An der Fussball-WM der Frauen stand nach der Siegerehrung nicht etwa der historische Sieg der Spanierinnen im Zentrum der Aufmerksamkeit, sondern vielmehr das unangemessene Verhalten des spanischen Verbandspräsidenten Luis Rubiales, der die Spielerin Jenni Hermoso ungefragt auf den Mund küsste.
Eine überschwängliche, den Emotionen geschuldete Geste, meinten die einen, ein grober Machtmissbrauch, der zeigt, wie verbreitet Sexismus im Sport auch heute noch ist, die anderen. Der Sprecher des UN-Generalsekretär António Guterres stellte nach dem Skandal die treffende Frage: «Wie schwierig ist es, jemanden nicht auf die Lippen zu küssen?»
Im Schatten dieses «Kuss-Skandals» hatte der Schweizerische Fussballverband indes mit seinem ganz eigenen Fall von sexueller Belästigung zu kämpfen. Im Gegensatz zum spanischen Fall, der in der Öffentlichkeit ausgetragen wurde, behandelte der SFV die Vorkommnisse hinter verschlossenen Türen. Bei Recherchen stiessen nun der «Blick» und der «Tagesanzeiger» im Schweizer Fall auf Ungereimtheiten. Einerseits beteuert der Beschuldigte bis heute seine Unschuld, andererseits irritiert die langsame Reaktionszeit des SFV – eine Übersicht.
Laut dem «Tagesanzeiger» soll sich der Vorfall am 5. August ereignet haben. Die Schweizerinnen befanden sich nach dem Achtelfinal-Out gegen Spanien auf der Heimreise. Im Sicherheitsbereich des Flughafens Auckland soll der Beschuldigte einer nicht mit Namen genannten Spielerin mit den Fingern in den Hintern gekniffen haben.
Laut dem «Blick» hätte die neuseeländische Polizei auf Anfrage des Beschuldigten hin die Überwachungsvideos des Flughafens ausgewertet und sei zum Schluss gekommen, dass das Opfer und der Beschuldigte auf den Videoaufnahmen zu keiner Zeit am gleichen Ort zu sehen seien.*
* dieser Absatz wurde ergänzt
Gegenstand der Untersuchung ist derzeit, welche Verantwortlichen zu welchem Zeitpunkt über welche Informationen verfügten. Die Berichterstattung in Schweizer Medien zeigt deutlich, dass in diesem Punkt weiterhin Unklarheit herrscht.
Einigkeit herrscht darüber, dass die betroffene Spielerin noch im Flugzeug einige Teamkolleginnen in den Vorfall eingeweiht hatte. Beim Zwischenstopp in Dubai seien SFV-Funktionärinnen darüber informiert worden – laut dem «Tagesanzeiger» waren dies die Nationaltrainerin Inka Grings und die Direktorin Frauenfussball Marion Daube, laut dem «Blick» hätten die Spielerinnen die Teammanagerin Caroline Abbé informiert.
Was trotz widersprüchlicher Informationen klar ist: Nach der Ankunft in der Schweiz geschah sechs Wochen lang gar nichts – auch in den WM-Nachbearbeitungssitzungen der Führungsriege des SFV sei der Fall nie Thema gewesen, weiss der «Blick».
Am 20. September kam es dann im Rahmen eines Zusammenzugs zum Wiedersehen der Schweizer Fussball-Nati. Ein anonymes Schreiben der Spielerinnen hätte den Fall schliesslich wieder ins Rollen gebracht. Der Beschuldigte, der erst nach diesem Schreiben über die Vorwürfe gegen seine Person informiert worden sei, bestreitet diese bis heute vehement. Trotzdem erhielt er kurz nach dem Schreiben die fristlose Kündigung. Gegenüber Blick gab der Mann zu Protokoll: «Wenn ich einen Fehler gemacht hätte, würde ich dazu stehen».
Der Beschuldigte fühlt sich vom Verband blossgestellt, da mehrere hundert Mitarbeitende per Mail über die Kündigung mitsamt Grund informiert wurden.
Die Aufarbeitung des Vorfalls liegt nun in der Verantwortung der Meldestelle «Swiss Sports Integrity». Gegenstand der Untersuchung ist insbesondere die Tatsache, dass die Verantwortlichen des SFV so spät über die Ereignisse informiert wurden. Funktionärinnen und Funktionäre haben in Fällen sexueller Belästigung eine Meldepflicht. Im vorliegenden Fall stellt sich die Frage, ob Informationen bewusst zurückgehalten wurden oder ob die Spielerinnen nicht wollten, dass der Fall an die Öffentlichkeit gelangt.
(kat)
tr3
Also wenn das stimmt, hat das hoffentlich noch für weitere Personen personalrechtliche Konsequenzen. Egal, ob der Mann das ihm Vorgeworfene getan hat oder nicht.
Chris69
H.P. Liebling