Der Ort, wo genau hingeschaut wird. Bild: watson
Wenn am Freitag die neue Super-League-Saison beginnt, dann kommt erstmals im Schweizer Fussball auch der VAR zum Einsatz. Ein Besuch in den Räumlichkeiten, in denen künftig Penaltyszenen und Platzverweise ganz genau betrachtet werden.
Nein. Aus der Bundesliga ist der «Kölner Keller» berühmt-berüchtigt. In der Schweiz ist der VOR des VAR – der Video Operation Room des Video Assistant Referees – im 2. Stock eines Bürogebäudes in Volketswil in der Agglomeration von Zürich.
In diesem Gebäude hat sich der VAR einquartiert. Bild: watson
«Video Operation Room» ist ein gar sperriger Ausdruck und die Abkürzung VOR zu nahe an VAR. «Volketswiler Keller» geht nicht, weil die Zentrale eben nicht unter der Erde ist. Also wird sich der Boulevard etwas einfallen lassen müssen. «Volki-Verlies» vielleicht?
Nun ja, eine grosse Überraschung ist der Raum nicht. Aber treten wir doch ein:
Bild: watson
In der Video-Zentrale sind ein Arbeitsplatz für einen Supervisor und fünf jeweils identische Arbeitsplätze für den VAR, einen Assistenten und einen Techniker installiert. So sieht eine dieser Stationen aus:
Immer gleich: Links der Assistent, in der Mitte der VAR und rechts ein Techniker. Bild: KEYSTONE
Wir sehen auf diesem Bild in der rechten Hälfte die zwei Bildschirme des VAR, links jene beide seines Assistenten:
Bild: KEYSTONE
Auf dem oberen Bildschirm schaut der VAR das Spiel, stets aus der Totalen, also aus der gleichen Kamerasicht. Bemerkt er nun einen möglichen Regelverstoss, drückt er den grünen Knopf und sagt seinem Assistenten und dem Operator, was er genau anschauen möchte, zum Beispiel «Check possible penalty».
Bild: watson
In diesem Moment schaut der VAR auf die unteren vier Bildschirme. Dort läuft das Spiel mit drei Sekunden Verzögerung und der VAR sieht in Echtzeit aus verschiedenen Perspektiven die Szene, die ihn interessiert. Mit dem Kommando «Reset» signalisiert er, dass in der Szene kein Regelverstoss vorliegt. Andernfalls drückt er den roten Knopf, um direkt mit dem Schiedsrichter im Stadion zu kommunizieren.
Spiele, die von Teleclub übertragen werden, werden mit sechs Kameras gefilmt. Die Livespiele im Schweizer Fernsehen werden von zehn Kameras erfasst. Der VAR hat Zugriff auf alle diese Signale. Die Verantwortlichen sind davon überzeugt, dass diese Anzahl Kameras ausreichend ist.
Er ist primär dazu da, um das Spiel dann zu beobachten, wenn der VAR sich eine Szene genau anschaut. Sollte es in dieser Zeit eine weitere strittige Szene geben, meldet er dies. Dem VAR ist es auch erlaubt, seinen Assistenten um eine Zweitmeinung zu bitten. Vorgeschrieben ist eine Absprache aber nicht.
Bild: KEYSTONE
Er ist dafür zuständig, dass alles reibungslos funktioniert und dass der VAR (und gegebenenfalls der Schiedsrichter im Stadion) jene Einstellungen sieht, die ihm nützlich sein können. Erfahrung als Schiedsrichter wäre ein Vorteil, ist aber kein Muss.
Er überwacht den VAR. Wichtig: Er ist nicht dazu da, um in die Entscheidungsfindung einzugreifen. Er ist dazu da, um sicherzustellen, dass die Abläufe korrekt sind und dass nur das abgeklärt wird, was auch abgeklärt werden darf.
