Stell dir vor, es ist WM-Qualifikation – und du kannst deinem Team dabei nicht zusehen. In Südkorea wird das morgen Dienstag (10.30 Uhr Schweizer Zeit) der Fall sein. Dort werden vom Auswärtsspiel gegen Nordkorea keine Fernsehbilder zu sehen sein. Die Bemühungen um eine Live-Übertragung seien gescheitert, teilten die drei Sender KBS, MBC und SBS mit. Man habe gar keine Antwort auf die entsprechenden Anfragen erhalten.
Es ist das erste Mal seit 1990, dass die beiden Nationalteams sich in Nordkorea begegnen. Alle Partien seither fanden entweder in Südkorea oder auf neutralem Boden statt. Wenn zwei Länder, zwischen denen seit dem Kriegsende 1953 noch immer kein Friedensvertrag existiert, aufeinandertreffen, rücken sportliche Belange in den Hintergrund. «Ich mache mir schon ein wenig Sorgen darüber, nach Pjöngjang zu reisen», gab Verteidiger Lee Jae Ik zu. «Ich hoffe, lebendig zurückzukehren.»
Die Südkoreaner hatten gehofft, auf dem Landweg nach Pjöngjang zu reisen. Doch stattdessen mussten sie laut der Korea Times den Umweg via Peking machen, um dort ihre Visa zu erhalten. Nur die Mannschaft und ihre Betreuer seien im Norden geduldet, teilte der südkoreanische Fussballverband mit, die Einreise von Journalisten und Fans sei nicht bewilligt worden. In Peking erhielten Spieler und Trainer nicht nur ihre Einreisebewilligung. Laut der Agentur AP wurden sie auch angewiesen, ihre Handys dort zu lassen.
Dabei hatte es noch vor eineinhalb Jahren Zeichen einer Annäherung gegeben – gerade dank des Sports. An den Olympischen Winterspielen 2018 im südkoreanischen Pyeongchang trat ein gemeinsames Team mit Spielerinnen beider Länder zum Eishockeyturnier der Frauen an. Und Kim Jong Uns «Armee der Schönen», bestehend aus Dutzenden Cheerleaderinnen, sorgte an den meist stimmungsarmen Wettkämpfen für positive Momente.
Doch die zarte Hoffnung auf Frieden scheint bereits wieder Vergangenheit zu sein. Die Zuschauer im 50'000 Plätze fassenden Kim-Il-Sung-Stadion seien den Spielern aus dem Süden wohl feindselig gestimmt, glaubt die «Korea Times». Obwohl ein Ticket angeblich so viel kostet wie zehn Kilogramm Reis, wird ein ausverkauftes Stadion erwartet.
Noch offen ist, ob sich auch Machthaber Kim Jong Un auf der Tribüne blicken lässt. Es heisst, dass er in seiner Jugend in der Schweiz ab und an nach Mailand gereist sei, um Inter-Spiele zu verfolgen.
Sein Stadionbesuch könnte die Leistung der Nationalspieler Nordkoreas beeinflussen. «Wenn er da ist, werden die Spieler für ihn alles geben, denn ein Triumph würde den Ruhm des Führers mehren», prophezeit Kim Kyung Sung vom süd- und nordkoreanischen Sportaustauschverband in der «Washington Post». Es ist unklar, ob das Spiel im nordkoreanischen Fernsehen zu sehen sein wird. Es könnte auch zeitversetzt – und zwar nur dann, wenn Nordkorea gewinnt – ausgestrahlt werden.
Interessant werden schon die Minuten vor dem Anpfiff sein. Denn dass in Nordkorea die südkoreanische Hymne gespielt und die Flagge des Nachbars gezeigt werden, wie es die Regularien vorsehen, kommt so gut wie nie vor.
Südkoreas Spieler bemühen sich vor der Partie auf Kunstrasen, kein zusätzliches Öl ins Feuer zu giessen. «Wir gehen nicht als Touristen dahin. Unser Fokus gilt einzig dem Spiel», betonte Tottenham-Star Son Heung Min. «Wir haben nur die drei Punkte im Kopf», sagte auch Mittelfeldspieler Lee Jae Sung. «Wir haben keine Angst davor, nach Nordkorea zu reisen. Es gibt immer wieder schwierige Auswärtsspiele, etwa gegen Turkmenistan, Libanon oder den Iran, und für uns ist das Spiel nun nicht schwieriger als jene Partien.»
Die beiden koreanischen Teams haben beide ihre ersten zwei Spiele der WM-Qualifikation gewonnen und führen damit die Gruppe H an. Die weiteren Gruppengegner sind Turkmenistan, Libanon und Sri Lanka. Die Sieger der acht Gruppen und die vier besten Zweitplatzierten kommen in die entscheidende dritte Runde der asiatischen WM-Qualifikation.