Ausgerechnet Chris DiDomenico (35), ein leidenschaftlicher Leitwolf, dessen Spiel von Talent und noch viel mehr von Emotionen lebt, verlässt Gottéron, den Klub, der wie nur wenige andere von Emotionen lebt. Weil er sich nicht mehr wohlfühlt. Das ist ungefähr so, wie wenn ein Börsenspezialist das US-Bankhaus Stanley Morgan mit der Begründung verlässt, Geld spiele bei der Firma ja gar keine Rolle, hier sei er fehl am Platz.
Die Vertragsauflösung mit DiDo ist bei Lichte besehen Gottérons Bankrott-Erklärung. Die Lustlosigkeit des flamboyanten Kanadiers, der nur noch halb so produktiv war wie in seinen besten Zeiten (16 Spiele/9 Punkte), deutet auf zerrüttete Verhältnisse in der Kabine und ein baldiges Ende der Amtszeit von Trainer Patrick Emond.
Nun wird Ambri Chris DiDomenicos neuer Arbeitgeber. Im Frühjahr 2018 hatte Paolo Duca zum ersten Mal versucht, den Kanadier zu verpflichten. Aber der kehrte nach dem gescheiterten NHL-Abenteuer in Ottawa nach Langnau zurück. Als es im Dezember 2019 in Langnau zum Eklat kommt, ist Paolo Duca wieder dran – aber sein Wunschspieler wechselt zu Gottéron. Und zwei Jahre später, beim Transfer von Gottéron zum SCB, kommt er wieder zu spät.
Nun wechselt Ambris Schwede Jakob Lilja (31) zu Gottéron und im Gegenzug kommt Chris DiDomenico nach Ambri. Beide bekommen bei ihren neuen Arbeitgebern neue Verträge. Paolo Duca sagt: «Es ist eine Chance für zwei Spieler, die nicht mehr glücklich waren.» Jakob Lilja und Jonathan Ang (er verlässt Ambri Richtung Schweden/HV 71) seien in einem gewissen Sinne das Opfer von Dominik Kubalik geworden. «Wir haben die Saison mit sieben ausländischen Spielern geplant. Dann hat sich die Möglichkeit ergeben, Dominik Kubalik zu verpflichten. Da konnten wir nicht Nein sagen. Aber nun hatten wir acht Ausländer. Jakob Lilja und Jonathan Ang sind mit dieser Situation nie richtig klargekommen. Beide haben sich sehr professionell verhalten, aber die Ungewissheit, ob sie spielen oder eben nicht spielen können, hat sie verunsichert.»
Jakob Lilja und Jonathan Ang sind gegangen, Chris DiDomenico kommt. Nun hat Ambri – wie es ursprünglich eigentlich vorgesehen war – sieben Ausländer. Spielt Janne Juvonen im Tor, muss halt einer auf die Tribüne. Auch wenn es niemand so sagt: Dominik Kubalik und Chris DiDomenico sind gesetzt. Der eiskalte Vollstrecker Dominik Kubalik und der smarte Spiel- und «Emotionenmacher» Chris DiDomenico sind vom Temperament her wie Feuer und Eis und können ein Traumduo bilden und die Liga rocken.
Nur Ambris Hockeykultur ist noch emotionaler als die von Gottéron. Ist also Chris DiDomenico im hohen Hockeyalter von 35 Jahren endlich am Ort seiner Bestimmung angelangt? Paolo Duca hofft, dass es so ist, und er geht davon aus, dass der Kanadier den inneren Frieden in der Kabine nicht stören wird. «Er ist ein leidenschaftlicher Kämpfer und passt zu uns.» Tatsächlich personifiziert Chris DiDomenico mit seinem bedingungslosen Engagement Ambris Werte. Er kann noch mehr Emotionen in der Kabine, auf dem Eis und auf den Rängen entfachen. Mit dem Risiko, dass er es übertreibt. Dass er zu viel will. Aber immer noch besser ein Stürmer, der zu viel will, als einer, der zu wenig kann. Und an Motivation wird es ihm nicht fehlen: Er wird im Februar 36 und bekommt die Chance, mit entsprechenden Leistungen seine NL-Karriere um eine weitere Saison zu verlängern.
Die bange Frage ist: Hat Chris DiDomenico noch immer genug Energie für sein generöses, wildes Spiel? Paolo Duca sagt, das sei kein Problem. «Er ist fit.»
Gottéron lässt seinen leidenschaftlichsten Spieler ausgerechnet zu Ambri ziehen und macht Ambri den Gefallen, sich von Jakob Lilja (32) zu erlösen: Der schwedische Stürmer ohne jedes Temperament war schon letzte Saison in der Leventina nur guter Durchschnitt (total 53 Spiele/30 Punkte) und diese Saison praktisch eine Nullnummer: 11 Spiele, ein Assist und eine desaströse Minus-7-Bilanz. Er wird Gottéron keinen nennenswerten spielerischen Mehrwert bringen und in dieser Traumfabrik keine Emotionen entfachen.
Paolo Duca ist im Laufe der Jahre aus reicher Erfahrung demütig geworden und sagt: «Wir wissen nie, was sein wird …» Aber die Chancen stehen sehr gut, dass Ambri ein gutes und Gottéron ein miserables Geschäft gemacht hat.
Aber noch immer hat es Blätter in den Bäumen und Ambri hat bereits neun von zehn möglichen Ausländerlizenzen verbraucht. Viel Spielraum bleibt nicht mehr. Paolo Duca wird seine allerletzte Ausländerlizenz wohl in einem Tresor verwahren und nur im allerallerallerhöchsten Notfall noch im alten Jahr einlösen.
Bei Gottéron ist nun die zweite Stufe der Trainerentlassung gezündet worden. Die erste war die Vertrauenserklärung für Patrick Emond. Die zweite ist in der Regel die Vertragsauflösung ohne Not mit einem Ausländer zwecks Benennung eines Sündenbockes. Die nächste Vertragsauflösung wird die von Patrick Emond sein.
Das Schlusswort in der Sache überlassen wir Paolo Duca. «Wir sind bei der Verpflichtung von Dominik Kubalik ein Risiko eingegangen. Er kann noch bis zum 15. Dezember in die NHL wechseln. Auch das Engagement von Chris DiDomenico ist nicht ohne Risiko. Aber Sie sagen ja auch immer so schön, Drama gehöre zu Ambri …» Oder in einem Satz: No risk, no Drama.
PS: Am Dienstag schon gegen Zug? Paolo Duca sagt, wenn er am Dienstag alle bürokratischen Angelegenheiten regeln könne (Lizenz, Arbeitsbewilligung), werde Chris DiDomenico bereits gegen Zug die erste Partie für Ambri bestreiten.