Suppen sind eine einzige Enttäuschung
Erst war die Suppe. Und dann musste natürlich sofort der «Strubelpeter» (oder «Struwwelpeter», wie er in der Originalgeschichte von Heinrich Hoffmann heisst) her, dieses pädagogisch wertvolle Buch aus dem Jahre 1845, weil wo wär sonst die Suppe hingekommen?
Ganz sicher nicht in die Kindermägen.
Der Kaspar, der war kerngesund,
Ein dicker Bub und kugelrund,
Er hatte Backen rot und frisch;
Die Suppe ass er hübsch bei Tisch.
Doch einmal fing er an zu schrei’n:
«Ich esse keine Suppe! Nein!
Ich esse meine Suppe nicht!!
Nein, meine Suppe ess’ ich nicht!»
Am nächsten Tag, — ja sieh nur her!
Da war er schon viel magerer.
Da fing er wieder an zu schrei’n:
«Ich esse keine Suppe! Nein!
Ich esse meine Suppe nicht!
Nein, meine Suppe ess’ ich nicht!»
Am dritten Tag, o weh und ach!
Wie ist der Kaspar dünn und schwach!
Doch als die Suppe kam herein,
Gleich fing er wieder an zu schrei’n:
«Ich esse keine Suppe! Nein!
Ich esse meine Suppe nicht!
Nein, meine Suppe ess’ ich nicht!»
Am vierten Tage endlich gar
Der Kaspar wie ein Fädchen war.
Er wog vielleicht ein halbes Lot –
Und war am fünften Tage tot.
Bild: wikimedia
Man beachte insbesondere, dass man ihm den Suppentopf noch aufs Grab gestellt hat. Falls er es sich nochmal anders überlegt. Was er ganz sicher nicht tut, Freunde.
Schliesslich ist er für uns gestorben, was ihn vom Suppenkaspar zum Suppenjesus erhebt! Und falls er aufersteht, wird er das tun, weil er es kann und ganz sicher nicht wegen der Suppe. Das wär ja noch schöner.
Jedenfalls danke Suppenkaspar, für deine rigorose Rebellion.
Man muss kein Kind sein, um Suppen zu verabscheuen. Diese wertvolle Verachtung kann man bis weit ins Erwachsenenalter hinein pflegen. Allerdings nicht zu weit, sobald man nämlich keine Zähne mehr hat zum Beissen und Kauen, können Suppen plötzlich wieder interessant werden.
Gottseidank befinde ich mich aktuell in einem Alter und einem Zustand, in dem ich Suppen ganz gemäss meiner inneren Überzeugung fadengerade heraus ablehnen kann.
Bild: michi
Aus dem einfachen Grund, dass man dieses Essen trinken muss. Was es als Essen schon mal disqualifiziert, das sich gemeinhin in fester Form präsentiert.
Suppe, du bist im falschen Aggregatzustand.
Ich weiss, die Zeiten sind fluid, aber gasförmig ist nun auch eher schwierig; ernähr dich mal von Aroma-Luft. Gewisse Grenzen soll man verschieben oder gar ganz verwischen, andere nicht. Dazu gehört die Grenze zwischen Suppen und Eintöpfen. Was man gefahrlos und ohne jegliche Mitwirkung von Zähnen in sich hineinschlürfen kann, gehört zu Ersterem. Es ist eine Brühe, eine Plörre, eine Plempe, nennt es, wie ihr wollt, aber man sieht bereits an der Wort-Auswahl, dass es sich um nichts besonders Bereicherndes handeln kann.
Die Suppe ist, wie bereits festgestellt, trinkbar. Man trinkt sie aber nicht, sondern löffelt sie aus einem Teller. Und dann muss man auch noch blösele, weil man sich sonst die ganze Fresse verbrüht, aber wenn man zu hastig bläst, fegt es die Plempe schon wieder vom Löffel und man kann von vorn beginnen.
Was ist denn das bitte für ein grandioser Mist.
Endlos kommen Flugzeuge angeflogen mit der immer gleich unbefriedigenden Ladung, du sperrst eine Milliarde Mal dein Müli für etwas auf, das sich schon beim ersten Mal nicht gelohnt hat. Die Enttäuschung wird mit jedem Schlürf, mit jedem Biss ins Leere grösser, der Arm erschlafft, deine Lebenslust schwindet, und schliesslich stellst du dir die Frage, ob eine Existenz, die auf diese Weise aufrechterhalten werden muss, möglicherweise über-flüssig ist.
Sprich, Suppenkaspar hatte völlig recht.
Selbst Sprichwörter, die einen daran gemahnen, dass man seinen selbst verursachten Blödsinn in mühseliger Kleinstarbeit auch wieder selbst ausbaden muss, bedienen sich exakt dieses Bildes: Man hockt da und muss die Suppe auslöffeln. Es geht um Schuld, um Verantwortung, um Mühsal. Das ist das Bermudadreieck, in das dich diese Flüssigkeit zieht.
Keine Ahnung, wie es euch geht, aber ich will da lieber nicht rein.
Jetzt könnte man ja sagen, sauf' sie doch einfach, kipp' sie in einen Becher und gut ist. Und fürs Auslöffeln erfinden wir ein neues Sprichwort. Das tut man aber nicht.
Und warum tut man das nicht?
Um den Schein zu wahren. Damit das Süppchen weiterhin so tun kann, als sei es etwas zu essen. Ein Schauspiel, ein Fake wie des Kaisers neue Kleider. Der Typ ist nackt, Leute. Er hat keine fancy Kleider an.
Ihr esst nicht, ihr trinkt Flüssigkeit mit einem Löffel.
Immerhin kann man an der Sache mit dem Auslöffeln wachsen, innerlich jetzt, weil der Nahrungsgehalt besonders von klaren, dünnen Süppli, nun ja. Man wächst also an der Bereinigung der eigenen Fehler, nicht an der Suppe selbst.
Um diese dann aber doch nahrhaft zu gestalten, schmeissen die Leute Nudeln und andere feste Sachen rein, und dann hast du plötzlich zwei Dinge gleichzeitig, Festes und Flüssiges, musst kauen und hierzulande lautlos schlürfen, und während du die Nudel zerbeisst, läuft dir der Rest schon wieder links und rechts aus den Mundwinkeln raus, das ist einfach nicht optimal.
Die einzige Suppe, die Spass bringt, ist am Ende die Buchstabensuppe. Wobei man hier die Suppe auch einfach weglassen kann – für noch mehr Spass.
Und nun gehe hin in Frieden, und koch dein eigenes Süppchen.
