Jüngeren Usern muss man das kurz erklären. Der Hamburger SV war mal ein richtig guter Fussballklub. Lange ist es her: 1983 gewann er nicht nur seinen sechsten und letzten Meistertitel, sondern auch den Meistercup, den Vorläufer der heutigen Champions League. Viel Geschirr kam seither nicht mehr zusammen und die letzten zehn Jahre waren das Gegenteil einer Erfolgsgeschichte.
Der 12. Mai 2018 ging als besonders trauriger Tag in die Klubgeschichte ein. Seit der Gründung der Bundesliga gehörte ihr der HSV an, nun stieg er nach 55 Saisons ab.
«Dino» nannte man den Klub, weil er der letzte Überlebende war, der einzige, der nie runter musste. Nun war er ausgestorben, wie die Saurier, seine Zeit war abgelaufen. Wortwörtlich: Die berühmte Uhr, die im Volksparkstadion stolz die Zugehörigkeit zur Bundesliga anzeigte, blieb stehen.
Es folgte ein Wechselbad der Gefühle, wie es längst typisch schien für den Klub mit der Raute im Logo. Zwar wurde der HSV in seiner ersten Zweitliga-Saison Herbstmeister, aber da hatte er schon einen Trainerwechsel hinter sich und die höchste Heimniederlage der Klubgeschichte erlitten – ein 0:5 gegen Jahn Regensburg. Wegen einer katastrophalen Rückrunde verpassten die Hamburger auf Platz 4 um einen Punkt die Ränge 2 (direkter Aufstieg) und 3 (Relegation).
Im gleichen Stil ging es weiter. 2020 und 2021 landete der HSV weitere Male auf Rang 4. 2022 erreichte er die Relegationsspiele, in denen er gegen Hertha BSC – noch so ein Grossklub in Dauerkrise – den Kürzeren zog.
Selbstverständlich war auch in dieser Saison jede Menge Drama drin. Am letzten Spieltag am Sonntag wähnten sich die Hamburger schon zurück in der Bundesliga, nachdem Sandhausens Stadionsprecher während eines Platzsturms nach dem 1:0-Sieg des HSV zum Aufstieg gratuliert hatte. Dummerweise lief parallel noch das Spiel Regensburg – Heidenheim, wo Heidenheim in der 93. und 99. Minute aus einem 1:2-Rückstand noch einen 3:2-Sieg machte. Damit zog Heidenheim am HSV vorbei, verhinderte Hamburgs Aufstieg und schickte es in die Relegation.
Wenn der Liveticker nicht lädt. #SVSHSV #HSV pic.twitter.com/AdzcZEhmGT
— Jakob Uebel (@deruebeltaeter) May 28, 2023
Dieses Erlebnis sei bei der Mannschaft schon kein Thema mehr, behauptete HSV-Trainer Tim Walter. «Wir haben vorher gesagt, es heisst ‹Zweiter oder weiter›, wir wussten, dass diese Konstellation eintreten kann. Jetzt werden wir weiter Gas geben», sagte Walter. War man am Sonntag noch von den Resultaten anderer Mannschaften abhängig, sieht er nun einen Vorteil: «Wir haben es wieder in der eigenen Hand.»
Bewusst versuchte Walter im Vorfeld der Relegation, das eigene Team stark zu reden und den Gegner kleiner zu machen. «Wir haben 66 Punkte geholt, 70 Tore geschossen, 20 Spiele gewonnen. Wir wissen, was wir geleistet haben», sagte er. «Stuttgart ist 16. geworden, hatte am letzten Spieltag die Chance, sich aus eigener Kraft zu retten.»
Allerdings ist der VfB formstark. Seit Sebastian Hoeness an der Seitenlinie Bruno Labbadia ablöste, verloren die Schwaben in acht Spielen nur noch ein Mal, fuhren aber drei Siege ein und holten vier Unentschieden. Seine Mannschaft habe Drucksituationen in den letzten Wochen gut gelöst, betonte Hoeness, der ebenfalls Zahlen zur Hand hatte. Der HSV habe nicht nur 70 Treffer erzielt, sondern auch 45 erhalten: «Wir wollen sie mit unserer Offensivpower vor Aufgaben stellen.»
Zwei Spiele entscheiden nun also nach einer jeweils 34 Runden langen Saison über die Zukunft zweier Klubs. Für Fans wie Spieler eine nervenaufreibende Situation. Einer, der sie bestens kennt, ist HSV-Mittelfeldspieler Jonas Meffert. Er bestreitet nun schon zum vierten Mal eine Relegation – stets mit dem Unterklassigen, aufgestiegen ist er nie. 2015 scheiterte er mit dem Karlsruher SC, 2021 mit Holstein Kiel und 2022 mit dem HSV. Es überrascht wohl kaum, dass Meffert im «Kicker» sagte: «Ich fand die Regelung, als der Zweitliga-Dritte direkt aufgestiegen ist, besser. Das ist sicherlich fairer.»
Eine Prognose ist schwierig, Stuttgart als Oberklassiger dürfte zu favorisieren sein. Ob es am Ende kommt wie in der Weltgeschichte? Als die Dinosaurier ausstarben, lebten die Krokodile weiter. VfB-Maskottchen «Fritzle» ist ein Alligator.