zu machen. Gut gelaunt zu sein fällt ihm nun nach seinem Debut bei Gottéron sicherlich auch leichter, weil er – anders als in den Zeiten als er Cheftrainer war – nicht mehr alle Verantwortung auf sich nehmen muss.
Er wird gefragt, wie man nun die Schuldaufteilung nach dem 0:1 gegen Langnau vornehmen müsse? Je ein Drittel Christian Dubé, Sean Simpson und Pavel Rosa? Oder, da ja Christian Dubé Cheftrainer sei, 80 Prozent Dubé und je 10 Prozent Simpson und Rosa? Er fällt auf die Provokation nicht herein und sagt: «Zu 100 Prozent Dubé, Simpson und Rosa».
Nach einer Partie könne er natürlich noch nicht sagen, wo es bei Gottéron fehle. «Ich schaue mich erst einmal um und höre zu und lerne die Organisation, die Mannschaft und das System kennen.» Während des Spiels habe er wenig Einfluss genommen. Christian Dubé habe das Coaching gemacht.
Er lobt seinen neuen Chef und sagt, Christin Dubé habe die Mannschaft sehr gut trainiert und vorbereitet. Die Stimmung in der Kabine sei sehr gut. Das ist doch tröstlich: Gottéron lebt also noch.
Wie es weiter geht, lässt Sean Simpson offen. «Mein Vertrag läuft nur bis Ende Saison. Ich wollte keine Option für eine weitere Verpflichtung.»
Kann der neue, freundliche Sean Simpson Gottéron helfen? Oder braucht Gottéron den alten, den wahren, den grantigen Sean Simpson?
Das ist eine der spannenden Fragen dieser Saison.
P.S. Vielleicht gibt es für die Gottéron-Krise noch eine andere, nicht hockeytechnische Erklärung. Sie hat mit der Kultur dieses Klubs zu tun.
Die Spieler laufen durch das Maul eines Drachen aufs Eis. Dieses Untier ist zu gross, um während der Umbauphase durch den Eingang zu kommen. Es wird erst beim fertigen Hockey-Tempel wieder zum Zuge kommen.
Deshalb ist für die Zwischenzeit ein aufblasbarer Drache konstruiert worden. Er wird erst im Stadion drin aufgepumpt und wenn die Spieler durch sein Maul gelaufen sind, wird ihm die Luft wieder rausgelassen, er fällt in sich zusammen und lässt sich widerstandslos aus der Arena schleifen.
Welch ein Frevel! Die Krise ist mit ziemlicher Sicherheit die Rache des echten Drachen, der nicht ins Stadion darf. Vielleicht kann ihn ja der freundliche, neue Sean Simpson beruhigen.
Item, Schweizermeister :-)