Nach der 0:3-Niederlage gegen Italien gingen die Medien mit der Schweizer Nati hart ins Gericht. Planlos und Chancenlos sei deren Spiel gewesen, hiess es noch am letzten Donnerstag nach dem verlorenen Spiel. Am Montag nun, nach dem 3:1 gegen die Türkei vom Sonntag, tönt das schon ganz anders. Die Schweiz von Baku sei nicht mehr die Schweiz von Rom, schreiben beispielsweise die Tamedia-Zeitungen:
Diese habe damit «auf einen miserablen Auftritt reagiert» und eine «Trotzreaktion» gezeigt. Der Sieg vom Sonntag sei somit auch ein Sieg für Nationaltrainer Vladimir Petkovic, heisst es in dem Kommentar weiter. Dieser sei seinen Weg gegangen, habe den Spielern nicht das Vertrauen entzogen, sondern es ihnen in einem kritischen Moment vielmehr geschenkt. «Und sie zahlen es zurück.»
Dieser Sieg sei umso höher einzuschätzen, «weil man mit dem Rücken zur Wand stand und siegen musste», schreibt auch der «Blick». Tattoo-Studio-Story und Figaro-Affäre seien da plötzlich ganz weit weg:
Nun heisse es «beten», schreibt der «Blick»-Kommentator weiter. Dafür, dass es die Schweiz als einer der besten vier Drittplatzierten doch noch in den Achtel-Final an der laufenden Europameisterschaft schafft.
Zu reden gibt am Montag insbesondere auch die Leistung von Xherdan Shaqiri. Dieser konnte gegen die Türken mit zwei Toren glänzen, nachdem er in den ersten zwei Spielen nur wenig aufgefallen und heftiger Kritik ausgesetzt war. SRF widmet dem «Zauberzwerg» denn auch gleich einen eigenen Artikel:
Auch die CH-Media-Zeitungen konstatieren nach dem Spiel «eine tolle Teamleistung» der Schweizer. Wie schon an der Weltmeisterschaft 2014 hätten sie beweisen können, dass sie «Entfesselungskünstler» sind. Auf die Reaktion nach den ersten beiden enttäuschenden EM-Spielen dürfe die Nati denn auch richtig stolz sein:
Der Sieg gegen die Türkei ist eine riesige Befreiung. Der Frust und Schmerz der letzten Woche ist fürs erste vergessen. Die Frage lautet: Ist jetzt sogar Träumen erlaubt? Unsere Analyse:#aargauerzeitung #EM2020 https://t.co/ztJR6Ry4Tl
— AargauerZeitung (@AargauerZeitung) June 21, 2021
Mehr als ein Hauch von Magie sei aber auch die Leistung vom Sonntag nicht gewesen, heisst es in der Analyse weiter. «Die Schweizer haben noch einige Luft nach oben.» Doch zumindest seien der Frust und der Schmerz der letzten Woche fürs Erste vergessen und der Blick könne vorwärtsgehen, im Hinblick auf einen möglichen Achtelfinal.
Auch die «NZZ» blickt in ihrem Kommentar am Montag in die Zukunft, und damit auf die Aussichten für Trainer Vladimir Petkovic. So berge eine Achtelfinalteilnahme zwar eine «historische Chance»: die Möglichkeit zum ersten Schweizer Viertelfinaleinzug seit 1954.
Fürs Türkei-Spiel habe der 57-Jährige zwar etliche gute Personalentscheide getroffen, doch hätten die Schweizer mit ihrer Unberechenbarkeit in der letzten Woche auch einmal mehr die Frage aufgeworfen, ob «ein frischer Blick auf diese Gruppe und diese Hierarchie guttun würde».
Vor allfälligen Personalentscheiden steht in den nächsten Tagen nun aber erst einmal das grosse Zittern an. Womöglich entscheidet sich erst nach den letzten Gruppenspielen vom Mittwoch, ob die Schweiz als Drittplatzierte doch noch ins Achtelfinal einziehen wird oder nicht.
