Vom grossen Universalgelehrten Buonarroti Michelangelo stammt die Weisheit: «Diejenigen, die gehen, fühlen nicht den Schmerz des Abschieds. Der Zurückgebliebene leidet».
Diese Worten gelten für den Abschied von Nationaltrainer Sean Simpson für unser Hockey. Der Kanadier wird jetzt in Russland (als Trainer von Jaroslawl) in den nächsten zwei Jahren Salär-Millionär. Er kann den Abschied verschmerzen. Aber wir werden leiden.
Doch kehren wir zurück zum Alltag. Zur Gegenwart. Zum letzten Spiel unseres Nationalteams unter der Führung von Sean Simpson. Die Schweiz gewinnt die letzte WM-Partie gegen Lettland 3:2 und beendet die WM auf dem 10. Schlussrang. Aber das Resultat war für uns ja ohnehin nicht mehr so wichtig. Es geht an diesem späten Dienstagnachmittag um etwas anderes. Den Abschied von Sean Simpson.
Der Kanadier hatte am 8. Mai 2010 seinen ersten WM-Auftritt als Nationalcoach und führte die Schweiz zu einem 3:1 gegen Lettland. Nun verabschiedet er sich mit einem 3:2 gegen den gleichen Gegner. Noch vier Spieler von 2010 sind dabei: Mathias Seger, Damien Brunner, Roman Josi und Andres Ambühl. Der fünfte, Kevin Romy, fehlt in dieser letzten Partie wegen einer Gehirnerschütterung.
Sean Simpson hat während seiner Amtszeit mehr junge Spieler in die Nationalmannschaft eingebaut und an das höchste internationale Niveau herangeführt als jeder seiner Vorgänger. Mit einer taktischen Perestroika hat er eine weitgehend defensive und spielerisch limitierte Mannschaft in ein Spektakelteam verwandelt, das zu höchsten Höhen aufzusteigen vermag (WM-Silber 2013). Aber eben stets auch den Keim des Versagens in sich trägt (viermal die Viertelfinals verpasst). «Ein WM-Final ist mir lieber als sechs Viertelfinals» sagt Sean Simpson dazu. Dagegen ist nichts einzuwenden.
Der grosse Moment, auf den alle warteten, ist der allerletzte offizielle Auftritt des Nationaltrainers. Sean Simpsons Vorgänger Ralph Krueger hatte seinen vorzeitigen Abschied vor vier Jahren am Tag nach dem letzten Spiel beim Olympischen Turnier in Vancouver im Schweizer Haus als grosses, dramatisches Schauspiel inszeniert. Sein Auftritt ging den Chronisten so sehr zu Herzen, dass sich einer der langgedienten Reporter spontan erhob und eine Dankesrede hielt.
Ralph Krueger hatte mit seinem Rücktritt die Hockeywelt überrascht. Denn eigentlich hätte er gemäss Vertrag mit der Schweiz auch noch die WM 2010 bestreiten sollen. Aber er stieg vorzeitig aus und Sean Simpson musste früher als geplant einspringen.
Sean Simpson ist kein Mann solcher Selbstinszenierungen und Schauspiele. Dafür ist er zu ehrlich. Der Abschied wird ein starker, ein grosser Auftritt des Kanadiers. Aufgelockert durch einen folkloristischen Auftritt von Verbands-Vizeboss Pius-David Kuonen.
Sean Simpson war ja nach seiner letzten Partie in der Schweiz im Hallenstadion gegen Kanada am Tag vor dem Abflug nach Minsk nicht verabschiedet worden. Nun taucht Kuonen bei dieser Medienkonferenz auf wie ein ungebetener Gast. Begibt sich vorne aufs Podium und weil alle überrascht sind, hindert ihn niemand daran. Er bedankt sich bei Sean Simpson und schüttelt ihm immer und immer wieder die Hand.
Ganz offensichtlich ist dieser Auftritt ein Spontanentschied. Denn Pius-David Kuonen kommt mit leeren Händen. Es gibt keine Blumen. Kein Geschenk. Nichts als einen warmen Händedruck. So unwürdig ist noch selten ein Sportheld verabschiedet worden. Deshalb ist dieser letzte Auftritt unseres Nationaltrainers einerseits stark und andererseits eine Komödie.
Erst nach diesem kuriosen Kuonen-Schauspiel kommt Sean Simpson zu Wort. Gehört die Bühne ihm. Er kämpft am Anfang seiner Erklärung mit den Tränen. Er blickt zuerst zurück auf ein Turnier, bei dem so wenig für die Viertelfinals (1 Punkt) gefehlt hat. Die Reaktion der Spieler auf den verpatzten Start (drei Niederlagen) sei beeindruckend gewesen. Die Schweizer gewannen drei der letzten vier Partien und verloren nur gegen Finnland im Penaltyschiessen.
Der Unterschied zur Silber-WM von 2013 sei die Zusammensetzung des Teams gewesen. Und zwar nicht im Sinne der Qualität. Vielmehr sei es nicht gelungen, die gleiche Mischung aus offensiven und defensiven Spielern zu finden. Alles in allem sei dieses WM-Team etwas zu unerfahren und zu offensiv orientiert gewesen. «Wir kassierten 2013 in den ersten 7 Spielen zehn Tore. Jetzt waren es in 7 Spielen 21.»
Dann folgt die Bilanz seiner Amtszeit (4 Jahre, 2 Monate). Sean Simpson sagt, er verdanke dem Schweizer Eishockey alles. «Ich bin in Kanada aufgewachsen. Aber ich bin als Trainer in der Schweiz ausgebildet worden.»
Er dankt dem Verband für die Chance, die man ihm als Nationaltrainer gegeben habe. Er spricht von gemischten Gefühlen. Abschied und Vorfreude auf die neue Herausforderung in Russland. Er wird Trainer bei Jaroslawl in der KHL, behält aber seine Eigentumswohnung in Zug. Er bricht die Brücken nicht ab. Eine Rückkehr in die Schweiz bleibt eine Option.
Seinem Nachfolger Glen Hanlon gibt er vier Tipps mit auf den Weg. Erstens: Immer für die bestmögliche Nationalmannschaft kämpfen. Zweitens so viele junge Spieler wie möglich ins Nationalteam einbauen. Drittens gute Beziehung zu den Klubs pflegen und viertens den gleichen offensiven Stil weiterzuführen.
Verbandsdirektor Ueli Schwarz hat immer betont, ein Nationaltrainer müsse unsere Sprachen, unsere Mentalität, unsere Spieler und unser Hockey kennen. Nun kommt mit Glen Hanlon einer, der unsere Landessprachen nicht beherrscht, unsere Mentalität, unsere Spieler und unser Hockey nicht kennt. Deshalb könnte es halt schon sein, dass wir Sean Simpson nachtrauern werden. Scheitert Glen Hanlon, dann wird Ueli Schwarz die Verantwortung übernehmen und sein Büro räumen müssen.
Am Schluss fasst Sean seine 20-jährige Trainer-Karriere in der Schweiz in einem Satz zusammen. «Vom Juniorentrainer in Lyss in den WM-Final. Ist doch nicht so schlecht, oder?» Dem ist nichts beizufügen.