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Hopp Shvic! Wer jetzt wieder über die Nati-Secondos nörgelt, der hat eins an den Latz verdient

Auch dank den Secondos gehört die Schweizer Nationalmannschaft zur Weltspitze.
Auch dank den Secondos gehört die Schweizer Nationalmannschaft zur Weltspitze.bild: keystone

Hopp Shvic! Wer jetzt wieder über die Nati-Secondos nörgelt, der hat eins an den Latz verdient

Kaum zu fassen! Eine Verkettung von Ereignissen hat die Ausländer-Diskussion rund um die Nati neu entfacht. Dabei gibt es viele gute Gründe, weshalb die Frage nach zu viel Multikulti im Team von Vladimir Petkovic blanker Unsinn ist.
27.03.2015, 10:4127.03.2015, 17:53
Alex Dutler
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Melanie Gath
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Was haben Fusspilz, lärmige Laubbläser und Nati-Rassismus gemeinsam? Sie alle sind so unnötig wie eine Sandburg in der Sahara – und trotzdem einfach nicht auszumerzen. Über die ersten beiden Themen hüllen wir heute gnädig den Mantel des Schweigens. Das letzte muss aus aktuellem Anlass wieder einmal ernsthaft besprochen werden.

«Stimmt es, dass die Nati zu Multikulti ist?»
Journalistenfrage an Vladimir Petkovic

An der Pressekonferenz vor dem Länderspiel gegen Estland möchten Trainer Vladimir Petkovic und Verteidiger Fabian Schär die sportliche Lage der Mannschaft besprechen. Lange kommen sie gar nicht dazu. Stattdessen werden sie in diversen Variationen mit einer Frage belagert, die fast schon eine Unverschämtheit ist: «Stimmt es, dass die Nati zu Multikulti ist?».

Vladimir Petkovic muss sich zum angeblichen «Multikulti-Problem» der Nati äussern.
Vladimir Petkovic muss sich zum angeblichen «Multikulti-Problem» der Nati äussern.Bild: EPA/KEYSTONE

Tranquillo Barnetta ist der Ausgangspunkt

Hä, wie bitte? Was ist los? Hier eine Zusammenfassung der Ereignisse, die dazu geführt haben, dass eine solche Vorsintflut-Frage im Jahr 2015 plötzlich wieder zum ernsthaften Thema wird:

Tranquillo Barnetta ist 75-facher Nationalspieler und hat seit seinem Debüt im Jahr 2004 zehn Tore für die Schweiz geschossen. Das sind beeindruckende Werte. Bis vor einigen Jahren schien der St.Galler auch alle Anlagen zu haben, um ein ganz grosser Linksaussen zu werden. Mittlerweile ist er 29 Lenze alt und die Euphorie hat sich verflüchtigt. Bei Bayer Leverkusen ist er 2012 nach einer Verletzung aufs Abstellgleis geraten. Auch sein Wechsel zu Schalke war nicht auf Anhieb von Erfolg gekrönt – Barnetta wurde leihweise nach Frankfurt abgeschoben.

Dennoch war er all die Jahre immer ein fixer Bestandteil der Nati. Wirklich verstanden haben das wohl manchmal insgeheim nur Leute, die ihre Bratwurst gerne ohne Senf essen – aber nie hat sich jemand mit Einfluss vehement darüber aufgeregt.

Tranquillo Barnetta war seit 2004 ein Teil der Nati.
Tranquillo Barnetta war seit 2004 ein Teil der Nati.Bild: KEYSTONE

Der Ärger über Petkovic

Weil Vladimir Petkovic nun Spieler mit mehr Zukunftsperspektiven sucht, hat er Barnetta für die Partie gegen Estland aus der Nati gekegelt. Und das ausgerechnet jetzt, wo dieser unter Landsmann Roberto Di Matteo bei Schalke wieder aufblüht und sich nach einem 4:3 in der Champions League sogar «Real-Madrid-Bezwinger» nennen darf.

«Da bin ich mir aus der Vergangenheit schon einen respektvolleren Umgang mit meiner Person gewohnt»
Tranquillo Barnetta

Im «Blick» macht der verschmähte Routinier seinem Ärger Luft. Vor allem, dass er von seiner Nicht-Nomination aus dem Internet und nicht durch den Trainer persönlich erfahren hat, macht Barnetta zu schaffen: «Da bin ich mir aus der Vergangenheit schon einen respektvolleren Umgang mit meiner Person gewohnt», giftelt er in Richtung Petkovic.

