Der Chronist kann für einmal nicht mit einer profunden Analyse aufwarten. Denn so ziemlich zu allen Erkenntnissen und allem Lob aus diesem Spiel gehört der Nachsatz: «…aber es war halt nur gegen die Österreicher.» Selbst Leonardo Genonis historische Leistung – er ist der erste Schweizer Torhüter, der in einem WM-Viertelfinal keinen Treffer zugelassen hat – ist unter diesen speziellen Voraussetzungen lediglich eine Randnotiz bleibt. Ungefähr wie ein «zu null» mit Zug auf eigenem Eis gegen ein ersatzgeschwächtes Ajoie im Januar.
Also geht es mehr um eine hin und wieder etwas spöttische und blumige Erzählung über die Darbietung, die mehr ein bunter Hockeyabend als ein WM-Viertelfinal war. Dazu passt: Wegen einer Panne fiel 40 Minuten lang ungefähr ein Drittel der Lichtstärke aus. Aber es war immer noch hell genug, um den Österreichern heimzuleuchten.
Und auch das passt: Nur 2621 Fans waren gekommen und nützten den Platz in der nicht einmal zu einem Viertel gefüllten Arena lange vor Spielschluss zu einer Polonaise. Also zu diesem Tanz, bei denen sich eine wandernde Menschenschlange bildet, indem eine Person vorausgeht und dann jede weitere sich an den Schultern der vor ihr gehenden festhält.
Ach, es hätte einer dieser Abende werden können, an denen der härteste Puck ein weiches Herz hat: Österreich, gut wie nie und dirigiert von einem Bandengeneral aus Winterthur, fordert die übermächtige Schweiz heraus. Ach, es hätte ein Drama oder doch wenigstens eine Hockey-Oper werden können. Aber es war nur eine Opera Buffa. Eine komische Oper.
Die Schweizer traten so auf, wie es sich für einen Titanen des Welthockeys gehört: Konzentriert, nüchtern, pragmatisch, präzis, geradlinig und unsentimental. Ohne Sinn für Romantik. Jeder Spielzug ein Gedicht, jeder Check ein Manifest, jeder Schuss eine Ode an Wilhelm Tell.
Das Bewusstsein, wie schmählich ein Versagen gegen diesen Gegner gewertet würde, dass es die blamabelste Pleite der gesamten, immerhin schon neun Jahre andauernden Amtszeit von Patrick Fischer wäre, führte dazu, dass die Schweizer noch keine Partie hier in Herning so entschlossen und grimmig begonnen hatten. Und so war es vorbei, bevor es richtig angefangen hatte.
Schon nach 25 Minuten hatten sie fünf Tore erzielt. Nie zuvor hatten sie in einem Viertelfinal mehr als vier Treffer erzielt. Sie zogen zeitweise unbehelligt ihre Kreise – und trafen. Wieder und wieder. Der Puck fand seinen Weg ins Netz, als hätte er eine Generalabsolution zum Durchmarsch erhalten.
In der zweiten Hälfte mahnte das Spiel dann phasenweise an eine gepflegte Partie «Kaffeehaus-Hockey»: Nicht mehr viel Speed und wenn doch einmal einer durchstartete, dann mit der stoischen Gelassenheit eines Oberkellners, der gerade die dritte Melange an den Tisch bringt.
Warum waren die Österreicher chancenlos? Immerhin waren sie in den Gruppenspielen tapfere Sieger gegen die Slowakei und strahlende Helden gegen Lettland.
Nun sind sie ein Opfer zu grosser Erwartungen geworden. Noch nie in der Neuzeit waren sie bei einer WM auf höchstem Niveau so im Rampenlicht gestanden wie vor diesem Viertelfinal gegen die Schweiz. Der rauschhafte Sieg gegen Lettland (6:1) im letzten Gruppenspiel hatte die Segel ihrer Zuversicht gebläht. Selbstvertrauen ist wie ein Baum, der eine starke Krone und viel Früchte trägt – aber bei zu hohem Wuchs im Gegenwind umso schneller stürzt. Der Baum der Zuversicht, des Optimismus und des Selbstvertrauens war bei den Österreichern zu hoch gewachsen.
Noch haben Roger Baders Männer nicht gelernt, mit hohen Erwartungen umzugehen. Sie haben das Eis letztlich nicht als gewöhnliche Verlierer verlassen. Sondern wie die letzten tapferen Ritter einer untergehenden Ära, in der Hockey-Romantiker noch glaubten, dass David an einer WM manchmal wirklich gegen Goliath gewinnt. Ihren Fans bleibt als Trost die unauslöschliche Wiener Überzeugung: «Verlorn hobn’s nur, weil’s ned g’wonnen hobn.» Und mit einem Seufzer werden sie wie der grosse Wiener Kabarettist Helmut Qualtinger sagen: «A echter Österreicher und Roger Bader gehen net unter. Er rutscht bloss aus – aber elegant.»
P.S. Zum ersten Mal in der Geschichte haben die Schweizer nach einem Final mindestens den Halbfinal erreicht. Nach der Silber WM von 2013 reichte es 2014 nicht einmal für den Viertelfinal und nach der Silber-WM von 2018 folgte ein Jahr später das «Aus» im Viertelfinal gegen Kanada.
Die Schweiz hat die Aufgabe souverän gemeistert. Gut gemacht!