Reicht es am Ende doch nicht, müsse sich die Nati an zahlreiche verpasste Chancen im Türkei-Spiel vom Sonntag zurückerinnern, kommentieren die Tamedia-Zeitungen schreiben. Denn sie hätten davon «genug und genug gute gehabt», um die Qualifikation mit einer besseren Tordifferenz als Wales auf dem direkten Weg zu schaffen.
In der Türkei wird am Tag danach vorab die Trainerfrage diskutiert. In der Tageszeitung «Hürriyet» etwa kommen die Kommentatoren zum Schluss: «Die Leistung von Şenol Güneş war der entscheidende Faktor.» So hätten sich an der laufenden EM bereits mehrere Teams Dank der Leistung ihrer Trainer wieder aufrappeln können. Nicht zuletzt die Schweiz nach der blamablen Niederlage gegen Italien, wird die Arbeit von Schweiz-Trainer Vladimir Petkovic in der Istanbuler Zeitung gelobt. «Nur ein Team fand keine Lösung und wurde mit jedem Spiel schlechter», so das vernichtende Fazit von «Hürriyet» über die eigene Nationalmannschaft.
In der «Cymhuriyet» wiederum fragt sich der Kommentator: «Warum kassieren wir drei Tore der Schweiz, die wir 2008 als Gastgeber noch geschlagen haben?» Es sei doch das türkische Nationalteam gewesen, welches es mindestens auf den dritten Platz und damit die Chance auf das Weiterkommen an der laufenden EM abgesehen habe, so die zweite grosse Tageszeitung des Landes. Aber eben:
Zu einem ganz anderen Schluss kommt am Montag Tümer Metin in der Zeitung «Milliyet»: «Wir sind technisch, taktisch und physisch gescheitert», erklärt der ehemalige Fussballspieler und Kommentator das türkische Aus nach der Gruppenphase. «Technisch und taktisch sind wir die Schlechtesten des Turniers!» Sein Nationalteam habe an der laufenden EM den Eindruck erweckt, als seien die Spieler erst gerade auf der Strasse eingesammelt und dann zum ersten Mal zusammen auf den Rasen geschickt worden.
In italienischen Medien überwiegt derweil am Montag die Freude, dass die Mannschaft von Roberto Mancini in dieser Gruppenphase bereits verschiedene Rekorde aufgestellt oder egalisiert hat, wie die «Gazzetta dello Sport» schreibt. So hätten die Azzurri in diesem Jahr die höchste Anzahl Tore erzielt. Für den Gruppensieger der Schweiz gelte es nun abzuwarten, ob sie im Achtelfinal auf Österreich oder auf die Ukraine treffen:
Wales hat derweil trotz der Niederlage gegen Italien das geschafft, wofür es der Schweiz nicht reichte. Mit einer besseren Tordifferenz qualifizierten sich die Waliser auf dem zweiten Gruppenplatz direkt für den Achtelfinal. Die Freude bei Fans und Mannschaft war darum trotz der 0:1 Niederlage vom Sonntag gross. Das Newsportal «Wales Online» schreibt dazu:
Mit dem Kampfgeist der Waliser dürfte auch in den Achtelfinals weiterhin zu rechnen sein: «We're not done yet», schliesst der Kommentator auf Wales Online. Auf Deutsch: «Wir sind noch nicht fertig». Wales habe beim Spiel gegen Italien «grosse Entschlossenheit gezeigt», schreibt «BBC Sport» über das Spiel. Dies, obwohl sie nach einer roten Karte mit nur noch zehn Mann gegen die Azzurri kämpften.
Und zum Auftritt der Schweiz schreibt «BBC», diese habe am Sonntag einen grossartigen Sieg erzielt und die Türkei damit «ohne Punkte nach Hause geschickt»:
Auch die Schweizer Medien bilanzierten am Montag, dass am Sonntag im Match gegen die Türkei noch mehr möglich gewesen wäre. Dennoch ist die Freude über den Sieg und über eine mögliche Achtelfinal-Qualifikation hierzulande gross.