Der Nati-Coach ist ausgebildeter Sozialarbeiter. Zumindest ein persönliches Gespräch mit Barnetta hätte man ihm also fachlich durchaus zumuten können. Auch Pirmin Schwegler hat aus Ärger über ihn soeben das Handtuch geworfen. Die beiden Fälle werfen ein ungünstiges Licht auf Petkovic. 

Ein Gespräch mit Vladimir Petkovic bleibt den aktiven Nationalspielern vorbehalten.
Ein Gespräch mit Vladimir Petkovic bleibt den aktiven Nationalspielern vorbehalten.Bild: AP/KEYSTONE

Lichtsteiner grätscht dazwischen

Das sieht wohl auch Stephan Lichtsteiner so – und bringt aus Solidarität zu den Kollegen gegenüber der «Basler Zeitung» die Multikulti-Keule ins Spiel: «Die kulturelle Offenheit ist ein wichtiges Merkmal der Schweiz und darauf bin ich auch stolz. Aber auch Spieler wie Pirmin Schwegler oder Tranquillo Barnetta, die über Jahre hinweg ihre Leistung gebracht haben, sind wichtig – für das Team und für die Fans.»

«Es ist ein heikles Thema, das weiss ich.»
Stephan Lichtsteiner

Lichtsteiner schwächt ab, es gehe ihm nicht um «richtige» oder «andere» Schweizer. Aber ohne Identifikationsfiguren könne sich «das Volk» irgendwann nicht mehr mit der Nati identifizieren. «Und wirklich viele haben wir nicht mehr. Es ist ein heikles Thema, das weiss ich. Es ist aber auch ein Thema, vor dem wir uns nicht verschliessen dürfen.»

Stephan Lichtsteiner sorgt sich um die Nähe der Nati zum Volk.
Stephan Lichtsteiner sorgt sich um die Nähe der Nati zum Volk.Bild: KEYSTONE

Jetzt hat Petkovic den Secondo-Salat

Obwohl Lichtsteiners Einwurf wohl nur gut gemeint ist, löst er damit einen Riesenwirbel und eben jene unerhörten Fragen an der Presskonferenz aus. «Herr Petkovic, hat die Nati ein Multikulti-Problem?»

Der Nati-Trainer antwortet ausweichend: «Es geht um unsere gemeinsame Liebe für die Schweiz. Zusammen wollen wir alles unternehmen, um den Gegner zu schlagen.»

Nun gut, jede andere Antwort wäre auch ein mittleres Fussball-Erdbeben gewesen. Analysieren wir also die Fakten. Wie ist die Multikulti-Lage der Nati denn nun wirklich, jetzt da Schwegler sicher – und Barnetta eventuell – keine Rolle mehr spielen werden?

Wo die Nati-Spieler ihre Wurzeln haben.
Wo die Nati-Spieler ihre Wurzeln haben.bild: watson

Die 23 Spieler des aktuellen Kaders haben zu 43,4 Prozent Schweizer Wurzeln, der Rest stammt von Einwanderern ab. Den grössten Secondo-Block bilden mit 34,6 Prozent Spieler mit Vorfahren aus dem Kosovo, Mazedonien, Kroatien und Bosnien-Herzegowina. Berücksichtigt ist bei dieser Statistik jeweils eine Generation, also die Eltern.

Ein genauer Blick lohnt sich

Secondos in der Überzahl. Das wird niemanden mehr überraschen, der sich schon mit dem Thema beschäftigt und auch einmal einen Schweizer Amateurfussballplatz aus der Nähe gesehen hat. Von Appenzell bis Yverdon sind Jugendliche und Erwachsene mit ausländischen Wurzeln auf der Jagd nach dem runden Leder stärker vertreten als in der Gesamtbevölkerung. Die Lage in der Nati ist letztlich nur die Auswirkung dieses Prinzips.

Eine interessantere Erkenntnis ergibt sich aber, wenn man die Statistik nach Defensive und Offensive aufteilt.

