Normalerweise geben die Experten der grossen Fussballnationen zumindest vor, ein wenig Respekt vor dem nächsten Gegner zu haben. Aber am Mittwochabend, wenige Minuten nach dem Spiel von den «Bleus» gegen Portugal (2:2), haben sich unsere Nachbarn nicht einmal diese Mühe gemacht. Am kommenden Montag findet das Achtelfinale zwischen Frankreich und der Schweiz statt. Aus ihrer Sicht hat es jedoch keinen Sinn, sich gross mit diesem Spiel zu beschäftigen. Denn eine Niederlage der Franzosen sei «schwer vorstellbar», sagte der Moderator von RMCs «After Football», der «Sendung, die laut sagt, was die Fussballwelt denkt».
Eine solche Haltung wäre für die Nati-Fans fast schon beleidigend gewesen, hätten die Kolumnisten ihre detaillierte Kenntnis des Schweizer Spiels nicht anschliessend mit einer Reihe von Argumenten unter Beweis gestellt:
Die Frage sei also nicht, ob die Schweiz ein gutes Los ist, sondern ob sie ein «sehr gutes Los» ist. «L'Equipe» stellte die Frage an seine sechs Experten. Das Urteil: sechsmal «Ja». «Wenn wir uns über die Auslosung beschweren, können wir gleich aufhören», sagte Herve Penot, der Herausgeber der französischen Zeitung.
Auf die Nachfrage zu den Gründen der Sorgen der französischen Bevölkerung sagt er: «Das liegt daran, dass Frankreich gegen starke Mannschaften oft stark spielt, aber Schwierigkeiten gegen schwächere Mannschaften hat, die weniger Verantwortung übernehmen.» Penot verdeutlichte die Denkweise der Experten: «Ich sage nicht, dass es einfach wird oder wir ihnen fünf Tore reinhauen, aber Frankreich ist Weltmeister und war im letzten EM-Finale. Den Schweizern mangelt es an individuellem Talent.»
Xherdan Shaqiri ist der bekannteste Schweizer Spieler in Frankreich, aber der ehemalige Nationalspieler Emmanuel Petit kennt ihn zu gut, um Angst zu haben. «Wir werden ihn während 70 Prozent des Spiels nicht sehen», sagte er, bevor er eine Vorhersage wagte, die er vielleicht bereuen wird: «Er wird es mit N'Golo Kanté zu tun bekommen, da hat Shaqiri keine Chance.»
Die Gewissheit Frankreichs basiert auf dem Kräfteverhältnis zwischen den beiden Teams, aber auch auf ihrer Erfolgsgeschichte gegen die Nati. «Es ist schon lange her, dass wir gegen die Schweiz verloren haben», erinnerte sich Denis Brogniart, ein Fernsehmoderator. Die letzte französische Niederlage gegen die Schweiz war 1992, und das würde nicht zählen, da es nur ein Freundschaftsspiel war.
Brogniart tut diese historische Dominanz fast leid. Er wolle nicht missverstanden werden, also stellte er klar: «Ohne gegenüber unseren Nachbarn und Freunden respektlos klingen zu wollen, aber wir sind uns einig, dass wir uns eine Niederlage gegen die Schweiz kaum vorstellen können, oder?»
Ein anderer Experte, Stéphane Guy, war vorsichtiger. Er weiss aus Erfahrung, dass eine falsche Prophezeiung eine Karriere zu Fall bringen kann. Am Abend des 6:1-Sieges von Barça gegen PSG sprach der Kommentator bereits zehn Minuten vor Schluss vom sicheren Viertelfinaleinzug: «Es ist nicht Gijon, es ist nicht Valladolid, es ist Paris-Saint-Germain!» Aber es sollte anders kommen.
Als man ihn also um eine Vorhersage für das Achtelfinale in Bukarest fragte, warnte Guy deshalb vor übertriebenem Optimismus: «Wir müssen dieses Spiel erst einmal spielen.»
Didier Deschamps hat im Wesentlichen das Gleiche gesagt. Auf die Frage eines TF1-Journalisten, ob das Spiel gegen die Schweizer «einfach» sei, antwortete der Trainer mit Blick auf seine langjährige Erfahrung als Spieler: «Hören Sie, wir haben schon einige vermeintlich einfache Spiele gesehen...» Deschamps wolle diesen Gegner nicht unterschätzen, dem die meisten seiner Landsmänner kaum etwas zutrauen.