In Listen der grössten Schweizer Blamagen im Fussball ist die 1:2-Niederlage gegen Luxemburg im September 2008 stets weit oben zu finden. Unvergessen, wie sich Gökhan Inler am Vortag im «Blick» mit einer Handvoll Luxemburgerli ablichten liess. «Ich liebe Luxemburgerli», stand gross darüber. Auf die hochmütige Pose folgte der tiefe Fall. In der 86. Minute schockte Alphonse Leweck die Schweiz mit dem entscheidenden Tor.
Die Reaktionen der Presse auf die Pleite gegen den Fussballzwerg fielen heftig aus. «Hundsmiserabel» oder «peinlich», hiess es in den Zeitungen. Es sei ein «Desaster», war der Tenor. Nach dem 2:2-Unentschieden in Israel wenige Tage zuvor war der Fehlstart in die Qualifikation zur WM 2010 unter dem neuen Trainer Ottmar Hitzfeld damit perfekt.
Obwohl die Schweiz die Dinge im Rückspiel mit einem 3:0-Sieg in Luxemburg wieder geraderückte und die WM-Qualifikation als Gruppensieger schaffte, erinnern sich dieser Tage wieder viele an das Debakel im Zürcher Letzigrund. Denn am heutigen Dienstag (20.45 Uhr) ist Luxemburg erstmals seit jenem Septemberabend wieder in der Schweiz zu Gast. Und wenn die Nati in St.Gallen dann auf die roten Löwen trifft, wird ihr ein ganz anderes Kaliber gegenüberstehen als vor bald 17 Jahren.
Denn Luxemburg ist kein Fussballzwerg mehr. Zwar dauerte es nach dem Wunder in der Schweiz noch ein bisschen, doch machte das Nationalteam des kleinen Staats zwischen Deutschland, Belgien und Frankreich in den letzten Jahren eine enorme Entwicklung durch. Heute ist der einst 195. der FIFA-Weltrangliste fest in den Top 100 etabliert, aktuell steht Luxemburg auf Platz 92 von insgesamt 210.
Spielten 2008 bis auf drei Akteure – darunter der spätere GC-Verteidiger Jeff Strasser und der damalige Aarauer Mario Mutsch – alle in der heimischen Amateurliga, ist das Luxemburger Kader heute gespickt mit Profis aus Ligen aus aller Welt. Der Marktwert des Teams ist mittlerweile zehnmal so hoch, wobei knapp die Hälfte der 31 Millionen Euro auf Leandro Barreiro entfällt.
Der 25-jährige Mittelfeldspieler von Benfica Lissabon ist der grosse Star des Teams und kann bereits auf neun Champions-League-Einsätze zurückblicken. Mit einem Marktwert von 15 Millionen Euro wäre er im aktuellen Kader der Schweiz auf Platz 4 der wertvollsten Spieler. Neben Barreiro spielt im Luxemburger Mittelfeld meist Christopher Martins, der YB 2022 für sieben Millionen Euro in Richtung Moskau verliess. Für die Tore ist Rekordtorschütze Gerson Rodrigues (23 Treffer in 69 Spielen) verantwortlich. Der 29-Jährige, der aktuell beim portugiesischen Erstligisten Avs FS spielt, hat sich eine grössere Karriere auch durch häufige Fehltritte wie verpasste Trainings oder Schlägereien verbaut.
Verantwortlich für den Aufschwung des einstigen Fussballzwergs ist vor allem die nationale Fussballakademie in Monnerich, die Frankreichs Fussballzentrum in Clairefontaine ähnelt. Diese entstand 2000 auf Drängen des damaligen Nationaltrainers Paul Philipp, der seit 2004 dem Verband FLF vorsitzt. In Monnerich werden die grössten Talente des Landes zusätzlich zum Vereinstraining gefördert. Dennoch gilt weiterhin: «Im Alter von 12, 13 Jahren, spätestens aber mit 14 müssen unsere Spieler ins Ausland, wenn sie sich auf höherem Niveau weiterentwickeln wollen», wie der einstige Bundesliga- und Nationalspieler Nico Braun bei 11 Freunde vor eineinhalb Jahren erklärte.