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bild: watson

Sagenhafte 73 Prozent der Vorfahren unserer Nati-Verteidiger und -Goalies stammen aus der Schweiz. In der Offensive hingegen, sind es mit den Eltern von Fabian Frei und Valentin Stocker lediglich 16,7 Prozent. 

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bild: watson

Weltweite Konkurrenzfähigkeit dank Schweizer Sicherheit und Organisation, gepaart mit zugewanderter Kreativität und einer Prise Secondo-Schlitzohrigkeit im Abschluss – ist das nicht das Idealbild der ganzen Schweizer Gesellschaft im Jahr 2015?

Der Schluss liegt also nahe. Auch wenn es das Stimmvolk an jedem dritten Wahlsonntag anders sieht: Die Schweiz hat kein Ausländerproblem. Auch nicht in der Nationalmannschaft. Und wer jetzt trotzdem wieder über die Nati-Secondos nörgelt, der hat eins an den Latz verdient. Hopp Shvic!

Die Herkunft der Eltern unserer Nati-Stars
Goalies
Roman Bürki Schweiz
Marwin Hitz Schweiz
Yann Sommer Schweiz

Verteidiger
Johan Djourou Elfenbeinküste
Stephan Lichtsteiner Schweiz
Fabian Lustenberger Schweiz
François Moubandje Kamerun
Ricardo Rodriguez Spanien/Chile
Fabian Schär Schweiz
Steve Von Bergen Schweiz
Silvan Widmer Schweiz

Mittelfeld und Sturm
Valon Behrami Kosovo
Josip Drmic Kroatien
Blerim Dzemaili Mazedonien
Gelson Fernandes Kap Verde
Fabian Frei Schweiz​
Gökhan Inler Türkei
Patjim Kasami Mazedonien
Admir Mehmedi Mazedonien
Haris Seferovic Bosnien und Herzegowina
Xherdan Shaqiri Kosovo
Valentin Stocker Schweiz
Granit Xhaka Kosovo

Nati-Zusammenzug vor dem Estland-Spiel (März 2015)

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Nati-Zusammenzug vor dem Estland-Spiel (März 2015)
Blerim Dzemaili am Montagnachmittag beim Zusammenzug der Schweizer Nati in Feusisberg.
quelle: andreas meier/freshfocus / andreas meier/freshfocus
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25 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Lemmyking
27.03.2015 13:24registriert Februar 2015
Für mich unverständlich, dass die Boulevardblätter das Secondo-Thema erneut so aufbauschen. Der Ursprung war ja Tranquillo Barnetta, der sich über die Nichtnomination und dem drum herum enervierte. Damit die Geschichte richtig gewürzt wird, nennen ihn die Boulevardblätter hier den St. Galler und verschweigen, dass er selber Doppelbürger (SUI/ITA) ist und beide Eltern italienischen Ursprungs sind.Dann kommt Schwegler mit dem Nati-Rücktritt. Dann wird bewusst Lichtsteiner zum Thema befragt. Wie immer gibt er einfach seine Meinung kundt,sagt aber nichts Besonderes.Fazit: Viel Aufregung um Nichts.
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roschef
27.03.2015 14:09registriert Februar 2015
Ob Shvic oder Schwiiz ist doch Hans was Heiric, Hauptsache gewinnen! Der Sport steht im Vordergrund und nicht der Name. Aber das versteht der konservative Bünzli-Schweizer sowieso nie.
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's all good, man!
27.03.2015 11:00registriert September 2014
Hä, wo wurde diese Diskussion denn so hitzig geführt? Ah, liegt vielleicht daran, dass ich Blick gar nie und 20min fast nicht mehr lese... ;-)

Nein echt, es ist unglaublich, dass diese Kackdiskussion immer und immer wieder aufgerollt wird. Sicherlich gut gemeint von Lichtsteiner, aber auch er sollte vielleicht mal im 2015 ankommen...

Hopp Shvic!
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«Disgusting bitch!» – Patty Schnyder teilt mal so richtig aus
17. April 2004: Patty Schnyder scheitert bei ihrem Lieblingsturnier in Charleston im Halbfinal. Danach kommt's zum Eklat, als die Baselbieterin ihrer Bezwingerin Conchita Martinez den Handschlag verweigert.

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