Der Supervisor sitzt dem VAR-Team im Nacken. Bild: watson
Der VAR unterstützt den Schiedsrichter laut Regelbuch «bei einem klaren und offensichtlichen Fehler oder wenn er einen schwerwiegenden Vorfall übersehen hat.» Allerdings nicht immer, sondern nur in diesen vier Fällen:
Stets der Schiedsrichter auf dem Platz. Allerdings ist es nicht nötig, dass er sich alles selber ansieht. Bei faktischen Entscheiden muss der Schiri dem VAR vertrauen, also in Situationen, die nicht interpretiert werden müssen: War der Ball draussen? War ein Spieler offside? War ein Foul inner- oder ausserhalb des Strafraums?
Bei subjektiven Entscheiden (z.B. Penalty oder nicht? Gelbe oder Rote Karte?) hat der Schiedsrichter die Möglichkeit, sich auf den Ratschlag des VAR hin die Szene selber am Bildschirm anzuschauen, um sie aus einem anderen Blickwinkel als auf dem Feld nochmals beurteilen zu können.
Es gibt kein Zeitlimit. «Richtigkeit ist wichtiger als Schnelligkeit», sagt VAR-Projektleiter Hellmut Krug. «Aber ich hoffe, dass es deutlich weniger Zeit benötigt, als es zuletzt teilweise an der Frauen-WM der Fall war.» Krug wirft ein: Wenn man mehrere Minuten benötigt, um einen Entscheid zu prüfen – war es dann wirklich ein klarer, offensichtlicher Fehler des Schiedsrichters? Nur diese dürfen ja überprüft werden. Die Schweizer Haltung ist, dass der VAR zurückhaltend eingesetzt werden soll: So wenig wie nötig, so nützlich wie möglich.
So wird in der Video-Zentrale kommuniziert. Video: YouTube/Keystone-SDA-ATS
Bei den Schulungen der Unparteiischen wurden verschiedene Szenarien durchgespielt. Sollte das System komplett ausfallen, werden Teams und Zuschauer darüber informiert.
Bild: KEYSTONE
Ja. In der Schweiz gibt es keine Torlinientechnologie und keine kalibrierte Abseitslinie, beides hauptsächlich aus Kostengründen. Der Abseitslinie, wie man sie aus der Bundesliga kennt, steht die Swiss Football Liga zudem kritisch gegenüber. Das «Millimeterlä» beim Offside widerspreche der generellen Haltung, nur klare Fehler des Schiedsrichters zu korrigieren.
Nein, damit muss – oder darf? – der Fussball weiterhin leben. Projektleiter Hellmut Krug gibt ein Beispiel: 92. Minute, es steht 0:0, der Schiedsrichter gibt einen Freistoss, 18 Meter vom Tor entfernt. Auf TV-Bildern sieht man, dass es ein klarer Fehlentscheid war. Der Ball geht rein, es ist das 1:0, das Spiel ist aus. Und das Tor zählt, obwohl der Freistosspfiff klar falsch war – weil Freistösse nicht vom VAR überprüft werden dürfen. Ganz egal, ob in der ersten oder letzten Minute.
Der VAR mache den Fussball fairer, transparenter und gerechter, so der Standpunkt der Liga, aber der VAR erreiche keine 100-prozentige Gerechtigkeit.
Dass es trotz VAR auch künftig Diskussionsstoff geben wird, bewies eine Szene des Testspiels zwischen Sion U21 und Bavois, das Medienvertreter in Volketswil mitverfolgen konnten. In einer Szene hätte es nach einem mit dem Arm abgelenkten Freistoss einen Penalty geben müssen. Obwohl das aus der Hintertorkamera deutlich zu sehen war, übersah es der VAR. Er bestätigte stattdessen den Entscheid des Schiedsrichters auf Eckball. Natürlich war es keine Absicht der Verantwortlichen, aber besser hätten sie es nicht verdeutlichen können, dass auch der VAR ein Mensch ist.