Was haben Fusspilz, lärmige Laubbläser und Nati-Rassismus gemeinsam? Sie alle sind so unnötig wie eine Sandburg in der Sahara – und trotzdem einfach nicht auszumerzen. Über die ersten beiden Themen hüllen wir heute gnädig den Mantel des Schweigens. Das letzte muss aus aktuellem Anlass wieder einmal ernsthaft besprochen werden.
An der Pressekonferenz vor dem Länderspiel gegen Estland möchten Trainer Vladimir Petkovic und Verteidiger Fabian Schär die sportliche Lage der Mannschaft besprechen. Lange kommen sie gar nicht dazu. Stattdessen werden sie in diversen Variationen mit einer Frage belagert, die fast schon eine Unverschämtheit ist: «Stimmt es, dass die Nati zu Multikulti ist?».
Hä, wie bitte? Was ist los? Hier eine Zusammenfassung der Ereignisse, die dazu geführt haben, dass eine solche Vorsintflut-Frage im Jahr 2015 plötzlich wieder zum ernsthaften Thema wird:
Tranquillo Barnetta ist 75-facher Nationalspieler und hat seit seinem Debüt im Jahr 2004 zehn Tore für die Schweiz geschossen. Das sind beeindruckende Werte. Bis vor einigen Jahren schien der St.Galler auch alle Anlagen zu haben, um ein ganz grosser Linksaussen zu werden. Mittlerweile ist er 29 Lenze alt und die Euphorie hat sich verflüchtigt. Bei Bayer Leverkusen ist er 2012 nach einer Verletzung aufs Abstellgleis geraten. Auch sein Wechsel zu Schalke war nicht auf Anhieb von Erfolg gekrönt – Barnetta wurde leihweise nach Frankfurt abgeschoben.
Dennoch war er all die Jahre immer ein fixer Bestandteil der Nati. Wirklich verstanden haben das wohl manchmal insgeheim nur Leute, die ihre Bratwurst gerne ohne Senf essen – aber nie hat sich jemand mit Einfluss vehement darüber aufgeregt.
Weil Vladimir Petkovic nun Spieler mit mehr Zukunftsperspektiven sucht, hat er Barnetta für die Partie gegen Estland aus der Nati gekegelt. Und das ausgerechnet jetzt, wo dieser unter Landsmann Roberto Di Matteo bei Schalke wieder aufblüht und sich nach einem 4:3 in der Champions League sogar «Real-Madrid-Bezwinger» nennen darf.
Im «Blick» macht der verschmähte Routinier seinem Ärger Luft. Vor allem, dass er von seiner Nicht-Nomination aus dem Internet und nicht durch den Trainer persönlich erfahren hat, macht Barnetta zu schaffen: «Da bin ich mir aus der Vergangenheit schon einen respektvolleren Umgang mit meiner Person gewohnt», giftelt er in Richtung Petkovic.
Der Nati-Coach ist ausgebildeter Sozialarbeiter. Zumindest ein persönliches Gespräch mit Barnetta hätte man ihm also fachlich durchaus zumuten können. Auch Pirmin Schwegler hat aus Ärger über ihn soeben das Handtuch geworfen. Die beiden Fälle werfen ein ungünstiges Licht auf Petkovic.
Das sieht wohl auch Stephan Lichtsteiner so – und bringt aus Solidarität zu den Kollegen gegenüber der «Basler Zeitung» die Multikulti-Keule ins Spiel: «Die kulturelle Offenheit ist ein wichtiges Merkmal der Schweiz und darauf bin ich auch stolz. Aber auch Spieler wie Pirmin Schwegler oder Tranquillo Barnetta, die über Jahre hinweg ihre Leistung gebracht haben, sind wichtig – für das Team und für die Fans.»
Lichtsteiner schwächt ab, es gehe ihm nicht um «richtige» oder «andere» Schweizer. Aber ohne Identifikationsfiguren könne sich «das Volk» irgendwann nicht mehr mit der Nati identifizieren. «Und wirklich viele haben wir nicht mehr. Es ist ein heikles Thema, das weiss ich. Es ist aber auch ein Thema, vor dem wir uns nicht verschliessen dürfen.»
Obwohl Lichtsteiners Einwurf wohl nur gut gemeint ist, löst er damit einen Riesenwirbel und eben jene unerhörten Fragen an der Presskonferenz aus. «Herr Petkovic, hat die Nati ein Multikulti-Problem?»
Der Nati-Trainer antwortet ausweichend: «Es geht um unsere gemeinsame Liebe für die Schweiz. Zusammen wollen wir alles unternehmen, um den Gegner zu schlagen.»
Nun gut, jede andere Antwort wäre auch ein mittleres Fussball-Erdbeben gewesen. Analysieren wir also die Fakten. Wie ist die Multikulti-Lage der Nati denn nun wirklich, jetzt da Schwegler sicher – und Barnetta eventuell – keine Rolle mehr spielen werden?
Die 23 Spieler des aktuellen Kaders haben zu 43,4 Prozent Schweizer Wurzeln, der Rest stammt von Einwanderern ab. Den grössten Secondo-Block bilden mit 34,6 Prozent Spieler mit Vorfahren aus dem Kosovo, Mazedonien, Kroatien und Bosnien-Herzegowina. Berücksichtigt ist bei dieser Statistik jeweils eine Generation, also die Eltern.
Secondos in der Überzahl. Das wird niemanden mehr überraschen, der sich schon mit dem Thema beschäftigt und auch einmal einen Schweizer Amateurfussballplatz aus der Nähe gesehen hat. Von Appenzell bis Yverdon sind Jugendliche und Erwachsene mit ausländischen Wurzeln auf der Jagd nach dem runden Leder stärker vertreten als in der Gesamtbevölkerung. Die Lage in der Nati ist letztlich nur die Auswirkung dieses Prinzips.
Eine interessantere Erkenntnis ergibt sich aber, wenn man die Statistik nach Defensive und Offensive aufteilt.
Sagenhafte 73 Prozent der Vorfahren unserer Nati-Verteidiger und -Goalies stammen aus der Schweiz. In der Offensive hingegen, sind es mit den Eltern von Fabian Frei und Valentin Stocker lediglich 16,7 Prozent.
Weltweite Konkurrenzfähigkeit dank Schweizer Sicherheit und Organisation, gepaart mit zugewanderter Kreativität und einer Prise Secondo-Schlitzohrigkeit im Abschluss – ist das nicht das Idealbild der ganzen Schweizer Gesellschaft im Jahr 2015?
Der Schluss liegt also nahe. Auch wenn es das Stimmvolk an jedem dritten Wahlsonntag anders sieht: Die Schweiz hat kein Ausländerproblem. Auch nicht in der Nationalmannschaft. Und wer jetzt trotzdem wieder über die Nati-Secondos nörgelt, der hat eins an den Latz verdient. Hopp Shvic!
Nein echt, es ist unglaublich, dass diese Kackdiskussion immer und immer wieder aufgerollt wird. Sicherlich gut gemeint von Lichtsteiner, aber auch er sollte vielleicht mal im 2015 ankommen...
Hopp Shvic!