Das deutsche Fussballmagazin sprach auch mit Reinhold Breu, der zwischen 2011 und 2021 Technischer Direktor beim luxemburgischen Fussballverband war und dort eine neue Philosophie einbrachte. «Die Luxemburger sagten oft: ‹Wir sind so schlecht, weil unser Land halt so klein ist.› Aber mit dieser Einstellung wird’s natürlich nix», berichtet Breu. Deshalb habe er in den Jugendteams auf individuelle Förderung und selbstbewusstes Spiel mit dem Ball gesetzt. Zwar führte das auch mal zu krachenden Niederlagen, doch war dies Breu lieber, als sich ab und zu mal ein 0:0 zu ermauern. «Wir wollten das nicht mehr, hinten Fünferkette und vorne hilft der liebe Gott», sagte er bei 11 Freunde.
Irgendwann trug dies Früchte. Nachdem Luxemburg bis 2016 nur einmal mindestens drei Siege in einem Jahr gefeiert hatte, gelang dies seither in sechs von acht Jahren. Natürlich spielte dem Nationalteam die Gründung der Nations League, in der Fussballzwerge in der untersten Liga unter sich sind, in die Karten. Direkt bei der ersten Austragung gelang 2018/19 der Aufstieg in Liga C, wo unter anderem Montenegro geschlagen wurde. 2022/23 schnupperte Luxemburg gar an der Liga B, unter anderem beim 3:3-Unentschieden in der Türkei sorgte es für Aufsehen. Im letzten Frühling schafften die «Roude Leiw» dann aber beinahe den ganz grossen Coup.
In der EM-Qualifikation wurde Luxemburg Dritter hinter Portugal und der Slowakei. Lediglich in den Spielen gegen den Europameister von 2016 (0:6 und 0:9) war man chancenlos, Bosnien und Liechtenstein wurden zweimal geschlagen, auch gegen Island gab es einen Sieg. Das Direktduell um Platz 2 gegen die Slowakei ging nach einem vom VAR zurückgenommenen Penalty 0:1 verloren. Der Umweg über die Playoffs endete dann mit einer 0:2-Niederlage in Georgien – erneut griff der Videoschiedsrichter beim vermeintlichen Ausgleich zum 1:1 zu Luxemburgs Ungunsten ein. So blieb die erstmalige EM-Teilnahme ein Traum.
Doch die Reise von Trainer Luc Holtz, der seit August 2010 im Amt und damit der amtierende Nationaltrainer mit der zweitlängsten Dienstzeit der Welt ist, und seinen Mannen ist noch nicht beendet. Nach einer enttäuschenden Nations-League-Kampagne – Luxemburg kann den Abstieg in der Barrage gegen Malta verhindern – folgte am Samstag plötzlich ein 1:0-Sieg im Testspiel gegen den Schweizer WM-Quali-Gegner Schweden.
Danach lobte Trainer Holtz gemäss dem Luxemburger Wort: «Das war das beste Fussballspiel, das ich bisher in Luxemburg gesehen habe.» Captain Laurent Jans bilanzierte: «Heute können wir einfach nur stolz sein. Es waren nicht die einfachsten Monate für uns – im letzten Jahr wurden wir zum Teil zu Recht kritisiert.» Damit zeigte er gleich auch das neue Selbstverständnis des einstigen Fussballzwergs, der nun aber eine Reaktion gezeigt hätte. Schwedens Trainer Jon Dahl Tomasson erklärte anerkennend: «Luxemburg hat mit hoher Intensität und stark gespielt. Es war ein wohlverdienter Sieg.»
Die Schweiz sollte also gewarnt sein.